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Polit-Star aus SülzWalter-Borjans: Der Kölner, der nicht gegen Reker antreten wollte

Lesezeit 5 Minuten

Norbert Walter-Borjans in der vergangenen Woche an der KVB-Haltestelle Sülzburgstraße in Köln

  1. Als Gegenkandidat zur Kölner OB Henriette Reker wollte Norbert Walter-Borjans sich nicht bewerben. Seine Begründung damals war interessant.
  2. Jetzt bekommt er als Bundesvorsitzender der SPD ein viel anspruchsvolleres Amt.
  3. Stadtkämmerer, Finanzminister – bislang war Walter-Borjans politisch vor allem fürs Geld zuständig.
  4. Wie tickt der neue Mann an der SPD-Spitze? Porträt eines plötzlich berühmten Kölners.

Köln – Vergangene Woche an der Kaffeebude am Gleis 10 des Kölner Hauptbahnhofs. Norbert Walter-Borjans wartet auf die S-Bahn zum Flughafen und trinkt einen „Kaffee Crema“. Das Getränk schmeckt abscheulich, aber das erwähnt er nicht. Walter-Borjans ist gut gelaunt, witzelt darüber, dass er jetzt wieder öfters auf der Straße erkannt wird. Als er neulich die Wäsche abholte, habe ihn ein Mann gebeten, im Falle seiner Wahl bloß nicht die Wäscherei zu wechseln. Er wolle, dass seine Hemden im gleichen Laden gereinigt würden wie die des Chefs der Deutschen Sozialdemokratie. Dem Wunsch könne er nachkommen, antwortete der Politiker aus Sülz schmunzelnd. Wohl wissend, dass andere ganz andere Hoffnungen an ihn richten würden.

Schon bei der Plauderei am S-Bahn-Gleis hatte Walter-Borjans sich recht zuversichtlich gezeigt, das sein Coup gelingen könnte. Schon beim ersten Wahlgang hatten er und seine Bewerbungs-Partnerin Saskia Esken nur knapp hinter dem Duo mit Olaf Scholz gelegen. Wenn man die Stimmen derer, die für die anderen linken Teams gestimmt hatten, einsammeln könnte, dann würde es wohl klappen, sagte Walter-Borjans. Aber man wisse ja nie, hatte er hinzugefügt. Ein Reinfall sei keinesfalls ausgeschlossen.

Die Kandidatur des früheren NRW-Finanzministers für den Parteivorsitz war zunächst nicht auf ungeteilte Begeisterung gestoßen. Mit dem Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und der früheren NRW-Familienministerin Christina Kampmann hatten sich schließlich schon zwei Politiker aus NRW als Bewerber für die Parteispitze gemeldet. Auf den letzten Drücker war dann überraschend „Nowabo“ noch vom Landesvorstand der NRW-SPD aufgestellt worden. Weder Lauterbach noch Kampmann hatten sich um einen engen Draht zur Landespartei bemüht. Walter-Borjans galt als umgänglicher und überaus vorzeigbarer Kandidat.

Die Kandidatur des Kölners wurde auch von den Jusos unterstützt. Das Gefühl, von Parteigremien umschmeichelt zu werden, war neu für den Bewerber. Der hatte sich, wie seine Gegner genüsslich feststellten, ja noch nie einer Abstimmung in der Partei gestellt. Nowabo wurde zwar stets respektiert, aber ihm fehlte immer eine eigene Hausmacht. Das wurde ihm schmerzlich bewusst, als die Strippenzieher der Kölner SPD ihn kalt abtropfen ließen, als er 2013 Interesse an einer OB-Kandidatur signalisierte. Die damalige SPD-Spitze bestreitet indessen, dass der Mann aus Sülz ein ernsthaftes Interesse angemeldet hätte.

Walter-Borjans blieb jedenfalls damals in Düsseldorf. Seinen Ärger über die Kölner Genossen hat er nie kundgetan, aber geholfen hat er ihnen auch nicht mehr. Als jetzt nach einem Gegenkandidaten für Henriette Reker gesucht wurde, gab er der Partei einen Korb. Er sei zu alt und wolle sich die Belastung nicht mehr antun, ließ er wissen.

