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SPD erlebt ein FiaskoHistorische Niederlage der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl

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Die ersten Hochrechnungen sind auf einem Bildschirm während der SPD-Wahlparty im Willy-Brandt-Haus zu sehen

Die ersten Hochrechnungen sind auf einem Bildschirm während der SPD-Wahlparty im Willy-Brandt-Haus zu sehen

Bundeskanzler Olaf Scholz ist abgewählt, noch nie war seine SPD bei einer Bundestagswahl so schwach. Aber auch wenn das Kanzleramt verloren ist, darf die Partei darauf hoffen, an der Regierung zu bleiben. Die CSU hat dafür gesorgt.

Die Stimmung in der SPD-Parteizentrale ist eine Mischung aus Ungläubigkeit und Entsetzen. Das häufigste Wort ist eines mit sieben Buchstaben. „Sch...!“

Im Schatten der riesengroße Statue von Willy Brandt, dem einstigen Bundeskanzler einer sozial-liberalen Koalition und Friedensnobelpreisträger, fragen sich die Sozialdemokraten, was eigentlich passiert ist. Klein ist ihre politische Bedeutung geworden, die traditionsreiche Partei ist noch unter ihren historischen Tiefstand von 2017 abgestürzt. Damals kam sie mit Kanzlerkandidat Martin Schulz auf 20,5 Prozent. Das Ergebnis würde sie heute sofort nehmen.

Eine Niederlage hatte Bundeskanzler Olaf Scholz in seinem Wahlkampf nicht vorgesehen. Selbst manche Weggefährten konnten nicht sicher sein, ob sein Reden vom Wahlsieg eine Beruhigungspille für sich und die SPD-Anhänger sein sollte oder einer selektiven Wahrnehmung entsprach. Jedenfalls ließ Scholz die Meinungsumfragen, die die SPD über Monate bei um die 15 Prozent einstuften, nicht gelten. Vielen Menschen würde erst in der Wahlkabine dämmern, dass man dem Unionskandidaten Friedrich Merz das Land nicht anvertrauen könne, lautete seine Losung. Scholz erlebte eine Kanzlerdämmerung, die er nicht wahrhaben wollte.

Union-Klage in Karlsruhe: Der Anfang vom Ende

Bevor er der flackernden Ampel am 6. November 2024 mit dem Rauswurf von FDP-Finanzminister Christian Lindner endgültig das Licht ausmachte, hatte er mehrfach im Brustton der Überzeugung gesagt, er wolle dieses schwierige Dreierbündnis auch über die Wahl 2025 hinaus führen. Man kann ihm ausgeprägte Kompromissfähigkeit und -suche nicht absprechen. Aber er hatte zum Regieren am Ende nicht mehr die nötige Autorität.

Erschüttert wurde diese vor allem durch das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts im Herbst 2023. Scholz, zuvor Finanzminister, und Lindner hatten sich darauf verständigt, Milliarden-Kredite, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie gedacht und nicht gebraucht worden waren, in den Klima- und Transformationsfonds zu übertragen. Aber die Union klagte in Karlsruhe dagegen und gewann. Es fehlten plötzlich 60 Milliarden Euro. Rückblickend war das der Anfang vom Ende.

Grundsatzfrage der SPD: Regierung oder Opposition?

Die SPD steht jetzt - wie 2017 und 2013 - vor einer Grundsatzfrage: Regierung oder Opposition? Parteichef Lars Klingbeil hatte nach dem Wahlsieg 2021 ein „sozialdemokratisches Jahrzehnt“ ausgerufen. Auch wenn die Partei nach nur gut drei Jahren das Kanzleramt wieder abgeben muss, könnte sie sich an Macht halten. Denn die CSU hat im Wahlkampf die SPD zum einzig möglichen Koalitionspartner für die Union erklärt und damit schon vor der Wahl die Verhandlungsbasis der Sozialdemokraten deutlich verbessert. Gleichzeitig aber müssen sich die SPD-Oberen auf eine aufgewühlte Basis einstellen, die Tacheles reden will. Und eine Koalition mit der Union dürften die Genossinnen und Genossen in den Ortsvereinen auch nicht einfach so abnicken.

Auch im Parteivorstand gibt es Mitglieder, die eine genaue Fehleranalyse verlangen. Die mögliche Variante, die 63-jährige Saskia Esken könnte zurücktreten und damit Last von Co-Chef Klingbeil nehmen, sei zu simpel, heißt es. Schließlich habe sich Klingbeil selbst zum Wahlkampfmanager erklärt. Nun könne die Partei einem vermuteten Streben Klingbeils ins Kabinett und nach der Kanzlerkandidatur 2029 nicht fraglos zusehen.

SPD wählt am Mittwoch den neuen Fraktionsvorsitz

Es geht jetzt darum, wer in der SPD künftig den Ton angibt. Im vorigen Herbst hatte ein beachtlicher Teil in Partei und Fraktion Verteidigungsminister Boris Pistorius statt Scholz als Kanzlerkandidat gewollt. Aber Scholz wich nicht und Pistorius erklärte, er stehe gar nicht zur Verfügung. Sehr wohl steht er aber für das nächste Kabinett zur Verfügung. Er würde gern Verteidigungsminister bleiben, hat er oft bekundet. Seine Befürworter dürften eine Debatte beginnen, was gewesen wäre, wenn der beliebte Pistorius kandidiert hätte. „Hätte, hätte, Fahrradkette“ hatte der frühere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück über diese Form der Vergangenheitsbewältigung einst gespottet.

An diesem Mittwoch wird die dezimierte Bundestagsfraktion den Fraktionsvorsitz neu wählen. Vorstellbar ist, dass Amtsinhaber Rolf Mützenich zunächst weitermacht. Es sei denn, es gäbe schnell eine Einigung auf einen Nachfolger. Matthias Miersch, der im Herbst von dem erkrankten Kevin Kühnert das Amt des SPD-Generalsekretärs übernommen hatte, träumt schon lange vom Fraktionsvorsitz. Allerdings werden auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas Chancen eingeräumt. Sie gehört wie Mützenich dem großen Landesverband Nordrhein-Westfalen an, wohingegen Miersch, Klingbeil, Pistorius und Arbeitsminister Hubertus Heil allesamt aus Niedersachen kommen. Kaum möglich, dass alle Niedersachsen mit hohen Posten versorgt werden und die NRW-SPD in die Röhre schaut.

Die politische Karriere von Scholz dürfte nun enden. Er ist am Wahlabend in der harten Realität aufgewacht. Halt findet er bekanntlich bei seiner Ehefrau Britta Ernst. Hand in Hand gingen sie am Sonntag zum Wahllokal in Potsdam. Ernst und auch Klingbeil feierten am Sonntag übrigens Geburtstag. Wobei „feiern“ vermutlich nicht das richtige Wort an diesem Tag für die beiden Sozialdemokraten ist.