Der Kremlchef reagiert auf Berichte über Missstände in seiner Armee – und verkneift sich bei seinem Auftritt eine obszöne Geste.
„Dummheit und Inkompetenz“Putin will „alles für den Sieg“ – aber in seiner Armee rumort es kräftig
Der russische Diktator Wladimir Putin hat den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine als „heiligen, gerechten Kampf gegen die neue Ausgabe des Neonazismus“ bezeichnet. Außerdem würden die russischen Streitkräfte für „das Vaterland, die Wahrheit und die Freiheit“ kämpfen, fügte Putin der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge bei einer Veranstaltung in der Großstadt Tula unter dem Titel „Alles für den Sieg!“ an.
Putin lobte zudem die russische Wirtschaft, die unter dem Druck der westlichen Sanktionen nicht zusammengebrochen sei, auch wenn der Westen Russland „Rezession, Versagen und Zusammenbruch“ vorhergesagt habe, fügte Putin an. „Ich würde eine berühmte Geste zeigen, aber ich werde es nicht tun, es sind viele Mädchen hier“, so der Kremlchef, der schließlich statt der vermutlich obszönen Geste schließlich erklärte: „Nichts wird ihnen gelingen“.
Wladimir Putin spricht von „heiligem Kampf“ gegen „Neonazismus“
„Alles für den Sieg“ scheint auch wirtschaftlich das Motto in Russland zu sein: Der Kreml hat insbesondere die Ausgaben für den Verteidigungssektor zuletzt massiv erhöht. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Budgets für Verteidigung und Sicherheit um fast 70 Prozent gestiegen. Rund 30 Prozent der gesamten Haushaltsausgaben sollen 2024 für die russischen Streitkräfte aufgewendet werden, auch für russische Verhältnisse ein neuer Rekord. 376,7 Milliarden Euro sollen in die russische Armee fließen.
Bei seinem Besuch des Forums „Alles für den Sieg!“ lobte Putin dementsprechend die gesteigerte Produktion von militärischem Gerät. So habe sich die Panzerproduktion in Russland seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine verfünffacht, erklärte der Kremlchef. Bei anderen militärischen Fahrzeugen produziere Russland mittlerweile 3,5 Mal so viel wie vor dem Krieg, auch die Drohnen- und Munitionsproduktion sei gesteigert worden, erklärte Putin.
Angaben von Wladimir Putin: Russland hat Panzerproduktion verfünffacht
Vor seinem Besuch in Tula hatte Putin die von Russland erfundene Behauptung, in der Ukraine sei ein „Nazi-Regime“ an der Macht, auch auf die baltischen Staaten ausgedehnt und gedroht, den „Neonazismus“ in den russischen Nachbarländern „ausrotten“ zu wollen. Die Lüge von einem „Nazi-Regime“ in Kiew diente Russland in der Vergangenheit stets als Begründung für die illegale Invasion des Nachbarlands. Dass der Kremlchef dieses Narrativ nun auch auf das Baltikum ausdehnt, weckt Befürchtungen, dass Russland unter demselben Vorwand auch dort militärisch aktiv werden könnte.
In der Ukraine könnte Russland unterdessen eine weitere Offensive planen. Wie das US-Magazin „Forbes“ berichtet, haben die russischen Streitkräfte in der Nähe von Kupjansk rund 500 Panzer zusammengezogen, außerdem ständen „hunderte Haubitzen“ und 40.000 Soldaten für einen neuen Vorstoß auf russischer Seite bereit. Die Berichte folgen auf die Ankündigung neuer Eroberungen in der Ukraine von Putin. Der Kremlchef hatte zuletzt eine „entmilitarisierte Zone“ gefordert, die sich so weit erstrecken soll, dass die Ukraine russische Städte wie Belgorod nicht mehr angreifen könne.
Truppenaufmarsch in der Ukraine: 500 russische Panzer und 40.000 Soldaten stehen bereit
Die russischen Truppen nahe der Front stoßen unterdessen auf erhebliche ukrainische Gegenwehr. Tausende Drohnen sollen zur Abwehr von russischen Fahrzeugen zum Einsatz kommen, berichtet „Forbes“. Zuletzt hatten unbestätigte Berichte über den Verlust einer gesamten russischen Fahrzeugkolonne für viel Wirbel bei russischen Militärbeobachtern gesorgt. Die ukrainische Armee hatte ein Video des Angriffs veröffentlicht.
„Wieder einmal wurde eine unserer Kolonnen von Drohnen in Stücke gerissen“, kritisierte ein populärer Militärblogger. „Es gibt keinen Schutz vor Luftangriffen“, fügte er an. Laut dem US-Institut für Kriegsstudien war zudem von „völliger Dummheit und Inkompetenz“ der russischen Kommandeure die Rede.
Kritik an Putins Armee: „Wieder einmal wurde eine Kolonne in Stücke gerissen“
Der Zorn richtete dabei nicht nur auf Armeekommandanten, „die das Leben ihres eigenen Volkes wegwerfen“, sondern auch auf die russischen Propagandisten in TV und Presse, die Rückschläge der Armee stets verschweigen. Wer derartige Verluste „herunterspiele“ und behaupte, die russischen Truppen seien „ausreichend ausgestattet“, sei eine „korrupte Kreatur“ und ein „Verräter“, hieß es in einem der Telegram-Kanäle.
Die Kritik blieb nicht ohne Folgen: Mit Wladimir Solowjow, TV-Moderator mit eigener Propaganda-Talkshow, antwortete einer der prominentesten Kreml-Propagandisten auf die Vorwürfe – und forderte, dass jeder, der solche Videos veröffentliche „verhaftet uns ins Gefängnis gesteckt“ werden sollte.
Putin räumt „Achillesverse“ seiner Armee ein – und wird dafür gefeiert
Putin reagierte ebenfalls indirekt auf den Wirbel um die erfolgreichen ukrainischen Drohnenangriffe an der Front. „Die Komplexität der Situation hängt natürlich gerade mit unbemannten Luftfahrzeugen zusammen“, sagte der Kremlchef und bezeichnete Drohnen als die „Achillesferse“ der russischen Armee.
Das seltene Eingeständnis rief mit Sicherheitsratsvize Dmitri Medwedew prompt einen weiteren der aktivsten Propagandisten Moskaus auf den Plan. Putin habe keine Angst davor „Probleme“ und „Fehler“ zu debattieren, zudem zeigten Putins Einlassungen, dass der Kremlchef genau wisse, was an der Front passiere und ein Verständnis der modernen Kriegsführung habe. Moskaus Motto bleibt auch in diesen Tagen: „Alles für den Sieg!“