Nun hat sich Walter-Borjans einen deutlich anspruchsvolleren Job aufgehalst. Als SPD-Chef könne er mehr verändern, und er müsse ja auch nicht fünf Jahre oder länger durchhalten, wie das von einem OB erwartet werde, erklärte er in kleiner Runde. Die Chance, einer der Nachfolger von August Bebel und Willy Brandt zu werden, ist natürlich von anderer Qualität als die Aussicht auf ein Porträt neben Jürgen Roters im Kölner Rathaus.

Dort war er in der Vergangenheit immer wieder aufgetaucht, vor allem im Karneval. In seiner Zeit als Finanzminister hatte er sich durch den Ankauf von Steuer-CDs bundesweit einen Namen gemacht. Nowabo gefiel sich sichtlich in der Rolle des Schreckgespensts der Steuersünder. Passend dazu trat Walter-Borjans gerne im Kostüm des „Robin Hood“ auf. Ein Zeichen seiner Selbstironie, die er auch Minister nie abgelegt hat.

Dem Kölner ist das Brauhaus deutlich näher als das Fünf-Sterne-Restaurant. Beim Südstadtklub Fortuna Köln sieht man ihn häufiger als beim großen 1. FC Köln. Wenn er als Minister zugesagt hat, einen Ortsverein zu besuchen, dann ließ er dafür auch schon mal wichtigere Termine sausen, die später hereingekommen waren.

Szenarien beim Ausstieg

Wenn sich die SPD aus der Regierung zurückzieht, gibt es mehrere Szenarien.

Neue Regierung ohne Neuwahlen: Bundespräsident Steinmeier dürfte bei einem Rückzug der SPD-Minister alle Parteien bis auf die AfD zu Gesprächen über eine neue Regierungskoalition bitten. Möglich wäre ein zweiter Jamaika-Versuch, also für ein Bündnis aus Union, Grünen und FDP.

Neuwahlen: Wenn schnell klar ist, dass die Koalition platzt, könnte schon im Frühjahr neu gewählt werden. Am einfachsten ist eine Neuwahl herbeizuführen, wenn Merkel die Vertrauensfrage stellt und absichtlich scheitert.

Minderheitsregierung: Merkel könnte offene Kabinettsposten mit Unionspolitikern oder Experten besetzen. Da der Bundeshaushalt für das kommende Jahr gerade beschlossen wurde, wäre eine solche Minderheitsregierung etwa ein Jahr lang handlungsfähig. (dpa)

Nach der Abwahl von Rot-Grün hatte Walter-Borjans viel Freizeit. Seinem Hobby, der Bildhauerei, nachzugehen, reichte ihm allerdings nicht. So schrieb er ein Buch über die Steuerpolitik. Bei seiner Lesetour durch Deutschland war er immer wieder überrascht, wie viele Besucher zu seinen Veranstaltungen kamen. Walter-Borjans bekam das Gefühl, dass seine linken Thesen bei den enttäuschten SPD-Wählern auf sehr fruchtbaren Boden fielen. Bei den 23 Regionalkonferenzen nahm er kein Blatt vor den Mund. Der SPD-Bus sei „falsch abgebogen und in der neoliberalen Pampa gelandet“, rief er in die Säle. Das sei der Grund gewesen, warum er „immer mehr Fahrgäste verloren“ habe.

Seine hohe persönliche Glaubwürdigkeit war wohl mitentscheidend dafür, dass Nowabo und Esken sich durchsetzen konnten. Deshalb steht der „Robin Hood“ aus NRW vor einer schweren Bewährungsprobe. Im Wahlkampf bekam er viel Beifall für seine Kritik an der großen Koalition. Sollte er das Bündnis nach Zugeständnissen durch die Union fortsetzen, wäre das für viele Genossen wohl eine herbe Produktenttäuschung.