Ex-Soldaten, Corona-Leugner, ein Prinz, eine Hellseherin und eine AfD-Bundestagsabgeordnete: Die mutmaßliche Terror-Gruppe steht vor Gericht.
Massaker drohteDer hochgefährliche Wahn der Reichsbürger-Putschisten
Ein Sommertag in der mittelfränkischen Gemeinde Buch am Wald. Eingebettet in hügelige Wiesenlandschaften und umgeben von großen schattigen Mischwäldern leben hier knapp 1000 Einwohner. In der dünn besiedelten bayerischen Idylle versammelte sich am 29. Juli 2021 ein kleiner Kreis mutmaßlicher Staatsfeinde. Ein Corona-Impfgegner und Verschwörungsmystiker, eine Hellseherin und drei Ex-Soldaten der Eliteeinheit KSK, trafen zusammen. Ein weiterer möglicher Komplize wurde per Video-Call aus Brasilien dazu geschaltet: Rüdiger von Pescatore kommandierte Mitte der 90er Jahre das Fallschirmjägerbataillon 251, die Vorgängereinheit der KSK-Spezialkräfte. 1996 musste der Oberstleutnant abtreten, weil er in eine Affäre um das Verschwinden großer Waffenarsenale der Nationalen Volksarmee der DDR verstrickt gewesen sein soll.
Putschpläne schon beim ersten Treffen
Der Anruf aus Deutschland, so stellt die Bundesanwaltschaft später fest, steht am Anfang von Putschplänen in Deutschland. Ein Umsturz, bei dem die staatliche Ordnung mit Waffengewalt beseitigt werden sollte. Politiker, Amtsträger und sonstige unerwünschte Personen wandern in Haft oder werden exekutiert, so zumindest soll das Komplott für einen Staatsstreich ausgesehen haben. Bereits in diesem ersten Telefonat im Juli 2021 soll es auch um einen bewaffneten Angriff auf den Reichstag gegangen sein.
Aus der Sechserbande wuchs laut den Ermittlern schnell eine schlagkräftige Terrortruppe namens „Vereinigung“. Von Pescatore erklärte sich bereit, nach Deutschland zurückzukehren und die Operation zu lenken. Die „Vereinigung“ soll nach und nach für den Staatsstreich einen militärischen Arm und eine Parallelregierung unter dem hessischen Adeligen Heinrich XIII. Prinz Reuß als Galionsfigur aufgebaut haben. Den Nachforschungen zufolge wurden Waffen beschafft, etwa 200 Unterstützer rekrutiert, Schießtrainings organisiert, der Bundestag mehrfach ausspioniert, zudem wurde versucht, selbst hohe noch aktive Bundeswehroffiziere für den Tag X anzuwerben.
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Anderthalb Jahre später machten die Strafverfolger dem Spuk ein Ende. Am 7. Dezember 2022 stürmten Spezialeinsatzkräfte der Bundespolizei Wohnungen und Büros mutmaßlich führender Verschwörer. Weitere Razzien folgten. Aktuell listet die Bundesanwaltschaft 69 Beschuldigte auf. Gegen 27 mutmaßliche Hauptakteure wurde Anklage erhoben.
27 Terrorverdächtige demnächst vor Gericht
Von Ende April an stehen die Angeschuldigten in Stuttgart vor Gericht, weitere Prozesse in München und gegen die Anführer in Frankfurt sollen im Mai folgen. Für die Justiz stellen die Verfahren eine neue Dimension dar. Noch nie zuvor mussten sich so viele Terrorverdächtige vor deutschen Staatsschutzsenaten verantworten.
Der Terror-Plot, wäre er gelungen, hätte wohl viele Menschenleben gefordert. Spätestens der islamistische Terrorist Anis Amri zeigte 2016, wie verheerend ein Anschlag durch einen Einzeltäter ausging. Aber eine hierarchisch organisierte Gruppe mit zahlreichen Militärs und Polizisten, kampferfahren und bereit zum Töten, hätte sicherlich ein ungleich größeres Massaker anrichten können.
Trotzdem, obwohl sie angeblich nicht bagatellisieren wolle, sprach Alice Weidel, Co-Fraktionschefin der AfD im Bundestag, von einem „Rollator-Putsch“. Und sie kritisierte, dass 3000 Beamte bei Razzien gegen „Rentner“ losgeschickt worden seien. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ indes hat sich auf Spurensuche in dem Fall begeben. Die Recherche zeigt, wie gefährlich die mutmaßlichen Verschwörer waren. Und wie absurd es ist, sie lediglich als altersschwache Verrückte abzutun.
