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Besonders viele Türken fliehenZahl der Asylbewerber in NRW steigt stark an

Lesezeit 4 Minuten
Flüchtlinge aus dem niedergebrannten Lager Moria auf Lesbos und von anderen griechischen Inseln stehen im Hafen von Lavrio bei Athen.

Flüchtlinge auf Lesbos. Nordrhein-Westfalen nahm im ersten Halbjahr 2023 die meisten Asylbewerber auf, etwa 20,8 Prozent.

Ein Migrationsforscher sieht einen Grund für die Zunahme an Schutzsuchenden bei der politischen Situation in der Türkei. Die Zahl der Asylanträge von Menschen, die von dort fliehen, hat sich mehr als verdreifacht.

Die Zahl der Asylanträge in Deutschland nimmt wieder zu. Im ersten Halbjahr des Jahres 2023 haben sich die Asylanträge im Vorjahresvergleich nahezu verdoppelt. Setzt sich dieser Trend auch für den Rest des Jahres durch, dann könnte Deutschland 2023 seinen historisch dritthöchsten Stand erreichen nach den Jahren 2015 und 2016.

In der ersten Jahreshälfte stellten 150.166 Menschen Asyl-Erstanträge in Deutschland. Das teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dieser Zeitung mit. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr von 2022 waren es 84.583 Anträge – das ist eine Zunahme von 77,5 Prozent. Knapp acht Prozent der bundesweiten Anträge bezieht sich auf in Deutschland geborene Kinder, die noch kein Jahr alt sind. Nordrhein-Westfalen nahm als bevölkerungsreichstes Bundesland die meisten Asylbewerber auf, etwa 20,8 Prozent. Circa 72 Prozent der Antragsteller sind männlich, 28 Prozent weiblich.

Im ersten Halbjahr 2023 haben in Nordrhein-Westfalen knapp 33.500 Menschen einen Asylantrag gestellt. Darunter zählen sowohl Erst- als auch Folgeanträge. Im Vorjahreszeitraum waren es rund 18.000 Personen.

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Ukrainische Geflüchtete werden in dieser Statistik nicht erfasst

Die bundesweit meisten Antragssteller sind syrische (29 Prozent), afghanische (18,2 Prozent) türkische Staatsangehörige (12,8 Prozent). Besonders groß ist der Zuwachs an türkischen Asylbewerbern: Die Zahl der Anträge hat sich mehr als verdreifacht. In Nordrhein-Westfalen ist die Reihenfolge aktuell etwas unterschiedlich: Am meisten Asylanträge werden von Syrern gestellt, gefolgt von Türken und dann Afghanen.

Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor dem russischen Angriffskrieg fliehen, können ohne Visum nach Deutschland einreisen und müssen keinen Asylantrag stellen. Das gilt auch für Staatsangehörige aus Drittländern, die aus der Ukraine geflohen sind: Für sie greifen ebenfalls EU-Richtlinien, nicht das deutsche Asylrecht. Deshalb können die Zahlen leicht irreführen; zwar sind die Zahl der Asylanträge in Deutschland dieses Jahr vermutlich deutlich höher als 2022. Die Zahl der Geflüchteten, die ins Land kommen, aber nicht.

Bis zum 22. Juli 2023 haben sich über eine Million ukrainischer Geflüchteter in Deutschland registriert. Wie viele von ihnen tatsächlich noch in Deutschland leben, kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht benennen; die Zahl der Ukrainer in Deutschland ist rückgängig, weil einige bereits in ihre Heimat zurückkehren.

Migrationsforscher sieht Gründe für steigende Zahl an Asylbewerbern in der Türkei

Doch wieso steigt die Zahl der Asylbewerber gerade jetzt wieder an? Der Migrationsforscher Lukas Fuchs sieht dafür zwei Gründe: Zum einen sind weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie nie zuvor. Nachdem die Corona-Pandemie die Migration weltweit erschwert hatte, zieht nun an den Grenzen wieder Normalität ein – und die Zahl der Geflüchteten steigt auch in Deutschland wieder an.

Den zweiten Grund sieht der Wissenschaftler vom Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in der politischen Lage in der Türkei. Das Land setzt das mit der EU geschlossene Flüchtlingsabkommen aus. Das bedeutet: Die Grenze zu Griechenland wird weniger stark kontrolliert, die Türkei lässt vermehrt Geflüchtete nach Europa durch.

Gleichzeitig sieht Fuchs ein „enorm ansteigendes Ressentiment gegen bestimmte Gruppen“ in der Türkei. „Der Wahlkampf im Frühjahr hat dazu geführt, dass weitreichend gegen Minderheiten, Oppositionelle und Migranten Stimmung gemacht wurde.“ Ein weiterer Grund für die hohe Zahl an syrischen und türkischen Asylbewerbern könnte das verheerende Erdbeben in Syrien und der Türkei im Februar sein, welches die Lebensgrundlage für unzählige Menschen zerstörte.

Opposition fordert Land auf, Kommunen zu stärken

„Es ist davon auszugehen, dass auch mittel- und langfristig weiterhin viele Personen nach Deutschland kommen, die vor Krieg, Terror und Verfolgung fliehen“, schreibt das nordrhein-westfälische Ministerium für Familie und Flüchtlinge auf Anfrage. Das Bundesland stehe zu seiner Verantwortung, schutzsuchende Menschen bei sich aufzunehmen. „Daher müssen wir Strategien entwickeln, wie wir diese Menschen gut und zügig integrieren.“ Legale Migration müsse gestärkt werden, illegale Migration reduziert. Ein Weg dahin seien Migrationsabkommen. „Die Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag die Stärkung dieses Instrumentes vereinbart – hier muss die Bundesregierung nun auch liefern. Gerade mit Blick auf den akuten Fach- und Arbeitskräftemangel brauchen wir Zuwanderung.“

Der integrationspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag fordert die Landesregierung auf, die Kommunen bei der Integration der Geflüchteten „nicht im Regen“ stehenzulassen. „Nur Menschen mit bestätigter Bleibeperspektive sollten auf die NRW-Kommunen verteilt werden“, so Marc Lürbke. Ähnlich äußert sich Justus Moor von der SPD: „Die Landesregierung muss endlich Verantwortung übernehmen, um eine Überforderung der Städte und Gemeinden zu verhindern.“