Moskau räumt Gefechte an der Grenze ein, über die aktuelle Lage gibt es allerdings sehr unterschiedliche Aussagen.
Krieg erreicht kurz vor Wahlen RusslandRussische Anti-Putin-Miliz meldet Eroberung russischen Grenzortes
Kurz vor den russischen Präsidentenwahlen stiften russische Putin-Gegner an der ukrainischen Grenze Unruhe mit einem bewaffneten Vorstoß und versuchen, Moskau bloßzustellen.
Von der Ukraine bewaffnete russische Putin-Gegner sind nach eigenen Angaben in russische Orte nahe der ukrainischen Grenze eingerückt und haben diese teilweise auch erobert. „Die Legion ‚Freiheit Russlands‘, das Russische Freiwilligenkorps und das Sibirische Bataillon sind in die Gebiete Kursk und Belgorod im Rahmen einer gemeinsamen Operation vorgedrungen“, schrieb der in der Ukraine lebende Ex-Abgeordnete der russischen Duma, Ilja Ponomarjow, am Dienstag bei Telegram.
Die „Russische Freiwilligenkorps“ veröffentlichte mithilfe von Nachtsichtgeräten gefilmte Aufnahmen seiner Kämpfer im Gefecht. „Das Dorf Tjotkino in der Region Kursk wird vollständig von den russischen Befreiungskräften kontrolliert“, erklärte die Miliz „Freiheit für Russland“ am Dienstagmittag. Die russische Armee ziehe sich aus dem Dorf zurück und lasse schwere Waffen zurück.
Legion ‚Freiheit Russlands‘ und das Russische Freiwilligenkorps greifen russisches Staatsgebiet an
„Wie alle unsere Mitbürger träumen wir von einem Russland, das von Putin frei ist. Aber wir nicht nur träumen, sondern geben uns alle Mühe, um diese Träume umzusetzen. Wir werden dem Regime unser Land Zentimeter für Zentimeter wegnehmen“, heißt es in einer Mitteilung der Milizen zur Begründung des Manövers.
Wenn Wladimir Putin nicht mehr herrsche, könnten die Russen wählen, „wen sie wollen, und nicht, wen sie wählen müssen“, heißt es weiter – eine klare Anspielung auf die bevorstehende Präsidentschaftswahl in Russland.
Putin-Gegner wollen mit Angriff offenbar Einfluss auf Wahlen nehmen
Die Legion besteht aus Überläufern der russischen Streitkräfte sowie anderen russischen und belarussischen Freiwilligen. „Die Legion ‚Freiheit Russlands‘ wurde im Frühjahr 2022 aus dem Wunsch der Russen selbst heraus gegründet, in den Reihen der Streitkräfte der Ukraine gegen Putins bewaffnete Bande zu kämpfen“, heißt es auf der Website der Freiwilligeneinheit. „Wir rufen alle Russen, alle Soldaten und Offiziere Russlands auf, sich uns und unserem Kampf für ein freies Russland anzuschließen“, schreibt die Legion weiter.
Das Verteidigungsministerium in Moskau räumte den Angriff ein. Eine Gruppe „ukrainischer Saboteure“ habe versucht, in die Region Kursk in der Nähe des Dorfes Tjotkino einzudringen, sagte Gouverneur Roman Starovoit auf seinem Telegram-Kanal. „Es gab einen Durchbruchsversuch einer Sabotage- und Aufklärungsgruppe. Es folgte ein Feuergefecht, aber es gab keinen Durchbruch“, zitiert die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass den Gouverneur am Dienstagmorgen.
Der Gouverneur von Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, meldete „Schüsse“ auf den grenznahen Ort Prilesje. Unter anderem sie dabei eine Hochspannungsleitung getroffen worden. Wenige Stunden zuvor hatte die Ukraine einen ihrer folgenschwersten Drohnenangriffe auf russisches Gebiet seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 verübt.
Die Angriffe trafen nach Behördenangaben unter anderem eine bedeutende Erdölraffinerie im rund 800 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernten Kstowo, einer Vorstadt der Millionenmetropole Nischni Nowgorod.