Zwischen Wahnsinn und konkreten Umsturzplänen
Laut Bundesanwaltschaft rotteten sich Corona-Leugner mit Republikfeinden aus der Reichsbürger-Szene und sogenannten QAnon-Anhängern zusammen. Letztere glauben, dass pädokriminelle-satanische Eliten über einen Machtapparat, dem sogenannten „Deep State“, eine globale Diktatur anstreben. Dazu würden auch Kinder in unterirdischen Kellern gefoltert. Führende Köpfe der „Vereinigung“ wie von Pescatore sollen davon überzeugt gewesen sein, dass aus den Kinderkörpern ein Elixier für das ewige Leben gewonnen würde. Um den Stoff namens Adrenochrom abzuzapfen, betreibe der „Deep State“ im Untergrund militärisch-industrielle Komplexe in Form von „deep underground military bases“ (DUMBs), die durch die Unicef stetig mit minderjährigen Opfern versorgt werden, so die krude Verschwörungstheorie.
Einen unbändigen Hass entwickelten die Führungskräfte auf prominente queere Politiker wie Jens Spahn (CDU) oder Kevin Kühnert (SPD). In belauschten Telefonaten forderten die Hetzer, dass homosexuelle Menschen wegmüssten. Spahn werde man nach dem Putsch einen Kopf kürzer machen. Stetig kursierte unter den Extremisten antisemitische Hetze: Deutschland sei ein Judenstaat, hieß es, aber bald werde man das Zionistenpack vertreiben.
Im Mittelpunkt der Verschwörungsideologen aber stand die Fantasie von einem geheimen globalen Krieg. Eine Wahnidee, die fassungslos macht: Der „böse“ sogenannte „Deep State“ wurde laut den Anklägern mit der Regierung um Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gleichgesetzt. Dagegen kämpfte in der Vorstellung der Putschisten ein militärischer Geheimbund, die sogenannte Allianz. An deren Spitze standen dann etwa Ex-US-Präsident Donald Trump, Russen-Diktator Wladimir Putin und der chinesische Autokrat Xi Jinping, deren Soldaten bald schon in Deutschland einmarschieren würden, um die oberste Ebene der Politiker auszuschalten. Und um die weiteren „Säuberungsaktionen“ wollte sich dann der militärische Arm der „Vereinigung“ um den Angeklagten von Pescatore kümmern, so die Bundesanwaltschaft.
Todeslisten auch mit Politikern aus NRW
Bei Mitgliedern der mutmaßlichen Terror-Truppe fanden sich Feindeslisten mit Namensregistern und Adressen der Parlamentarier im Bundestag, der Hamburgischen Bürgerschaft bis hin zu den Abgeordneten im NRW-Landtag. Neben Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) standen SPD-Parteichefin Saskia Esken, CDU-Oppositionschef Friedrich Merz, dessen Parteifreund Armin Laschet sowie der SPD-Politiker Norbert Walter-Borjans auf dem Papier. In weiteren Dokumenten waren Namen Prominenter handschriftlich notiert.
Bei einer Einsatzbesprechung soll der militärische Chef von Pescatore mit seinem „Militär-Stab“ über das Schicksal des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) debattiert haben. Einige Mitglieder votierten dafür, das Staatsoberhaupt wie auch andere Regierungsmitglieder nach dem Umsturz an die Wand zu stellen. Andere Verbündete sprachen davon, direkt in Berlin einzumarschieren, und alle zu töten. Die Truppe hatte laut den Anklägern bereits 382 Schusswaffen sowie mindestens 148.000 Munitionsteile für den Tag X gehortet. Auch Waffenhändler sollen zu den Verbündeten gehört haben. Einer von ihnen verfügte den Recherchen der Ermittler zufolge über mehrere Munitions- und Hülsenpressen, Geschossformwerkzeuge oder Pulverfüllgeräte, um eigene Feuerwaffen und Projektile herzustellen.
Ausspähaktionen im Bundestag
Die Chronologie der Geschehnisse zeichnet ein detailliertes Bild einer militanten Verschwörer-Gruppe. Bereits einen Tag nach dem Videotelefonat mit dem Kommandanten von Pescatore in Brasilien stellte die Kernmannschaft der verdächtigen Putschisten den Ermittlungen zufolge einen Kontakt zur damaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann her. Und zwar über deren „astrologische Beraterin“, eine Wahrsagerin aus Hessen. Die rechtsextreme Politikerin und Berliner Richterin soll sich den Staatsschützern zufolge ohne Zögern den Umstürzlern angeschlossen haben.
