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Putins größter IrrtumDas Deutschland-Bild des Kriegstreibers braucht ein Update

Lesezeit 3 Minuten
Wladmir Putin guckt an der Kamera vorbei.

Wladimir Putin kennt die Deutschen eigentlich ganz gut – und rechnete trotzdem nicht mit ihrer anhaltenden Solidarität für die Ukraine.

Der russische Präsident hatte gehofft, die Solidarität des Westens mit der Ukraine werde bald nachlassen. Da hat er sich getäuscht.

In ihren Schritten lag etwas Leichtes, Federndes, als sie am Montagmorgen in Kiew nach langer nächtlicher Reise aus dem Zug stieg. Annalena Baerbock bringt, wo sie geht und steht, nicht nur als Außenministerin, sondern schon als Persönlichkeit eine beeindruckende, über den Tag hinausweisende Botschaft mit: Hier kommt eine dynamische Frau aus Deutschland, erst 42 Jahre alt, idealistisch, zupackend und optimistisch, eine ehemalige Leistungssportlerin im Trampolinspringen.

Baerbocks Gesprächspartner ahnen: Diese Frau hat, anders als viele andere Politikerinnen und Politiker, ein Potenzial, das mit dem gegenwärtigen Job noch gar nicht ganz abgerufen wird. Es kann sein, dass sie irgendwann noch mehr Einfluss in Deutschland und Europa gewinnen wird als bisher – in einer hoffentlich bald anbrechenden Zeit, in der die Herrschaft von Wladimir Putin (70) längst Geschichte ist.

Außenministerin Baerbock zum vierten Mal seit Kriegsbeginn in der Ukraine

Es ist dieser besondere Blick auf Baerbock, die ihren mittlerweile vier Besuchen in der Ukraine stets eine spezielle Bedeutung gab. Baerbock reiste 2022 als erstes deutsches Kabinettsmitglied nach Kriegsbeginn nach Kiew. In diesem Jahr wagte sie, was die Ukrainerinnen und Ukrainer ihr hoch anrechnen, auch einen Besuch im lange umkämpften Charkiw nahe der russischen Grenze. Stets betonte Baerbock, beginnend bei ihrem Besuch im Kiewer Vorort Butscha, die Ungeheuerlichkeit der russischen Übergriffe auf wehrlose Zivilistinnen und Zivilisten in der Ukraine.

„Schrecklicher Terror“

Auch jetzt spielt Baerbocks Kritik an russischen Menschenrechtsverletzungen wieder eine zentrale Rolle. Beim Besuch eines ukrainischen Umspannwerks kündigte sie an, im kommenden Winter alles zu tun, um die Regierung in Kiew beim raschen Wiederaufbau zerstörter ziviler Versorgungseinrichtungen zu unterstützen. Putin wolle durch den „schrecklichen Terror“ seiner völkerrechtswidrigen Luftangriffe die Menschen in der Ukraine zermürben und am Ende emotional brechen – dieser Plan dürfe nicht aufgehen.

Baerbock konzipiert gerade einen diplomatischen Gegenangriff auf Putin. Der Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland, die dem russischen Präsidenten bereits eine Anklage und einen Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshof einbrachte, soll in der kommenden Woche auch bei der UN-Generalversammlung in New York zur Sprache kommen. Pech für Putin: Auch viele Staaten, etwa in Afrika, die mit Moskau nicht brechen wollen, bitten in dieser Frage dringend um Klärung.

Die wertegeleitete Außenpolitik, wie Baerbock sie vertritt, ist oft bespöttelt worden, nicht zuletzt in Moskau. Putin, ein später Follower Iwans des Schrecklichen (1530-1584), glaubt allen Ernstes, heute wie zu allen Zeiten werde sich derjenige durchsetzen, der die größte Grausamkeit anzuwenden bereit ist. Dieses Denken dürfte dem russischen Präsidenten auf Dauer auf den Fuß fallen.

Putins Deutschland-Bild braucht ein Update

Putin wird freilich nur dann an Grenzen stoßen, wenn der Westen weiterhin nicht wackelt bei seiner Unterstützung der Ukraine. Danach aber sieht es, derzeit jedenfalls, nicht aus. Ob Donald Trump, dessen Wiederkehr in den USA viele befürchten, überhaupt als Kandidat für 2024 aufgestellt wird, steht in den Sternen. Zur Festigkeit in der EU jedenfalls trägt derzeit nicht zuletzt die Festigkeit Deutschlands bei.

Eigentlich kannte Putin als früherer KGB-Agent Deutschland und die Deutschen recht gut. Doch sein Deutschland-Bild braucht ein Update.

Die Grünen vergessen

Der Kriegsherr im Kreml hoffte, die SPD werde im Zweifelsfall dem moskautreuen Schröder-Kurs folgen und die Union werde Wirtschaftsinteressen über die Moral stellen. Beides fand nicht statt. Völlig daneben lag Putin aber vor allem in der Erwartung, für die Grünen werde der pazifistische Grundansatz wichtiger sein als alle Empörung über den russischen Angriffskrieg und die russischen Menschenrechtsverletzungen. Dass die Gewichte sich besonders in dieser Frage verschieben würden, und zwar mit historischer Wucht, hatte er nicht auf dem Zettel. Mit ihrem vierten Besuch in der Ukraine hat Baerbock aller Welt diesen dritten und größten Irrtum Putins noch einmal klar vor Augen geführt.