Kreml spielt Angriff von Putin-Gegnern auf russisches Staatsgebiet runter: „Luftverteidigung funktioniert“
Der für die Grenzsicherung zuständige Inlandsgeheimdienst FSB hatte Berichte über ein Eindringen über die Grenze zunächst als unwahr bezeichnet. Bis zu 60 Soldaten seien „bei einem versuchten Einmarsch in die Regionen Belgorod und Kursk“ getötet worden. Der FSB wies laut Tass „Gerüchte in den sozialen Medien“ über Überfälle in einige Grenzdörfer in den Regionen Belgorod und Kursk zurück. „Diese Spekulationen haben nichts mit der Realität zu tun“, sagte der FSB.
Am späten Dienstagvormittag sah sich dann sogar der Kreml dazu genötigt, die Angriffe zu kommentieren – und spielte diese herab. „Unsere Soldaten tun alles Notwendige, die Luftverteidigung funktioniert“, so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Der Feind habe vier Angriffe mit mehreren Panzern gefahren, dabei allerdings schwere Verluste erlitten und sei zurückgeschlagen worden. Die militärische Sonderoperation gehe weiter. Die russischen Kämpfer der Legion „Freiheit Russlands“ bezeichnete der Kreml als in einer entsprechenden Meldung zur Lage als „ukrainische Terroristen“.
Ponomarjow stellt die Situation am Dienstagmorgen etwas anders dar. Ihm zufolge soll es Kämpfe im Ort Tjotkino des Gebietes Kursk geben. Der Weiler Losowaja Rudka im Belgoroder Gebiet soll unter Kontrolle der Putin-Gegner sein. Dazu wurden Videos unter anderem von einem Panzer in einem Dorf gezeigt. In ihren Videobotschaften riefen die vermummten Kämpfer in ukrainischen Uniformen dazu auf, die Präsidentschaftswahl in Russland am kommenden Sonntag zu ignorieren.
Die russischen Militärangaben waren ebenso wie die Angaben auf ukrainischer Seite nicht unabhängig überprüfbar.
Nicht der erste Ärger für Wladimir Putin mit Legion „Freiheit Russlands“ und Russischem Freiwilligenkorps
Der Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Andrij Jussow, betonte in Kommentaren für Kiewer Medien, dass die Einheiten ausschließlich aus russischen Staatsbürgern bestünden. „Auf dem Gebiet der Russischen Föderation handeln sie absolut autonom, selbstständig und setzen ihr gesellschaftlich-politisches Programm um“, sagte der Geheimdienstvertreter dem Internetportal „Ukrajinska Prawda“. Laut eigenen Angaben wird die Legion „Freiheit Russlands“ allerdings von den ukrainischen Streitkräften anerkannt und unterstützt.
Bereits im vergangenen Jahr hatte die Legion „Freiheit Russlands“ ebenfalls gemeinsam mit dem vom in Köln aufgewachsenen deutsch-russischen Neonazi Denis Kapustin angeführten „Russischen Freiwilligenkorps“ Angriffe in der Region Belgorod auf russisches Staatsgebiet durchgeführt.
Hintergrund der jüngsten Attacken ist die für diese Woche in Russland geplante Präsidentschaftswahl. Amtsinhaber Wladimir Putin beabsichtigt, sich für weitere sechs Jahre bestätigen zu lassen. Sein Wahlsieg gilt als ausgemacht.
Wie die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass am Montag berichtete, befinde sich Wladimir Putin laut Umfragen „mit 82 Prozent der Stimmen […] auf dem Weg zur Wiederwahl“. Auch die Wahlbeteiligung prognostizierte Tass bereits, diese werde bei etwa 71 Prozent erwartet. Laut den Ergebnissen einer vom Russischen Zentrum für Meinungsforschung (VCIOM) durchgeführten Umfrage liege Nikolay Kharitonov von der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (CPRF) mit 6 Prozent auf Platz 2. (mit dpa/afp)