Am 1. August 2021 soll die Parlamentarierin drei mutmaßliche Putschisten durch das Bundestags- und Reichstagsgebäude nebst den Verbindungstunneln geführt haben. Die Besucher machten Handyfotos für den geplanten Sturm auf das Parlament. Knapp drei Wochen danach wiederholte sich der Vorgang. Im Oktober 2021 soll sich die AfD-Politikerin per Chat mit einem Verschwörer über das Datum zum Angriff auf den Reichstag ausgetauscht haben. Dabei wurde Malsack-Winkemann aufgefordert, weitere Informationen aus dem Innenleben des Parlaments zu beschaffen.
Das wäre der Part der AfD-Politikerin am Ganzen, bemerkte ein mutmaßlicher Mitverschwörer, den Rest würde man selbst übernehmen. Malsack-Winkemann versprach laut Anklage zu helfen. Zehn Monate später lieferte die AfD-Politikerin der „Vereinigung“ sogenannte „Blaue Pläne“, die Sitzungszeiten im Bundestag auflisteten. In sichergestellten Chatnachrichten unterrichtete die inzwischen ausgeschiedene Parlamentarierin über die Termine, an denen viele Bundestagsabgeordnete teilnehmen würden.
Prinz Reuß kommt ins Spiel
Überdies versuchte die „Vereinigung“ dem Vernehmen nach bereits im August 2021, Bundeswehrgeneräle und den Ex-Chef der Marine sowie aktive KSK-Soldaten für die Umsturzpläne zu begeistern. Die angesprochenen Offiziere meldeten die Anwerbeversuche allerdings umgehend dem Militärischen Abschirmdienst. Spätestens von da an hatten die Sicherheitsbehörden die „Vereinigung“ auf dem Schirm.
Nachdem das Rekrutierungsmodell unter hohen Militärs gescheitert war, wurde schnell der Kurs geändert. Die Putsch-Clique baute einen „zivilen Arm“ auf. Am 25. Oktober 2021 gelang es den Verschwörern laut Anklage, den Adeligen Heinrich XIII. Prinz Reuß für ihr ziviles Übergangskabinett zu gewinnen. Dieses Gremium, das sich „Rat“ nannte, sollte nach dem erwarteten Einmarsch der Allianz die Friedensverhandlungen einleiten und nach 120 Tagen Neuwahlen durchführen. Prinz Reuß, jetzt ebenfalls als mutmaßlicher Rädelsführer der Umstürzler angeklagt, hing offenbar den Ideen der Reichsbürgerszene an. Der Nachkomme eines thüringischen Adelsgeschlechts hatte sich nie damit abgefunden, dass seine Familie in Ostdeutschland nach Kriegsende enteignet wurde.
Anderthalb Monate vor seiner Festnahme rief er den Fantasiestaat „Fürstentum Reuß“ aus. Sein Ziel war es, durch den Umsturz die Besitztümer seiner Familie zurückzubekommen. Justizministerin in seinem Schattenkabinett sollte die AfD-Politikerin Malsack-Winkemann werden. Strafverteidiger Roman von Alvensleben, der den adeligen Angeklagten vertritt, weist die Terrorvorwürfe auf Anfrage zurück: „Meine persönliche Einschätzung ist, dass Prinz Reuß keine entscheidende Rolle hatte“, sagt der Anwalt aus Hameln. Für „jemanden, der gewaltsam einen Umsturz geplant hat“, halte er seinen Mandanten „definitiv nicht“. Prinz Reuß habe schließlich keine militärische Erfahrung und „Zeit seines Lebens“ Gewalt abgelehnt. „Das hat sich nach meiner Einschätzung bis heute nicht geändert und war nie anders“, so von Alvensleben. Deshalb berate die Verteidigung über „eine mögliche umfassende Einlassung unseres Mandanten zur Sache, die auch in Vorbereitung ist“.
Die AfD-Politikerin Malsack-Winkemann hat laut Bundesanwaltschaft in ihren Vernehmungen vor einem Jahr eingeräumt, ein Teil des „Rates“ der Gruppierung um Prinz Reuß gewesen zu sein. Die Angeklagte bestritt allerdings jegliche Terror-Pläne der „Vereinigung“. Die Gründung des „Rats“ sei lediglich ein theoretisches Gedankenspiel gewesen. Die Mitglieder hätten keine Widerstandsgruppe gründen oder Institutionen umstürzen wollen. Stets will die Berliner Richterin darauf gedrängt haben, dass keine Straftaten begangen würden.
