In der Grenzregion Charkiw toben seit Wochen heftige Kämpfe. Wie ein Militärblogger berichtet, erlebte seine Truppe in Wowtschansk ein Fiasko.
„Sie zerstückeln uns einfach“Russischer Soldat schildert verheerende Lage in Wowtschansk
Ungeachtet der Bemühungen eines großen Teils der Weltgemeinschaft um Frieden in der Ukraine haben russische Truppen am Samstag ihre Angriffe an diversen Frontabschnitten fortgesetzt. Unterstützt von ihrer Luftwaffe griffen russische Einheiten im Osten des Landes erneut in der Umgebung von Wowtschansk an, wie der Generalstab in Kiew am Abend in seinem täglichen Lagebericht mitteilte.
Wladimir Putin schickt seit Mitte Mai vermehrt russische Truppen an Front bei Belgorod
Die Kleinstadt ist für den Kreml eine wichtige Zwischenstation, von hier aus könnten weitere Vorstöße durchgeführt werden. Die Stadt im Grenzgebiet bei Charkiw wird seit Mitte Mai von russischen Angriffen heimgesucht, die Ukraine beschießt ihrerseits das auf russischer Seite nur wenige Kilometer entfernte Belgorod, wo der Kreml seine Truppen sammelt und versorgt.
Mehrere Berichte legen inzwischen nahe, dass die Lage in Wowtschansk für die russischen Truppen immer problematischer wird. Truppen seien eingekesselt, Befreiungsaktion mehrfach gescheitert, heißt es. Am Samstagabend kursierte ein Video in sozialen Medien, das den Abwurf von Bomben auf ein Fabrikgelände zeigen soll, das von angeblich bis zu 400 russischen Soldaten als Unterschlupf genutzt worden sein soll.
Wie ein russischer Soldat nun offenbart, hat sich Wowtschansk für Wladimir Putin in den vergangenen Tagen als echtes Fiasko entpuppt. Anton Andrejew, Soldat der fünften Kompanie des 1009. Regiments, zeichnet laut englischen „Guardian“ ein düsteres Bild der russischen Offensive in der nordukrainischen Region Charkiw.
Russischer Soldat meldet verheerende Lage in Wowtschansk
Seine Einheit sei dezimiert worden, gerade einmal ein Dutzend von insgesamt 100 Soldaten hätten überlebt. Sie seien in Wowtschansk, einem Hauptziel des russischen Vormarsches, unter ständigen ukrainischen Beschuss und Drohnenangriffe geraten. Die Verluste beschreibt Andrejew als absolut verheerend. „Sie zerstückeln uns einfach. Wir werden bei Tageslicht unter Maschinengewehre und Drohnen geschickt, wie Fleisch. Und die Kommandeure schreien nur ‚vorwärts und vorwärts‘“, zitiert der Guardian Andrejew aus einer Videobotschaft.
Offiziell klingt das natürlich anders. Moskau räumt immer wieder kleinere Verluste ein, die öffentlich eingestanden Opferzahlen liegen allerdings deutlich unter den mutmaßlich tatsächlichen. In der russischen Region Belgorod an der Grenze zur Ukraine seien nach Behördenangaben sieben Menschen durch ukrainischen Beschuss getötet worden, meldete Gebietsgouverneur Wjatscheslaw Gladkow erst am Wochenende auf Telegram.
Russische Propaganda berichtet nicht über tatsächliche russische Opferzahlen
Russische Staatsmedien behaupten weiterhin, die russischen Truppen seien auf dem Vormarsch in Richtung Charkiw. Wladimir Putin und hochrangige Beamte berichten wiederholt, die Verluste auf russischer Seite seien deutlich geringer als die des Feindes. Offenbarungen von einflussreichen Militärbloggern passen da nicht ins Bild – und werden in Russland der breiten Öffentlichkeit vorenthalten.
„Ich weiß nicht, ob ich hier rauskomme oder nicht, aber ich muss das sagen, um die Erinnerung an diejenigen zu ehren, die hier wegen bestimmter Personen wie Fleisch gestorben sind“, sagt Andrejew in dem Clip, der zuerst von der russischen Nachrichtenagentur Astra veröffentlicht und vom Guardian bestätigt wurde.
Russischer Soldat packt aus: „In der ersten Nacht war die Hälfte der Truppe sofort tot“
Nach Beginn der Offensive im Mai konnten die russischen Truppen im Grenzgebiet zunächst schnell Geländegewinne vermelden, inzwischen hat die Ukraine die Front stabilisiert, seither toben weiter heftige Kämpfe.
„Du gehst durch die Straße, und alles scheint in Ordnung zu sein“, fährt der russische Soldat fort. „Aber dann wird man in ein Massaker verwickelt. In der ersten Nacht war die Hälfte der Truppe sofort tot.“
Auf ungewöhnlich hohe Opferzahlen lassen auch dutzende Aufrufe in den sozialen Medien schließen, in denen Russen nach ihren bei der Offensive in Charkiw vermissten Angehörigen suchen.
Trotz der vielen Opfer ist die allgemeine Unterstützung für den Krieg in Russland nach wie vor hoch. Hauptgrund dafür dürfte fehlende Transparenz des Kreml über die Kriegslage sein. Die staatliche Propaganda läuft seit Beginn des russischen Angriffskrieges – die Wladimir Putin dem eigenen Volk als „Spezialoperation“ verkauft – ununterbrochen auf Hochtouren.