Bundeskanzler Olaf Scholz und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz haben sich im ersten TV-Duell einen inhaltlichen Schlagabtausch geliefert. Einige Aussagen im Faktencheck.
Kanzlerduell zwischen Scholz und MerzAbstimmung mit AfD, Migration, Wirtschaft – das TV-Duell im Faktencheck
![09.02.2025, Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, l), steht neben Friedrich Merz, Unions Kanzlerkandidat und CDU Bundesvorsitzender, vor dem TV-Duell von ARD und ZDF. In 90 Minuten stellen sich beide im Studio Berlin-Adlershof zentralen Fragen und debattieren zu den wesentlichen Themen des Bundestagswahlkampfs. Moderiert wird die Sendung von Sandra Maischberger (ARD) und Maybrit Illner (ZDF). Foto: Michael Kappeler/dpa-Pool/dpa +++ dpa-Bildfunk +++](https://static.ksta.de/__images/2025/02/10/307b3d8f-9162-456c-89b2-35dbd9a270f1.jpeg?q=75&q=70&rect=441,156,3306,1860&w=2000&h=1358&fm=jpeg&s=674cc44cbe895dff0e1ad128d74531f5)
Bundeskanzler Olaf Scholz und CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz im TV-Duell: Wie genau nahmen sie es mit den Fakten?.
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Es war das erste von mehreren TV-Duellen der Kanzlerkandidaten vor der Bundestagswahl: Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU) trafen in der von ARD und ZDF ausgestrahlten Sendung aufeinander und stritten sich über die wichtigen Themen des Wahlkampfs. Dafür, dass dieser Wahlkampf äußerst aufgeheizt verläuft, blieb der Streit recht sachlich.
Und anders als es zuletzt etwa im US-Präsidentschaftswahlkampf der Fall war, setzte keiner der beiden Duellanten auf Lügen und grobe Falschaussagen. Zu mancher Ungenauigkeit oder irreführenden Aussage kam es trotzdem. Ein Faktencheck.
Abstimmungen mit der AfD – darum geht es
Gleich zu Beginn des TV-Duells ging es um die gemeinsame Abstimmung der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag mit der AfD in der letzten Januarwoche. Scholz bekräftigte, er könne Merz nicht mehr trauen, dass er in Zukunft nicht mit der AfD zusammenarbeite. Die gemeinsame Abstimmung sei aus seiner Sicht „ein Wortbruch und ein Tabubruch“.
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Merz zog daraufhin einen Zettel aus seiner Sakkotasche und konterte den Bundeskanzler, indem er vorlas, was der 2023 in einem Interview mit der „Thüringer Allgemeinen Zeitung“ gesagt hatte. Damals ging es um Scholz‘ Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der AfD und die Frage, ob sich das auch im Kommunalen durchziehen lasse.
![09.02.2025, Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, l), steht neben Friedrich Merz, Unions Kanzlerkandidat und CDU Bundesvorsitzender, vor dem TV-Duell von ARD und ZDF. In 90 Minuten stellen sich beide im Studio Berlin-Adlershof zentralen Fragen und debattieren zu den wesentlichen Themen des Bundestagswahlkampfs. Moderiert wird die Sendung von Sandra Maischberger (ARD) und Maybrit Illner (ZDF). Foto: Michael Kappeler/dpa-Pool/dpa +++ dpa-Bildfunk +++](https://static.ksta.de/__images/2025/02/10/609e3b02-0c28-4b37-a709-cd94ede6ea40.jpeg?q=75&q=70&w=2000&h=1332&fm=jpeg&s=f9f18eed4e68bc1dc63949cc8d6cea92)
Gleich zu Beginn des TV-Duells ging es um die gemeinsame Abstimmung der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag mit der AfD in der letzten Januarwoche.
