Alexej Nawalny ist tot – und trotz harter Repressionen des Kremls gehen viele Russen auf die Straße. Zur Trauer mischt sich Wut.
Harte Strafen für Nawalny-GedenkenRussische Seniorin wütet gegen Putin: „Ich bin alt, mich können sie nur noch töten“
Nach dem von den russischen Behörden bisher nicht aufgeklärten Tod des Kremlgegners Alexej Nawalny sind in Russland laut Menschenrechtsaktivisten mehr als 400 Menschen in mehr als 30 russischen Städten festgenommen worden. Die Menschen hatten sich zu spontanen Gedenkaktionen für den russischen Oppositionellen zusammengefunden, der am Freitag laut russischen Behörden in Haft gestorben war.
Allein in Sankt Petersburg ordneten die Gerichte der Millionenmetropole gegen 199 Menschen Arrest oder Geldstrafen an, auch in der russischen Hauptstadt Moskau gab es mehrere solcher administrativer Strafen. In Sankt Petersburg kamen mehr als 154 Menschen in eine Arrestzelle, die meisten für mehrere Tage.
Putins Justiz geht gegen Trauerkundgebungen für Nawalny vor
Seit Freitag legen Menschen in Russland immer wieder Blumen nieder oder entzünden Kerzen an Denkmälern für die Opfer politischer Gewalt in Russland. Die Trauerbekundungen sind für die Teilnehmer angesichts der vom Kreml ausgeübten Repressionen gegen Regierungskritiker nicht ungefährlich. Manche Russinnen und Russen fanden dabei dennoch erstaunlich deutliche Worte für Kremlchef Wladimir Putin und sein Regime, wie Aufnahmen des unabhängigen russischen Nachrichtenkanals „Sota.Vision“ belegen, der insbesondere über die russische Opposition berichtet.
„Kein Blut mehr, kein Hass mehr – genug von all dem!“, fordert eine ältere russische Frau in einem so emotionalen wie mutigen Appell an ihre Landsleute, der von „Sota.Vision“ veröffentlicht worden war, mittlerweile millionenfach angesehen wurde und für viel Lob für die russische „Babuschka“ (Großmutter/ältere Frau) in den sozialen Netzwerken gesorgt hat. „Er hat die Kinder der Ukraine getötet, so viele unserer Soldaten sind gestorben“, empört sich die Frau in dem Video – und meint damit Kremlchef Putin. „Sie profitieren an diesem Krieg“, fährt sie fort. „Putin ist ein Verräter an unserem Land“, so die Frau.
Wütende Worte einer russischen Frau: „Putin ist ein Verräter!“
„Er macht aus Menschen Sklaven und seine Macht ist unrechtmäßig, niemand hat ihn gewählt“, spricht die Frau in die Kamera der Reporter in St. Petersburg. Die Gefahr ihrer Worte scheint ihr dabei bewusst. „Ich bin alt, sie können mich nur noch töten“, erklärt sie. „Ich möchte schreien: Das sind Menschen! Wir sind Menschen! Ohne Menschen gibt es nichts!“, führt die Frau aus, ehe sie ihren wütenden Appell beendet. „Es gibt 140 Millionen von uns, können wir nicht einfach aufstehen und sagen: Raus mit euch!?“
Dass die russische Justiz unterdessen alle Möglichkeiten nutzt, um gegen die Trauernden vorzugehen, zeigt ein Fall aus Zentralrussland. Dort wurde am Montag ein Teilnehmer einer Gedenkkundgebung für Nawalny wegen des Tragens „extremistischer Symbole“ zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Vergehen, das ihm zur Last gelegt wurde: Auf seinem T-Shirt sei eine Regenbogenfahne abgebildet gewesen. Der Mann habe sich laut der Justiz also der „LGBT-Propaganda“ schuldig gemacht, berichtet die „Novaya Gazeta Europa“ am Montag.
Putins Repressionen: Strafe für Regenbogenfahne bei Gedenkfeier
Auch in Moskau griffen die Behörden hart gegen Trauernde durch. Einem Bericht von „Sota.Vision“ zufolge, verhängte ein Moskauer Gericht am Montag eine 15-tägige Haftstrafe gegen eine Moskauerin, die bei einer Gedenkveranstaltung in der russischen Hauptstadt am Wochenende trotz „mehrmaliger Aufforderung“ weiter „Parolen“ gerufen und ein Plakat mit einem Zitat Nawalnys hochgehalten habe.
Sie plädiere auf unschuldig, erklärte Nabiulla Balabekowa demnach vor Gericht. „Alles, was für den Sieg des Bösen nötig ist, ist die Untätigkeit des Guten“, hatte nach dem Bericht auf ihrem Plakat gestanden. Die Worte stammen aus einem Appell Nawalnys an seine Landsleute, den der Kremlkritiker im Rahmen einer TV-Dokumentation für den Fall seines Todes aufgenommen hatte.
Nawalny am Freitag im Straflager „Polarwolf“ gestorben
Nach offiziellen Angaben war der Gegner von Kremlchef Putin am Freitag in einem abgelegenen Straflager mit dem inoffiziellen Namen „Polarwolf“ gestorben. Die Todesursache und der Ort, an dem die Leiche aufbewahrt wird, sind weiter unklar.
Nach offiziellen Angaben brach der körperlich geschwächte Nawalny nach vielen Tagen in immer wieder angeordneter Einzelhaft bei einem Hofgang in dem Lager nördlich des Polarkreises bei eisigen Temperaturen zusammen. Wiederbelebungsversuche waren nach Angaben des Strafvollzugs erfolglos.
Julia Nawalnaja: „Wladimir Putin hat meinen Ehemann umgebracht“
Die russischen Behörden verweigern weiterhin die Herausgabe von Nawalnys Leichnam an seine Angehörigen. An den offiziellen Angaben gibt es erhebliche Zweifel. Nawalnys Witwe, Julija Nawalnaja, macht den Kremlchef für den Tod ihres Mannes verantwortlich. „Vor drei Tagen hat Wladimir Putin meinen Ehemann umgebracht“, erklärte sie am Montag.
Mit dieser Ansicht ist Nawalnaja offensichtlich nicht allein. So tauchte in der russischen Stadt Ischewsk laut „Novaya Gazeta“ am Sonntag vor dem örtlichen Gebäude des russischen Inlandsgeheimdienst FSB ein Schild aufgebaut. „Nawalny wurde ermordet“, stand dort geschrieben. (mit dpa)