Moskau hat einen der größten Luftangriffe des Krieges geflogen, Faeser spricht von einem Kriegsverbrechen. Welche Reaktion gibt es auf dem Nato-Gipfel?
Raketenangriff trifft Kinderklinik in Kiew„Kleine Krebs- und Dialysepatienten sitzen mit ihren Müttern auf dem Bürgersteig“
Nach den jüngsten russischen Raketenangriffen auf ukrainische Städte mit Dutzenden Todesopfern steht Moskau einmal mehr am Pranger der internationalen Gemeinschaft. Der UN-Weltsicherheitsrat will sich in einer Dringlichkeitssitzung mit den Angriffen befassen, die unter anderem eine Kinderklinik in Kiew schwer beschädigt hatten. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, verurteilte die russischen Raketenangriffe und forderte, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Heftige Luftangriffe: Russische Raketen treffen Kinderkrankenhaus in Kiew
Bei den Attacken auf Kiew und Dnipro waren mehr als drei Dutzend Menschen getötet und über 140 verletzt worden. Nach Angaben der Militärverwaltung starben in der Hauptstadt mindestens 27 Menschen, unter ihnen drei Kinder, 82 Menschen wurden verletzt. In Dnipro wurden offiziell elf Tote und 59 Verletzte gemeldet. Präsident Wolodymyr Selenskyj präsentierte auf der Plattform X abweichende Zahlen – er sprach am Dienstag von insgesamt 38 Toten, darunter vier Kinder. Darüber hinaus gäbe es 190 Verletzte.
Der Treffer auf eine der größten ukrainischen Kinderkliniken in Kiew löste Fassungslosigkeit aus. Präsident Wolodymyr Selenskyj veröffentlichte im sozialen Netzwerk X ein Video, das zerstörte Krankenzimmer und Blutspuren auf dem Fußboden zeigt. „Russland kann sich nicht unwissend stellen, wohin seine Raketen fliegen, und muss für alle seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden“, schrieb der Präsident.
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Ukraine: Selenskyj und Klitschko verurteilen Angriff auf Kinderklinik in Kiew
Bürgermeister Vitali Klitschko sprach von 16 Verletzten in dem Krankenhaus, unter ihnen sieben Kinder. Zwei der Verletzten starben demnach. Laut Gesundheitsminister Wiktor Ljaschko wurden in dem Kinderkrankenhaus Abteilungen für Dialyse, Krebsbehandlung, Operationssäle und die Intensivstation beschädigt.
Hunderte Anwohner halfen Rettungskräften, Trümmer zu räumen und nach Opfern zu suchen. „Kleine Krebs- und Dialysepatienten sitzen mit ihren Müttern auf dem Bürgersteig“, berichtete der deutsche Botschafter Martin Jäger auf X von einem Besuch am Krankenhaus. Die Botschaft hisste ihre Flaggen infolge des Angriffs auf Halbmast. „Wir werden den Opfern und ihren Familien helfen. Vor allem die Kinder aus Okhmatdet werden wirksame Unterstützung aus Deutschland erhalten“, versicherte Jäger.
„Die Welt versagte, russische Kriegsverbrecher zu stoppen“, schrieb der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk. Bundesinnenministerin Nancy Faeser verurteilte den Angriff scharf und wertete ihn als Kriegsverbrechen. „Der Raketenangriff auf eine Kinderklinik ist ein furchtbares Kriegsverbrechen, das erneut zeigt, mit welch unfassbarer Unmenschlichkeit Putin seinen Krieg gegen die Ukraine führt“, erklärte sie in einer Mitteilung mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Moskau beteuert indes immer noch, die Raketenangriffe hätten Rüstungsfabriken und Militärflugplätzen der Ukraine gegolten. Die Schäden in Kiew seien von einer ukrainischen Flugabwehrrakete verursacht worden, so das russische Verteidigungsministerium – ohne einen einzigen Beleg dafür zu nennen.
