Julia Knop ist Professorin für Dogmatik an der Universität Erfurt. Sie war Mitglied der Synodalversammlung des Reformprozesses „Synodaler Weg“.
Interview mit Julia Knop zum Synodalen Weg„Schwächer geht es nicht“
Julia Knop ist Professorin für Dogmatik an der Universität Erfurt. Die katholische Theologin war als Mitglied der Synodalversammlung Teil des Reformprozesses „Synodaler Weg“ der katholischen Kirche in Deutschland, der am Samstag nach drei Jahren ein vorläufiges Ende fand. Im Interview blickt sie zurück auf den Prozess und spricht unter anderem über die Segnungen für Homosexuelle und die Aufarbeitung des Missbrauchskandals.
Frau Professorin Knop, was steht für Sie nach drei Jahren Synodaler Weg am Ende dieses Reformprozesses?
Julia Knop: Wir haben auf dem Synodalen Weg eine Reihe von Beschlüssen gefasst zu Themen, die über Jahrzehnte tabuisiert worden waren. Jetzt liegen sie auf dem Tisch. Das ist viel, aber zugleich auch wieder wenig. Denn aus theologischen Grundlagentexten folgt noch keine veränderte Praxis.
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Aber es gab doch auch etliche sogenannte Handlungstexte mit konkreten Inhalten.
Das Bizarre ist, dass diese Handlungstexte teils hinter die schon beschlossenen theologischen Grundlagentexte zurückfallen. Wer denen als Bischof zugestimmt hat, bräuchte eigentlich gar keine Handlungstexte mehr – er könnte direkt praktische Konsequenzen ziehen. Umgekehrt wurden dann Handlungstexte beschlossen, zu denen die theologische Grundlegung zuvor abgelehnt worden war. Das alles kann ich mir nur so erklären, dass Theologie nicht für alle handlungsleitend ist. Die Motive liegen woanders.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Der Grundlagentext zu den Frauen hält zu den Weiheämtern klar fest: Der Ausschluss von Frauen ist diskriminierend und zutiefst ungerecht. Der Handlungstext fordert die Bischöfe jetzt aber lediglich auf, sich für den Diakonat der Frau einzusetzen, also für die unterste Weihestufe. Zur Frage der Priesterweihe reicht es dann gerade noch für die Bereitschaft der Bischöfe, in Rom Argumente einzubringen. Noch defensiver, noch schwächer geht es kaum.
Den Diakonat der Frau forderte in den 1970er Jahren schon die sogenannte Würzburger Synode. 50 Jahre – und kein bisschen weiter. Das kann man doch beim besten Willen nicht als Fortschritt verkaufen.
Nein. Aber das katholische Elend ist, dass kein Rückschritt heute schon ein Fortschritt ist.
Das müssen Sie erklären.
Auf die Zeit der Würzburger Synode, die 1975 endete, folgten die Pontifikate Papst Johannes Pauls II. und Benedikts XVI., die Klerikalismus, Zentralismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie in der Kirche enorm angeschärft haben. Angesichts dieser gesamtkirchlichen Rückwärtsbewegung muss man tatsächlich froh sein, wenn die Kirche 2023 wieder den Stand der 1970er Jahre erreicht. Trotzdem ist das natürlich absolut unbefriedigend, weil Theologie und Gesellschaft ja nicht in den 1970er Jahren stehengeblieben sind.
Somit reichen die Forderungen von damals heute nicht mehr aus, sondern machen umso sichtbarer, wie breit die Kluft, wie groß zumindest in Teilen der Bischofskonferenz der Entwicklungsrückstand, wie riesig der Reformbedarf ist. Der Synodale Weg hat aber auch gezeigt: Man lässt dies den Bischöfen nicht mehr durchgehen. Der Synodale Weg hat das Prinzip der Partizipation in der Kirche quasi umgekehrt.
Wie meinen Sie das?
Es geht natürlich um Partizipation der Gläubigen an der Kirchenleitung – aber auch darum, dass die Bischöfe an den theologischen Debatten partizipieren, dass sie argumentieren müssen und nicht mehr nur dekretieren können.
Ist das wirklich so? Die zentralen Beschlussvorlagen mussten vor der Abstimmung abgeschwächt werden, sonst – so die Drohung – wären sie an der bischöflichen Sperrminorität gescheitert. Nennen Sie das Partizipation?
Nein, das ist Blockade. Aber schauen Sie sich die Redelisten der letzten Synodalversammlung im Vergleich zur ersten an! Da hat eine Entwicklung stattgefunden: Viele Bischöfe traten raus aus der Anonymität, raus aus dem beredten Schweigen der Macht, und haben sich öffentlich zu den Reformvorhaben positioniert. Im weltlichen Kontext ist das lächerlich wenig, ich weiß. Aber in der Kirche ist das schon eine Menge.
Auch das Hantieren mit Verboten aus Rom wirkt weiter – ob es das Verbot der Frauenweihe betrifft oder, wie gerade aktuell, das Einschreiten des Vatikans gegen die Einhegung bischöflicher Macht durch Gremien der Mitbestimmung.
