Genf – Der nächste Eurovision Song Contest (ESC) findet wegen des russischen Angriffskriegs nicht beim diesjährigen Sieger Ukraine statt. Das teilte die Europäische Rundfunkunion (EBU) in Genf mit.
Stattdessen wolle man Gespräche mit der BBC führen, ob der ESC 2023 in Großbritannien ausgerichtet werden könne. Auch der Norddeutsche Rundfunk (NDR) bestätigte die Entscheidung der EBU. In Kiew wurde die Verlegung in einer ersten Reaktion scharf kritisiert.
Die ukrainische Band Kalush Orchestra hatte Mitte Mai mit dem Hiphop-Lied „Stefania” den 66. ESC im italienischen Turin gewonnen, womit ihr Land der ESC-Tradition zufolge als Gastgeber des Wettbewerbs im Folgejahr gesetzt gewesen wäre.
Vor allem bei den Zuschauerwertungen aus ganz Europa hatte die Band klar vorne gelegen. Vor dem Hintergrund des Kriegs war die ESC-Party so politisch wie lange nicht mehr gewesen, der so klare Sieg wurde als Signal der Solidarität vom Publikum in vielen Ländern verstanden. Russland war wegen des Kriegs vom ESC ausgeschlossen gewesen.
Viele Ukrainer hatten den ESC-Sieg begeistert gefeiert. Präsident Wolodymyr Selenskyj damals: „Unser Mut beeindruckt die Welt, unsere Musik erobert Europa! Im nächsten Jahr empfängt die Ukraine den Eurovision! Zum dritten Mal in unserer Geschichte.”
Kiew fordert Rücknahme der Verlegung
Doch daraus wird nun nichts. Angesichts des anhaltenden Kriegs seit dem russischen Einmarsch in das diesjährige Gewinnerland hat sich die EBU nach eigenen Angaben die Zeit genommen, um mit dem ukrainischen Rundfunksender UA:PBC und weiteren Akteuren zu überprüfen, wie machbar die Durchführung des ESC in der Ukraine ist. Dabei ging es auch um Sicherheitsaspekte. Mit tiefem Bedauern sei man zum Schluss gekommen, dass der Sender die Sicherheits- und Betriebsgarantien unter den aktuellen Umständen nicht gewährleisten könne.
Der ukrainische Kulturminister Olexander Tkatschenko forderte die Rücknahme der Verlegung. „Denn wir meinen, dass wir alle auf uns genommenen Verpflichtungen erfüllen können, was wir gegenüber der EBU mehrfach betont haben”, schrieb Tkatschenko bei Facebook.
Kiew sei ohne eine Diskussion über mögliche Alternativen vor die Tatsache der Verlegung gestellt worden, beklagte Tkatschenko. „Wir haben Antworten und Garantien zu den Sicherheitsnormen und dem möglichen Austragungsort für den Wettbewerb gegeben.” Die Austragung in der Ukraine wäre ein starkes Signal für die ganze Welt, welche das Land gerade unterstütze. Kiew fordere zusätzliche Gespräche.
Großbritannien als Gastgeber?
Wenn es aber dabei bleibt, könnte Großbritannien als Zweitplatzierter von Turin in der Rolle des Gastgebers nachrücken. Gespräche mit der BBC über eine mögliche Ausrichtung des Wettbewerbs im Vereinigten Königreich werde man jetzt beginnen, teilte die EBU mit. Der Sieg der Ukraine beim ESC 2022 solle sich aber in den Shows widerspiegeln.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon zeigte Bereitschaft, den ESC zum Beispiel nach Glasgow zu holen. Sie könne sich einen perfekten Veranstaltungsort am Ufer des Flusses Clyde vorstellen, schrieb Sturgeon auf Twitter. „In der Tat könnte es mehrere mögliche Veranstaltungsorte in Schottland geben.”
Beim ESC ist es Tradition, dass das Land des Gewinners in der Regel im nächsten Jahr den Wettbewerb ausrichtet. Das ist aber keine Zwangsverpflichtung. Schon in der Vergangenheit haben Sieger - etwa wegen der hohen Kosten des Spektakels - auf ihr Anrecht verzichtet und den Wettstreit an andere Teilnehmer weitergereicht. So sprang die britische BBC bereits im Jahr 1974 einmal ein. Damals hatte Vorjahressieger Luxemburg verzichtet, weil dort schon 1973 ein Grand Prix stattgefunden hatte. Das Fest von 1974 in Brighton ging mit dem Auftritt von Abba mit „Waterloo” dann in die Popgeschichte ein.
Es gibt sogar ein Teilnehmerland, das den Regeln zufolge niemals den ESC austragen darf, auch wenn es gewinnt, das ist Australien. Sollte Down Under je gewinnen, wird automatisch ein anderes Land ausgewählt.
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