Dortmund/Düsseldorf – Mit großer Spannung haben die Abgeordneten im NRW-Innenausschuss einen Zwischenbericht zu den Todesschüssen auf einen 16-jährigen Flüchtling aus dem Senegal durch einen Polizeikommissar am 8. August in der Dortmunder Nordstadt in einer Jugendhilfeeinrichtung erwartet. Der achtseitige Report, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, birgt einige brisante Details. So prüft die Staatsanwaltschaft nach wie vor den Vorwurf des Totschlags gegen den 29-jährigen Todesschützen. Zudem wurden weitere Verfahren gegen vier Beamten eingeleitet.
Dabei handelt es sich um eine Beamtin, die den Jugendlichen Mouhamed D. zunächst mit Reizgas von einem Selbstmord mit einem Messer abhalten wollte. Ferner richtet sich der Verdacht auf Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung im Amt auf zwei Polizisten, die erfolglos Taser einsetzten, als das spätere Opfer mit seinem Messer auf sie zulief.
Polizisten verweigern Aussage
Auch wird gegen den Einsatzleiter wegen der Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung im Amt ermittelt. Der Dienstgruppenchef hatte den Befehl zur wirkungslosen Pfefferattacke auf den afrikanischen Zuwanderer gegeben. Als dieser sich aus seiner zeitweiligen Agonie erhob und mit seinem Messer auf die zwölf eingesetzten Polizeibeamten zueilte, hatte der Einsatzchef Sicherungsschützen abkommandiert, die den Jugendlichen im Notfall kampfunfähig machen sollten.
Die beschuldigten Polizisten haben bisher von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
Sollte die Dortmunder Staatsanwaltschaft tatsächlich auf Totschlag befinden, kämen auf NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) große Probleme zu. Stellt sich heraus, dass Mouhamed D. völlig unnötig erschossen wurde, wäre der Skandal perfekt. Dem grünen Koalitionspartner der CDU dürfte es schwerfallen, Loyalität zu Reul zu wahren.
Unklar, wie weit Mouhamed D. auf Polizisten zuging
Möglicherweise hat sich das Geschehen zudem anders zugetragen, als bisher bekannt. Um 16.25 Uhr meldet sich ein Jugendbetreuer an jenem Augusttag bei der Notrufzentrale. Er berichtet, Mouhamed D. sitze im Hof und hantiere mit einem großen Messer vor seinem Bauch. Offenbar wolle sich der Jugendliche umbringen. Am Wochenende zuvor hatte er sich wegen Suizidabsichten in eine psychiatrische Klinik begeben. Dort wurde er allerdings nicht stationär aufgenommen. Der Senegalese kehrte in die katholische Wohngruppe zurück.
Ein Zaun und eine Mauer grenzen den Innenhof der Einrichtung teilweise ab. Vergeblich redet eine Betreuerin auf den jungen Mann ein, dass Messer wegzulegen. Als die Polizei erscheint, geht es zunächst darum, Mouhamed D. von seinem Vorhaben abzubringen. Ansprachen auf Spanisch und Deutsch bringen keinen Erfolg. Nach dem Reizgaseinsatz erhebt sich Mouhamed D. und läuft auf die Beamten zu. Das Messer habe der Jugendliche weiter in der Hand gehalten, so die Staatsanwaltschaft. „Wobei aufgrund unterschiedlicher Zeugenangaben bislang nicht abschließend geklärt ist, wie genau er es führte“, heiß es in dem Bericht. Unklar ist auch, „ob und wieweit der Getötete sich noch fortbewegte.“
Nach erster polizeilicher Darstellung soll sich Mouhamed D. auf zwei bis drei Meter einem der Taser-Angreifer genähert haben, als der Sicherungsschütze sechsmal mit seiner Maschinenpistole abdrückte. Vier Projektile trafen den Angreifer am Kopf, an der Schulter, im Unterarm und am Bauch. Ein Treffer durchschlug gleich zwei Mal den Körper.
„Neue Lage in dem ohnehin schon dramatischen Fall“
Der ermittelnde Oberstaatsanwalt Carsten Dombert kündigte im Gespräch mit dieser Zeitung an, dass Ende nächster Woche vermutlich das Ergebnis der Nachforschungen veröffentlicht wird.
Christina Kampmann, Innenpolitische Sprecherin der SPD, erklärte, durch den Bericht seien zahlreiche neue Details ans Licht gekommen. „Damit ergibt sich eine neue Lage in diesem ohnehin schon dramatischen Fall.“ Die neuen Erkenntnisse zeigen, dass auch die politische Aufarbeitung weitergehen müsse, um die richtigen Schlüsse daraus für die Polizeiarbeit zu ziehen.