Seit Monaten gibt es Gefechte rund um Awdijiwka. Die Verluste, vor allem auf russischer Seite, sind enorm. Nun steht Russland kurz vor der Eroberung der Stadt. Noch geben sich die Ukrainer nicht geschlagen – auch ein einstiger Kölner Neonazi mischt mit.
„Putins Horden werden niedergemäht“Russland meldet Durchbruch in der Ukraine: „Awdijiwka ist die Hölle“
Nach monatelangen Gefechten droht die ukrainische Industriestadt Awdijiwka in russische Hände zu fallen, warnte am Donnerstagabend der Kommunikationsdirektor des amerikanischen Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby. „Awdijiwka läuft Gefahr, unter russische Kontrolle zu geraten. Dies geschieht zum großen Teil, weil den ukrainischen Streitkräften vor Ort die Artilleriemunition ausgeht“, erklärte Kirby bei einer Pressekonferenz. Berichten zufolge könnte der ukrainische Rückzug aus der Stadt bereits begonnen haben.
Von einer dramatischen Situation berichtete am Donnerstag auch der „Welt“-Journalist Ibrahim Naber bei X, laut seinen Kontakten zu den Truppen in Awdijiwka stehe Russland kurz vor der „vollständigen Einnahme der Stadt“, die Lage sei „sehr schlecht“, zitierte Naber ukrainische Soldaten. Russische Militärblogger veröffentlichten unterdessen ein Video, das zeigen soll, wie russische Soldaten in einer Festungsanlage in Awdijiwka bereits die russische Fahne hissen.
Russland rückt vor: Awdijiwka droht zu fallen
Dass der ukrainische Rückzug aus Awdijiwka bereits begonnen habe, berichtete derweil die „Washington Post“, ein vollständiger Rückzug der Truppen sei nur noch eine Frage der Zeit, zitierte die amerikanische Zeitung Quellen in der ukrainischen Armee.
Offiziell war bei den ukrainischen Streitkräften von einer „äußerst kritischen Lage“ in Awdijiwka die Rede. Zuvor hatte ein Armeesprecher bereits berichtet, dass eine ukrainische Brigade „nicht mehr über ausreichende Fähigkeiten verfügt, um die Stadt zu halten“. Nach einem Bericht des „Kyiv Independent“ sind weitere ukrainische Trupen am Donnerstag in der Stadt eingetroffen, um die Streitkräfte vor Ort zu unterstützen.
Awdijiwka: Berichte über Rückzug aus der „Hölle“
„Awdijiwka ist die Hölle“, zitierte die „Ukrainska Prawda“ den Kommandeur einer eilig entsandten ukrainischen Brigade, Andrij Biletskyj. Russland habe „etwa sieben Brigaden“ rund um die Stadt versammelt. „Der Feind rotiert weiterhin aktiv seine Truppen und stationiert neue Kräfte in der Stadt“, hieß es weiter.
Eigenen Angaben zufolge ist seit Donnerstag unterdessen auch das „Russische Freiwilligenkorps“ an den Gefechten um die seit 2014 umkämpfte Stadt beteiligt. „Seit dem Morgen kämpfen RDK-Kämpfer heftig im Raum Awdijiwka“, schrieb der einst in Köln ansässige Anführer der Gruppe, Denis Kapustin, in seinem Telegram-Kanal.
Einstiger Kölner Neonazi in Awdijiwka: „Putins Horden werden niedergemäht“
Kapustin und seine Mitstreiter gelten als Neonazis. Das „Russische Freiwilligenkorps“ ist wie die „Legion Freiheit Russlands“, eine weitere paramilitärische Einheit, kein offizieller Teil der ukrainischen Streitkräfte. Die Russen haben sich freiwillig dem Kampf gegen die Herrschaft Wladimir Putins in ihrem Heimatland verschrieben.
Kapustin schilderte am Donnerstag ebenfalls schwere Gefechte in Awdijiwka und lobte das „Heldentum“ seiner Kämpfer. „Putins Horden werden niedergemäht“, behauptete Kapustin, berichtete jedoch auch von „Verwundeten“ in den eigenen Reihen.
Selenskyj klingt nach Rückzug: „So viele Leben retten wie möglich"
Die abendliche Videobotschaft von Wolodymyr Selenskyj klang unterdessen nach Rückzug, auch wenn der ukrainische Präsident das Wort nicht in den Mund nahm: Man tue alles, damit „so viele ukrainische Leben gerettet werden können wie möglich“, erklärte Selenskyj mit Blick auf die Lage in Awdijiwka.
Die Stadt ist bereits seit dem ersten russischen Angriff auf die Ukraine 2014 ein zentraler Kriegsschauplatz, in den letzten Monaten hatte der Kreml ihre Eroberung immer wieder forciert, war jedoch mit mehreren Angriffswellen zunächst gescheitert. Wie zuvor in Bachmut setzten die russischen Streitkräfte die sogenannte „Fleischwolf“-Taktik ein.
„Fleischwolf“-Taktik: Russland zahlt hohen Blutzoll in Awdijiwka
Dabei werden ohne Rücksicht auf eigene Verluste massenweise Infanteristen eingesetzt. Zehntausende Soldaten soll Russland dabei sowohl in Bachmut und in Awdijiwka verloren haben. Der britische Militärgeheimdienst berichtete im November, die Kämpfe in Awdijiwka hätten zu „einigen der höchsten russischen Opferraten des bisherigen Krieges“ beigetragen.
Awdijiwka, eine Kleinstadt mit einst rund 40.000 Bewohnern, gilt als Tor zu Donezk, der Kreml dürfte sich von der Einnahme mehr Kontrolle über die Region um die besetzte ukrainische Großstadt versprechen.
Russland meldet noch keine Eroberung von Awdijiwka
Die russischen Staatsmedien meldeten am Donnerstag allerdings noch nicht die Einnahme der Stadt, sondern griffen lediglich Berichte über den bevorstehenden ukrainischen Rückzug auf. Dennoch scheinen die Chancen für Kremlchef Wladimir Putin gutzustehen, ein selbsterklärtes Ziel mit der Einnahme Awdijiwkas schon bald zu erreichen. Noch Ende Januar hatte der Kremlchef die Bedeutung der Stadt öffentlich unterstrichen.
In den USA nutzt man die Lage unterdessen auch für innenpolitische Zwecke. „Russland schickt eine Welle von Wehrpflichtigen nach der anderen, um ukrainische Stellungen anzugreifen, und da der Kongress das ergänzende Gesetz noch nicht verabschiedet hat, konnten wir die Ukraine nicht mit den Artilleriegranaten versorgen, die sie dringend braucht“, erklärte Kirby.
Damit erhöht der Sprecher des Sicherheitsrates den Druck auf die Republikaner, die bisher auf Wunsch ihres aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten, Ex-Präsident Donald Trump, weitere Hilfen für die Ukraine blockiert haben.