Vitali Klitschko macht in Bezug auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj keinen Hehl aus seiner Enttäuschung.
„Wahrscheinlich hat er anderes zu tun“Klitschko spricht über zerrüttetes Verhältnis zu Selenskyj
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hat sich in einem Interview zu seinem Verhältnis zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geäußert. Der ehemalige Schwergewichtsweltmeister im Boxen machte dabei im Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe keinen Hehl daraus, dass die Zusammenarbeit nicht nach seinen Vorstellungen läuft und offenbarte darüber hinaus persönliche Differenzen.
Vitali Klitschko beklagt Verhältnis zu Wolodymyr Selenskyj: kein Treffen, keine Einheit
Klitschko beklagte mit Blick auf sein Verhältnis zu Selenskyj einen Mangel an Zusammenhalt unter den führenden Politikern in der Ukraine: „Leider gibt es in dieser Kriegszeit keine Einheit zwischen den politischen Kräften“, sagte der Bürgermeister von Kiew.
Auf die Frage, ob er sich mit Selenskyj mittlerweile getroffen habe, um die Spannungen zwischen den beiden aus der Welt zu schaffen, sagte Klitschko, er habe das seit dem Kriegsanfang zigmal versucht, weil von der Hauptstadt viel abhänge. „Aber leider hatte ich nicht die Gelegenheit, Selenskyj persönlich zu treffen. Wahrscheinlich hat er anderes zu tun.“
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Klitschko legt nach Angriff auf Selenskyj in Interview nach
Wichtig sei es, in der aktuellen Lage politische Ambitionen zu vergessen. „In einer solchen Situation politischen Wettbewerb zu betreiben, ist Dummheit.“ Klitschko hatte Selenskyj Anfang Dezember 2023 ungewöhnlich deutlich Fehler vorgeworfen. Insbesondere die mangelnden Kriegsvorbereitungen lastete Klitschko dem Präsidenten der Ukraine an.
„Die Leute fragen sich, wieso wir auf diesen Krieg nicht besser vorbereitet waren. Wieso Selenskyj bis zum Schluss verneinte, dass es dazu kommen werde“, erklärte Klitschko vor knapp einem halben Jahr gegenüber dem schweizerischen Nachrichtenportal 20 Minuten. Selenskyj zahle nun für die Fehler, die er gemacht habe, so Klitschko weiter.
Klitschko äußert sich zu vielfältigen Problemen in der Ukraine
Im aktuellen Interview wirft Vitali Klitschko der ukrainischen Regierung vor, zu wenig gegen die im Land grassierende Korruption zu unternehmen. Auf die Frage, ob die Regierung bei der Korruptionsbekämpfung auf einem guten Weg sei, sagte er: „Diese Frage können Sie jedem Bürger stellen und ich bin sicher, jeder Bürger sagt: ‚Nein‘.“ Er selbst habe „genau dieselbe Meinung“.
Selenskyj kündigte immer wieder einen rigorosen Kampf gegen Korruption und Veruntreuung von Mitteln im Staatsapparat an. Der Nachweis von Erfolgen bei diesem Kampf gilt auch als Voraussetzung für eine EU-Mitgliedschaft seines Landes. Erst vor wenigen Tagen hatte Agrarminister Mykola Solskyj aufgrund von Korruptionsvorwürfen seinen Rücktritt eingereicht. Das ukrainische Antikorruptionsbüro wirft ihm vor, er habe sich ungesetzlich staatliche Grundstücke im Wert von Millionen angeeignet.
Klitschko und Selenskyj: Die Gesichter des ukrainischen Widerstands sind sich nicht einig
Klitschko wies auf die durch russische Drohnen verursachten Schäden hin und forderte eine stärkere internationale Unterstützung bei der Luftabwehr. „Wir haben ein Defizit an Luftabwehrsystemen“, sagte Klitschko. Auch die Bürger in Odessa, in Dnipro oder Charkiw bräuchten einen guten Schutz. Nach zwei Jahren Krieg seien die Schäden in Kiew riesig. Durch die Luftangriffe seien mehr als 800 Gebäude beschädigt und zerstört worden, darunter fast 440 Wohnhäuser.
Mehr als 200 Menschen seien durch die Luftangriffe ums Leben gekommen, darunter sieben Kinder. Besonders zynisch sei es im Winter 2022/2023 gewesen, als die russische Armee versucht habe, die kritische Infrastruktur der Stadt zu zerstören. „Das ist Völkermord. Es ist Terror, die größte Stadt in Osteuropa ohne Wasser, Strom und Heizung zu lassen.“
Klitschko ist neben Präsident Wolodymyr Selenskyj das Gesicht des ukrainischen Widerstands gegen die russische Invasion. Vor allem in Deutschland, wo der inzwischen 52-Jährige während seiner Laufbahn im Profisport viele Kämpfe absolviert hat, genießt der frühere Box-Champ hohes Ansehen.
Kiews Armeechef räumt militärische Rückschläge ein
Die Lage an den Fronten im Osten des Landes wird für die ukrainischen Verteidiger derweil immer brenzliger. Armeechef Olexander Syrskyj gestand am Sonntag Rückschläge ein. Vor allem westlich der nach schweren Kämpfen aufgegebenen Städte Awdijiwka und Marijinka hätten russische Einheiten die ukrainischen Verbände zurückgedrängt, berichtete er auf der Plattform Telegram. Die ukrainische Führung habe inzwischen weitere Soldaten in das umkämpfte Gebiet geschickt.
Vor Ort sei die Lage „äußerst dynamisch“, Stellungen würden immer wieder an die Gegenseite verloren und dann zurückerobert. „Insgesamt erzielte der Feind in diesen Gebieten einige taktische Erfolge, konnte aber keinen operativen Vorteil erringen“, schrieb Syrskyj. Auch der ukrainische Generalstab berichtete am Abend in seinem täglichen Lagebericht von schweren Kämpfen, in deren Verlauf die russischen Truppen massiv von Luftwaffe und Artillerie unterstützt worden seien.
Die russische Militärführung hatte bereits am Samstag von einem Einbruch in die ukrainischen Verteidigungslinien in diesem Abschnitt berichtet. Das genaue Ausmaß der Frontveränderungen war von unabhängiger Seite zunächst nicht zu bewerten. (pst mit dpa)