Ukraine vermutet gezielten Angriff auf Krankenhaus – Kreml erzählt andere Geschichte
Selenskyj wies die russischen Behauptungen zu einem Fehler der Flugabwehr zurück. „Was für ein Zynismus, den die Mistkerle im Kreml an den Tag legten, dass es angeblich die ukrainische Flugabwehr und kein gezielter Raketenschlag war“, sagte er auf einer Pressekonferenz mit dem polnischen Regierungschef Donald Tusk in Warschau.
Die Videobilder ließen keine Zweifel daran, dass hier eine russische Rakete eingeschlagen sei. Für einen gezielten Angriff spreche auch die Tatsache, dass noch ein zweites Krankenhaus in der Hauptstadt auf der anderen Seite des Dnipro angegriffen worden sei.
Russland setzte mehrere Dutzend Raketen ein
Der schwere Angriff am Montagmorgen mit laut ukrainischen Angaben rund 40 Raketen verdeutlich vor dem Nato-Gipfel einmal mehr die Notlage der ukrainischen Armee, die auf Waffenlieferungen aus dem Westen angewiesen sind. Nach jüngsten Angaben hat die Ukraine vier der besonders leistungsfähigen Patriot-Systeme aus US-Produktion erhalten, braucht aber nach eigener Einschätzung viel mehr.
Kiew hofft zudem auf weitere Zusagen beim Nato-Gipfel, der am Dienstag in Washington beginnt. Unter anderem sind bis zu sechs Patriot-Systeme aus Israel im Gespräch. „Wir brauchen Mittel, um unsere Menschen zu schützen“, sagte Selenskyjs Stabschef Andrij Jermak in einer Online-Pressekonferenz. Er gehe davon aus, dass Russland gezielt vor dem Nato-Gipfel angegriffen habe.
Nato-Gipfel wirft Schatten voraus – Scholz mit Botschaft an Wladimir Putin
Die Frage der Unterstützung für die Ukraine ist ein zentrales Thema beim Treffen des westlichen Verteidigungsbündnisses, das seit 75 Jahren besteht. Zum Schutz vor Russland hofft die Ukraine auf eine Mitgliedschaft. Dazu werden aber keine neuen Schritte erwartet. „Man hat der Ukraine zugesichert, dass sie in die Nato aufgenommen wird, dass das auch relativ rasch gehen wird im Vergleich zu anderen Mitgliedsaufnahmen. Aber: Die Tür ist momentan immer noch zu. Insbesondere Deutschland und die Vereinigten Staaten stehen hier auf der Bremse“, schätzt Professor Thomas Jäger, Politikwissenschaftler an der Universität zu Köln, bei „ntv“ die Lage ein.
Ein kurzfristiger Beitritt gilt also als ausgeschlossen, vor dem Nato-Gipfel hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der Ukraine allerdings nochmals die langfristige Unterstützung gegen den russischen Angriffskrieg zugesichert. „Und es ist gut, dass wir das in den letzten Tagen noch einmal verstärkt haben mit einer ganz klaren Botschaft: Wir werden der Ukraine so lange beistehen, wie das erforderlich ist“, sagte Scholz in Berlin vor seiner Abreise zu dem Treffen in Washington.
Olaf Scholz sendet eindeutige Botschaft an Wladimir Putin: „Kann den Krieg nicht aussitzen“
Er verwies auf Waffenlieferungen und die gemeinsame Initiative der wichtigsten Industriestaaten. Die G7-Staaten hatten sich bei ihrem Gipfel in Italien darauf verständigt, mithilfe von Zinsen aus eingefrorenem russischen Staatsvermögen ein Kreditpaket im Umfang von etwa 50 Milliarden US-Dollar (etwa 47 Mrd. Euro) zu finanzieren.
Scholz sagte, dies sei ein klares Zeichen der Solidarität, aber auch eine Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dieser könne nicht darauf setzen, „dass er diesen Krieg gewissermaßen aussitzt und wartet, bis die Unterstützung für die Ukraine nachlässt“. (pst mit dpa)