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Teilmobilmachung in RusslandBetrunkene Rekruten, lange Staus und wütende Mütter

Lesezeit 4 Minuten
Mobilisierung dpa 230922

Ein russischer Wehrpflichtiger küsst seine Partnerin zum Abschied.

Moskau – Zwei Tage nachdem der russische Präsident eine Teilmobilmachung für den Krieg gegen die Ukraine angeordnet hat, sorgt der Einzug der Truppen in Russland für Proteste und skurrile Szenen.

In der Nacht auf Freitag sei in zwei Militärdienststellen Feuer gelegt worden, berichtet das Nachrichtenportal „Meduza“. Seit der Verkündung der Teilmobilmachung seien somit mindestens fünf Dienststellen der russischen Streitkräfte in Russland angegriffen worden. Ein regionales Nachrichtenportal berichtete, in einem der Fälle seien Molotow-Cocktails zum Einsatz gekommen.

Teilmobilmachung in Russland: Brennende Militärdienststellen und wütende Mütter

In sozialen Netzwerken kursierten am Freitag zudem viele Videos, die den Widerstand der Bevölkerung gegen die Teilmobilmachung darstellen. So zeigt eine Aufnahme dem Journalisten Max Seddon zufolge, wie ein Armeeoffizier verärgerten russischen Müttern erklären muss, warum ihre Söhne in den Krieg geschickt werden – offenbar ohne Erfolg.

BBC-Journalist Will Vernon berichtet unterdessen, dass Russen, die gegen Putins Entscheidung protestierten, von der Polizei festgenommen und sofort für den Wehrdienst einberufen würden. Auch vor Minderjährigen scheinen die russischen Behörden dabei offenbar nicht haltzumachen. Er habe die Informationen von einem 17-jährigen Jungen erhalten, schrieb Vernon auf Twitter.

Videos von betrunkenen russischen Rekruten kursieren in sozialen Medien

Die Teilmobilmachung sorgt unterdessen auch für Szenen, die an der Tauglichkeit der Rekruten Zweifel aufkommen lassen. Mehrere Videos, die offenbar betrunkene russische Rekruten zeigten, kursierten am Freitag in sozialen Netzwerken.

Teilweise können sich die Männer kaum auf den Beinen halten, ein Video zeigt einen Mann, der neben einer Landebahn eingeschlafen sein soll. Andere Videos zeigen angeblich Rekruten, die auf der Busfahrt zur Militärausbildung Bier und Wodka konsumieren. Auch Aufnahmen, die offenbar Prügeleien zwischen Wehrpflichtigen zeigen, kursierten am Freitag.

Es kam jedoch auch landesweit wieder zu emotionalen Szenen vor Militärdienststellen. Erneut zeigten Fotos und Videos unzählige Abschiedsmomente zwischen Rekruten, die ihren Dienst antreten müssen, und ihren Angehörigen.

Gleichzeitig reißen die Berichte über unzählige Russen, die probieren, das Land zu verlassen, um ihrer Einberufung zu entgehen, auch am Freitag nicht ab. Wie der „Guardian“ berichtet, bildeten sich erneut lange Staus an den Grenzübergängen zu zahlreichen Nachbarländern Russlands wie Georgien, Armenien, Kasachstan, Finnland und der Mongolei.

Russland Abschied imago 230922

Ein eingezogener Mann umarmt seine Partnerin vor einer Militärdienststelle in der Region Chita.

Die Wartezeiten betrügen mittlerweile mitunter mehr als 24 Stunden, berichtet die englische Zeitung. „Ich warte seit Donnerstagnachmittag in meinem Auto“, erklärte ein Russe, der anonym bleiben wollte, demnach an einem Grenzübergang zu Georgien.

Russisch-orthodoxe Kirche unterstützt Teilmobilmachung

Die russisch-orthodoxe Kirche unterstützte die Teilmobilmachung des Kremls unterdessen am Freitag. Kirchenoberhaupt Patriarch Kyrill I. forderte die Rekruten dem unabhängigen belarussischen Nachrichtenportal „Nexta“ zufolge dazu auf, „keine Angst vor dem Tod zu haben“ und „tapfer die militärische Pflicht zu erfüllen“. Wer für sein Land sterbe, werde mit „Gott in seinem Reich, seiner Herrlichkeit und seinem ewigen Leben sein“.

Finnland Grenze dpa 230922

Lange Schlangen an der finnischen Grenze am Freitag.

Die Führung in Moskau hat am Freitag derweil „Hysterie“ im Land beklagt. Zugleich schloss sie Reservisten mit bestimmten Berufen von der Zwangsrekrutierung aus. So würden etwa IT-Spezialisten, Experten zur Sicherung des Finanzsystems oder auch Mitarbeiter der Massenmedien, die zu den „systemerhaltenden“ Berufen gehörten, nicht eingezogen, teilte das Verteidigungsministerium mit.

Kremlsprecher Peskow: „Hysterische, äußerst emotionale Reaktion“

Kremlsprecher Dmitri Peskow forderte seine Landsleute dazu auf, sich ausreichend zu informieren. „Es lässt sich irgendwie verstehen, dass es in den ersten Stunden nach der Bekanntgabe und auch noch am ersten Tag eine hysterische, äußerst emotionale Reaktion gegeben hat, weil es tatsächlich unzureichende Informationen gab“, sagte Peskow. Inzwischen aber gebe es auch Hotlines, um telefonisch Fragen zu klären.

Der Chef des Verteidigungsausschusses im russischen Parlament, Andrej Kartapolow, erklärte mit Blick auf die Fluchtbewegungen vieler Russen, dass zwar nach dem Gesetz zur Mobilmachung ein Ausreiseverbot für Reservisten bestehe. Weil es sich aber um eine Teilmobilmachung handelt, werde das Gesetz nicht angewendet. Reisen innerhalb Russlands und ins Ausland seien deshalb erlaubt.

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Der Kreml hatte am Mittwochmorgen verkündet, bis zu 300.000 Reservisten für den Militärdienst einberufen zu wollen. Nahezu zeitgleich starteten in besetzten ostukrainischen Regionen Scheinreferenden, mit denen Russland die Annexion der Gebiete legitimieren will. Von der Ukraine und dem Westen werden die Fake-Abstimmungen nicht anerkannt. Es sei „ganz klar, dass diese Scheinreferenden nicht akzeptiert werden können“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Rande der UN-Generaldebatte am Mittwoch in New York.