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Scholz sagte damals: „Eindeutig ja. Ich sehe auch in den Kommunen keinen Anlass für eine Zusammenarbeit. Wenn mehr Geld in den Kindergarten investiert werden soll, und die AfD einen entsprechenden Antrag stellt, dann müssen die anderen Parteien da nicht zustimmen, sondern können selbst einen solchen Antrag einbringen.“ Die Zeitung hakte nach: „Aber wenn die Stimmen der AfD für die Mehrheit benötigt werden?“ Darauf Scholz: „Das ist doch keine Zusammenarbeit.“ Auf Nachfrage präzisierte er: „Mir scheint, hier wird etwas künstlich auf der kommunalen Ebene problematisiert, das weder im Bundestag noch in den 16 Landtagen zum Problem würde. Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt.“
Friedrich Merz kommentierte diese zitierten Äußerungen des Bundeskanzlers folgendermaßen: „Also klarer kann man es nicht mehr sagen. Klarer sage ich es auch nicht. Es ist klar. Und wenn Sie das jetzt nicht glauben, Herr Scholz, Entschuldigung, dann ist es Wahlkampf. Aber dann hat es mit der Wirklichkeit nichts zu tun.“
Das stimmt
Friedrich Merz hat Olaf Scholz hier vollständig und richtig zitiert, das erkannte auch der Bundeskanzler an.
Das stimmt nicht
Scholz‘ Aussage bezog sich im Jahr 2023 auf schwierige Mehrheitsverhältnisse in Kommunalparlamenten, in denen eine Mehrheitsfindung ohne die Stimmen von AfD-Vertretern nicht möglich seien. Scholz ging es damals jedoch nicht darum, zu sagen, dass er es für unproblematisch halte, in Landtagen oder im Bundestag gemeinsam mit der AfD zu stimmen, wenn sich nur so eine Mehrheit erreichen lasse. Darauf verwies Scholz auch im TV-Duell.
So haben wir recherchiert
Olaf Scholz Interview-Aussagen lassen sich im Zeitungsarchiv nachlesen und sind beispielsweise in diesem Faktencheck der ARD zu einer „Maischberger“-Sendung vom 29. Januar 2025 zitiert.
Artikel 16a des Grundgesetzes und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen – darum geht es
Friedrich Merz beharrte auch im TV-Duell weiter auf der Forderung nach der Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen. Olaf Scholz entgegnete, das verstoße gegen geltendes Recht. Merz sagte: „Das Grundgesetz ist im Jahr 1993 geändert worden und seitdem hat niemand mehr, der auf dem Landweg eine deutsche Grenze erreicht, einen Anspruch darauf, ein Asylverfahren zu bekommen, auch wenn er Asyl sagt.“ Später konkretisierte Merz diese Aussage noch und verwies auf Artikel 16a des Grundgesetzes.
Das stimmt
In Artikel 16a Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ In Absatz zwei wird das dann stark eingeschränkt. Dort heißt es unter anderem: „Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.“
Das stimmt nicht
Damit lassen sich die rechtlichen Bedenken gegen die Forderung nach Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen jedoch nicht wegwischen. Zum einen spielen Entscheidungen nach Artikel 16a bei den Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nur eine geringe Rolle. Von allen Asylbewerbern, die im Jahr 2024 als Flüchtling anerkannt wurden, erging diese Entscheidung nur in 0,7 Prozent der Fälle nach Artikel 16a.
Die rechtlichen Bedenken beziehen sich zudem vor allem auf das europäische Recht. Der Rechtswissenschaftler Constantin Hruschka, der zum europäischen Asylrecht forscht, sagte dem RND kürzlich, eine Zurückweisung von Schutzsuchenden an der deutschen Grenze ohne Prüfung sei nicht zulässig, das werde auch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt. Diese Position vertreten auch einige andere Rechtsexperten und die aktuelle Bundesregierung. Einigkeit unter Juristen besteht in dieser Frage allerdings nicht.
So haben wir recherchiert
Zur Debatte um Zurückweisungen haben sich in den vergangenen Monaten zahlreiche Rechtswissenschaftler geäußert. Wir haben dazu zuletzt mit Professor Constantin Hruschka gesprochen.
Bezahlkarten für Asylbewerber, Bargeld und die Grünen – darum geht es
Friedrich Merz hielt Olaf Scholz vor, die Bundesregierung habe, obwohl die Ministerpräsidenten der Länder dafür seien, noch immer keine einheitliche Bezahlkarte für Asylsuchende eingeführt. Einen Vorwurf richtete er insbesondere an die Grünen: „Die Grünen zahlen in ihren Geschäftsstellen Bargeld aus, auf die Bezahlkarten, die sie eigentlich als Bezahlkarte nutzen sollten und nicht als Bargeld.“
Das stimmt
Tatsächlich gibt es bei den Grünen einigen Widerstand gegen die Einführung von Bezahlkarten für Asylsuchende – und auch gegen viele andere Verschärfungen in der Asyl- und Migrationspolitik. An einigen Orten in Deutschland haben sich als Protest gegen die Einführung von Bezahlkarten – und zur Unterstützung von Asylsuchenden gegen Einschränkungen durch diese Karten – Tauschzirkel gebildet.