Diese Verbote beanspruchen zwar weiter Geltung, sie verlieren aber zusehends an Wirksamkeit. Bei den Segensfeiern für homosexuelle Paare hat es schon nicht mehr funktioniert. Und über den Versuch Johannes Pauls II., bereits das Nachdenken und Reden über die Frauenweihe zu verbieten, sind wir auch hinaus. Wo das Verbot nach wie vor funktioniert, das sind die Machtfragen. Und das ist sehr bezeichnend.
Die offizielle Erlaubnis von Segensfeiern für queere Paare, aber auch die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt gingen auf der Synodalversammlung vergleichsweise glatt durch. Warum eigentlich? Dazu liegen doch auch römische Verbote vor.
Ich glaube, es liegt daran, welcher Nerv getriggert wird und was die Bischöfe jeweils zum Handeln motiviert. Die empfindlichste Stelle ist die Macht, sind die eigenen Privilegien, ist die eigene Rolle im System. Daran soll partout nicht gerührt werden. Und jeder Versuch, das zu tun, löst sofort ihren Abwehrreflex aus. Im Vergleich dazu tun Zugeständnisse bei anderen Themen weniger weh.
Wo sehen Sie das?
Beim Thema Homo- und Transsexualität haben sich viele Bischöfe vor allem wegen der öffentlichen Aufmerksamkeit bewegt. Segnungen queerer Paare weiter zu verbieten, hätte in der Öffentlichkeit die rote Linie wohl endgültig überschritten – das traut man sich nicht mehr. Von beherzter und geschlossener Zustimmung der Bischofskonferenz zur vollen Akzeptanz queerer Sexualität kann allerdings auch keine Rede sein. Dass die Beschlüsse zu Segnungsfeiern und zur Wertschätzung geschlechtlicher Vielfalt gefasst werden konnten, liegt auch daran, dass etliche Bischöfe sich enthalten haben. Wieder andere haben überhaupt nicht abgestimmt. So tauchen sie in den namentlichen Abstimmungslisten weder als Befürworter noch als Gegner dieser Reformen auf. So verschwinden Bischöfe in Unkenntlichkeit – und die Gläubigen in ihrem Bistum wissen nicht, woran sie sind.
Der öffentliche Druck im Hinblick auf die kirchliche Diskriminierung von Frauen dürfte ähnlich hoch sein.
Da bin ich nicht sicher. Hier sehe eher resigniertes Kopfschütteln über diesen kirchlichen Anachronismus. Die ganz, ganz zaghafte Öffnung des Synodalen Wegs in der Frage der Weiheämter für Frauen folgte vor allem einer eklatanten internen Argumentationsnot: Der Status Quo ist schlicht nicht mehr zu halten. Beim Zölibat, einem weiteren Reformanliegen, lag die Motivation der Bischöfe noch einmal anders. Hier konnten sie sich mit dem Beschluss, den Papst um eine Überprüfung zu bitten, für ihre Priester einsetzen und für sie Sorge tragen.
Aber war denn eigentlich nicht der sexuelle Missbrauch der bloßliegende Nerv, den die Bischöfe nach 2019 mit dem Synodalen Weg behandeln wollten?
So hätte es sein müssen. Aber ich deute die Entscheidung für den Synodalen Weg anders: Sie folgte aus der Offenlegung des Missbrauchs, dem öffentlichem Skandal, dem Ansehensverlust der Institution Kirche und ihrer Vertreter. Das hat bei den Bischöfen den Nerv getroffen. Der Missbrauch selbst hat über Jahrzehnte in der Kirchenleitung ja an niemandes Nerv gerührt.
Haben die Ergebnisse des Synodalen Wegs dann überhaupt heilende Wirkung?
Nein, zumindest nicht, solange immer noch einige Bischöfe hoffen, mit einem Reförmchen hier, einem Zugeständnis da das alte Ansehen der Kirche und der Amtsträger wiederherstellen zu wollen. Nicht, solange sie die Kirche retten wollen, statt sie zu erneuern. Das mag den Nerv betäuben, aber es beruhigt ihn nicht.
Im Gegenteil: Das würde schon wieder dem Systemerhalt und dem Institutionenschutz dienen. Am neuralgischen Punkt, an dem Heilung tatsächlich beginnen könnte, haben sich die Bischöfe auf dem Synodalen Weg verweigert: Sie lassen auf ihre Macht nichts kommen. Konflikte auf dem Synodalen Weg wurden immer dann manifest, wenn es um die Rolle der Bischöfe ging: um ihr Lehramt, um ihre Leitungskompetenz, um ihre Sperrminorität, um Autorität und Gehorsam gegenüber Rom. Zu all dem wurden zwar wirklich gut durchdachte Grundlagen- und Orientierungstexte verabschiedet – aber zu konkreten Konsequenzen konnten sich die Bischöfe bisher nicht mehrheitlich durchringen
Zur Person
Julia Knop, geboren 1977, ist Professorin für Dogmatik an der Universität Erfurt. Die katholische Theologin war als Mitglied der Synodalversammlung Teil des Reformprozesses „Synodaler Weg“ der katholischen Kirche in Deutschland, der am Samstag nach drei Jahren ein vorläufiges Ende fand. Knop ist nun für drei Jahre in den 74-köpfigen „Synodalen Ausschuss“ gewählt, der die Arbeiten des Synodalen Wegs fortsetzen soll. (jf)