Kontakte zu russischen Diplomaten – Aufbau von Heimatschutzkompanien
Im Kampf gegen den „Deep State“ hielten die Verschwörer vor allem Putins russische Föderation für einen geeigneten Bündnispartner. Da wurde vom deutschen Wolf und dem russischen Bären als unschlagbarem Team gefaselt. Mindestens fünf Treffen mit russischen Diplomaten sind laut Anklage belegt. Am 22. Februar 2022 begaben sich Prinz Reuß und sein „Militärchef“ von Pescatore nach Bratislava zu Geheimgesprächen. Das Ergebnis bleibt nebulös.
Am 13. Juni 2022 traf Prinz Reuß den Ermittlungen zufolge mit dem russischen Generalkonsul in Leipzig zusammen. Danach bekundete Reuß begeistert, dass man ihm die Restitution seiner Güter zugesichert habe. Mehrfach kam eine Verbündete aus dem inneren Verschwörer-Zirkel mit dem russischen Generalkonsul und seinem Stellvertreter in Frankfurt zusammen. Dabei stellte sie die Frage, ob die Russen bereit seien, mitzumachen. Gemeint war laut Anklage: die Koordination von Widerstandsgruppen, die Hilfe durch den russischen Geheimdienst sowie das Training von Kämpfern der „Vereinigung“ in Russland. Bisher aber fand die Bundesanwaltschaft keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Russen auf die Avancen der „Vereinigung“ eingegangen wären.
Mitte 2022 jedenfalls soll der „Militär-Stab“ mit dem bundesweiten Aufbau von Heimatschutzkompanien begonnen haben. Die Einheiten sollten nach dem Staatsstreich polizeiliche sowie militärische Aufgaben übernehmen. So wollte beispielsweise eine Kripobeamtin der Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke den Erkenntnissen der Ermittler zufolge die Kompanie 378 in NRW aufstellen. Bei einem Rekrutierungstreffen in einem Sägewerk betonte die Beamtin, dass sie regional gut vernetzt und auf alles vorbereitet sei. Tags darauf soll die Kripo-Frau dem Organisator des militärischen Arms mitgeteilt haben, dass sie ihre Dienstpistole mit 30 Schuss mit nach Hause nehmen werde, so die Ermittlungen. Anschließend soll die Frau nach weiteren Mitstreitern für ihre Kompanie gesucht haben. Letztlich stellte die Vereinigung von den geplanten 286 Heimatschutzkompanien bis zur Razzia nur eine Einheit auf die Beine.
Der Tag X und die Suche nach den Folterkellern
Im Herbst 2022 schaukelte sich die Gruppe gegenseitig hoch. Bald sei es Zeit loszuschlagen, hieß es. Als Signal für den nahenden Tag X galt laut Bundesanwaltschaft irrsinnigerweise der Tod von Queen Elizabeth II. Jetzt werde die Allianz aus russischen und chinesischen Truppen wohl angreifen. Am 19. September 2022 soll die Gruppe den Countdown für die letzten 48 Stunden bis zum Tag X ausgerufen haben. Als dann zwei Tage später nichts passierte, kam es zum Streit. Prinz Reuß fühlte sich hintergangen von seinem „militärischen Stab“, der behauptet hatte, geheime Informationen über die anstehende Invasion zu besitzen.
Der Prinz soll zuvor aus dem eigenen Vermögen 50.000 Euro für eine Spezialoperation in der Schweiz beigesteuert haben. Das Geld floss den Ermittlungen zufolge vor allem an die Zwillingsbrüder Guiseppe und Manuele M. (Namen geändert) – Männer mit einer zwielichtigen Vergangenheit im Waffenhandel. Die Geschwister sollten für die „Vereinigung“ weitere Gewehre und Munition besorgen. Gegen sie laufen Ermittlungen in der Schweiz.
Zudem sollten sie die in der Schweiz vermuteten Eingänge zu den Kinder-Folterkellern aufspüren. Immer wieder sollen die Gebrüder R. vorgegeben haben, kurz vor dem Ziel zu stehen. Und für die weitere Suche hätten sie immer wieder auch weitere Finanzspritzen gefordert. Am Ende ergaunerten sich die Schweizer laut Anklage vermutlich fast eine halbe Million Euro aus der Putschisten-Kasse. Aber das Ganze war ein Fake. Selbst Waffen lieferten die Männer letztlich nicht. Und Informationen zu den Eingängen von nichtexistierenden Folterkellern des in Wahrheit auch nicht existenten „Deep State“ natürlich auch nicht.