Dort können Geflüchtete Wertgutscheine beispielsweise aus Supermärkten, die sie mit ihrer Bezahlkarte gekauft haben, gegen Bargeld tauschen. In Regensburg stellen die Grünen ihre Geschäftsstelle dafür zur Verfügung, in Hamburg und Halle organisiert Die Linke solche Tauschzirkel.
Das stimmt nicht
Allerdings zahlt nicht die Partei Bündnis 90/Die Grünen Geflüchteten Bargeld aus. Es handelt sich um lokale Initiativen, der Tausch findet zwischen Geflüchteten und Freiwilligen statt.
So haben wir recherchiert
Das RND ist der Frage, wie die Bargeldobergrenze der Bezahlkarten durch Tauschzirkel umgangen wird und welche Rolle Parteien dabei spielen, erst vor wenigen Tagen mit einem ausführlichen Artikel nachgegangen.
70 Prozent mehr Abschiebungen – darum geht es
Olaf Scholz betonte mehrfach, seine Bundesregierung setze bereits einen deutlich verschärften Asyl- und Migrationskurs durch. Nicht nur die Zahl der Asylgesuche sei deutlich gesunken: „Und wir haben die Abschiebung um 70 Prozent gesteigert, seitdem ich Kanzler bin.“
Das stimmt
Diese Aussage Scholz‘ stimmt isoliert betrachtet. Seit 2021 wurde die Zahl der Abschiebungen laut vorläufigen Zahlen um etwa 70 Prozent gesteigert. Im Jahr 2021 waren es knapp 12.000 Abschiebungen, 2024 waren es bis Ende November rund 18.400 Abschiebungen – bis zum Jahresende hochgerechnet dürfte die vollständige Zahl für das Jahr laut dem Statistikdienstleister Statista bei etwa 20.100 liegen.
Das stimmt nicht
Scholz unterschlug bei seiner Antwort jedoch eine wichtige Information: Die Zahl der Abschiebungen hat sich in der Corona-Pandemie im Jahr 2020 mehr als halbiert. 2019 wurden noch mehr als 22.000 Menschen abgeschoben, im Jahr 2016 lag die Zahl sogar bei über 25.000. Die Zahl für das Jahr 2024 liegt demnach voraussichtlich weiter unter dem Vor-Pandemie-Stand.
So haben wir recherchiert
Der Statistikdienstleister Statista hat die Abschiebungszahlen der vergangenen Jahre anschaulich visualisiert und bezieht sich dabei auf Zahlen des Innenministeriums.
„Deindustrialisierung“ und Arbeitsplatzverlust – darum geht es
Auch in wirtschaftspolitischen Themen waren sich der Bundeskanzler und der CDU-Kanzlerkandidat gewohnt uneinig. Olaf Scholz sagte, es gebe keine Deindustrialisierung in Deutschland. Merz hielt ihm entgegen: „Was ist denn der Verlust von 300.000 Arbeitsplätzen in der Industrie anderes? Das ist Deindustrialisierung.“
Das stimmt
Die Aussichten für die deutsche Industrie sind nach Ansicht von Industrievertretern und Politikern verschiedener Parteien alles andere als rosig. Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall sagte im Oktober 2024, er rechnet in den nächsten fünf Jahren mit einem Verlust von 250.000 bis 300.000 Arbeitsplätzen in der Metall- und Elektroindustrie.
Das stimmt nicht
Bei der von Merz genannten Zahl 300.000 handelt es sich allerdings nur um eine Prognose dessen, was der deutschen Industrie und dem deutschen Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren bevorstehen könnte. Die Erwerbstätigenzahlen bis 2024 spiegeln eine solche Entwicklung noch nicht wider.
So haben wir recherchiert
Die Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen in der Industrie (Produzierendes Gewerbe) finden sich beim Statistischen Bundesamt. Über die Warnung des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall haben wir im Oktober 2024 berichtet.