Berlin/Düsseldorf – In ihrer letzten Bundestagsdebatte konnte die Große Koalition noch ein Großprojekt umsetzen: Der Bundestag stimmte am Dienstag dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen zu. Erst am Abend zuvor einigte sich ein Vermittlungsausschuss von Bund und Ländern auf das neue Gesetz. Ab dem Schuljahr 2026/2027 soll jedes Kind, das in Deutschland eingeschult wird, in den ersten vier Schuljahren einen Anspruch auf einen Ganztagsplatz haben.
NRW-Familienminister Stamp (FDP) und Bildungsministerin Yvonne Gebauer (ebenfalls FDP) begrüßten die Entscheidung des Bundes: „Das ist ein wichtiger Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch für bestmögliche Bildung von Beginn an“, so Gebauer auf Anfrage. Der Städtebund zweifelt an der Finanzierung.
Das neue Gesetz sieht vor, dass Kinder, die ab dem Schuljahr 2026/2027 die erste Klasse besuchen, Anspruch haben auf einen Betreuungsplatz in einer Tageseinrichtung von mindestens acht Stunden. Dieser Anspruch wird jedes Jahr um eine weitere Klassenstufe erweitert, bis im Schuljahr 2029/2030 alle Grundschulkinder einen Betreuungsanspruch haben.
Einigung zwischen Bund und Ländern in letzter Minute
Ende Juni rief der Bundesrat einen Vermittlungsausschuss an, weil die Bundesländer mit der Finanzierung des Gesetzes nicht einverstanden waren. Der Bundestag hatte das Gesetz damals bereits beschlossen. Der in letzter Minute geschlossene Kompromiss zwischen Bund und Ländern sieht folgendermaßen aus: Der Bund gibt den Ländern nicht nur Finanzhilfen für die Schaffung neuer Ganztagsplätze, sondern auch für die Erhaltung bereits bestehender Betreuungen. Ursprünglich sollte der Bund nur 50 Prozent der Investitionskosten zahlen, nun sind es 70 Prozent. Die Kosten sollen in den Jahren 2027 und 2030 überprüft und womöglich angepasst werden.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte an, der Bund werde die Investitionen für den Ganztagsausbau mit 3,5 Milliarden Euro unterstützen. Auch bei den Betriebskosten ging der Bund auf die Länder zu: Ab 2026 beteiligt sich der Bund stufenweise an den Betriebskosten, ab 2030 soll er 1,3 Milliarden Euro jährlich übernehmen.
Kommunalverbände reagieren skeptisch
„Die Einigung im Vermittlungsausschuss kam in letzter Minute und ist dennoch ein gutes Signal für die Familien bei uns in NRW“, sagt NRW-Familienminister Joachim Stamp. Nach langem Taktieren des Bundes gebe es nun Klarheit und Sicherheit, „sowohl für die Familien als auch für die Kommunen und das Land – besonders hinsichtlich der finanziellen Ausgestaltung des Rechtsanspruches ab Sommer 2026.“
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In Vorbereitung auf den Rechtsanspruch werde NRW den Ausbau der Offenen Ganztagsschulen „konsequent vorantreiben“, hieß es am Dienstag aus dem Schulministerium. Unter anderem die Uni Dortmund habe bereits Ausbauszenarien berechnet: Das Schulministerium erwartet eine Bedarfsquote von rund 80 Prozent. Aktuell stehen im Landeshaushalt Plätze für 50 Prozent der Grundschulkinder im offenen Ganztag (OGS) zur Verfügung. Seit 2017 seien die Gelder für die OGS um über 32 Prozent erhöht, so das Schulministerium.
Kritik kommt von den Kommunalverbänden: „Bund und Länder machen mit dem Rechtsanspruch ein großes Versprechen, aber finanziell bleibt eine Lücke von mehreren Milliarden Euro“, so Städtetags-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Auch der Städte- und Gemeindebund zweifelte gegenüber der Funke-Zeitungen an der Umsetzung des Kompromisses: Bundesweit würden über 600000 Betreuungsplätze fehlen, so Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg.
Der Bundesrat muss dem „Ganztagsförderungsgesetz“ noch zustimmen. (mit dpa und afp)