AboAbonnieren

Größtes diplomatische Treffen der WeltViele Reden, tiefe Krisen und ein langer Schatten

Lesezeit 5 Minuten
Kanadas Premierminister Justin Trudeau spricht bei der UN-Generaldebatte.

Kanadas Premierminister Justin Trudeau spricht bei der UN-Generaldebatte.

Alle sind da: Biden, Netanjahu und Selenskyj. Sie werden bei der anstehenden UN-Generaldebatte lange Reden halten. Nur Lösungen sind in Kriegszeiten knapp.

Wenn die Hotels in Manhattan 700 Dollar pro Nacht kosten, auf abgesperrten Straßen Blaulicht blinkt und Limousinen in Kolonnen rollen, wissen die New Yorker: Das größte diplomatische Treffen der Welt steht an. Mehr als 140 Staats- und Regierungschefs sprechen ab Dienstag bei der alljährlichen Generaldebatte der UN-Vollversammlung in der US-Ostküstenmetropole.

Einer von ihnen - der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj - will seinen Plan für einen Sieg über Russland bewerben. Ein anderer - Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu - will seinen Krieg im Gazastreifen gegenüber der Welt verteidigen. Mit US-Präsident Joe Biden verlässt ein alter Staatsmann die Bühne. Und dass Donald Trump jene bald wieder betreten könnte, sorgt für Aufregung.

Bidens letzter Auftritt

Joe Biden ist dafür bekannt, Gefühle zulassen zu können. Am Dienstagmorgen hätte er allen Grund dafür, die eine oder andere Träne zu verdrücken. Der 81-Jährige ist aus dem Rennen um eine Wiederwahl ausgestiegen, was seine Rede auf der buchstäblichen Weltbühne bei der Generaldebatte zu einem seiner letzten großen internationalen Auftritte macht.

Bei den Vereinten Nationen hat Biden als Verfechter internationaler Zusammenarbeit einen um Welten besseren Ruf als sein UN-kritischer Vorgänger Trump - es wird erwartet, dass Biden bei seiner Rede die Rückkehr der USA in internationale Abkommen betonen wird. Doch viele Zuhörer werden dem mächtigsten Mann der Welt auch eine Mitschuld für das humanitäre Desaster im Gazastreifen geben. Die USA hatten ihren Verbündeten Israel immer wieder geschützt - zum Beispiel mit ihrem Veto im UN-Sicherheitsrat.

Große Kriege bestimmen die Agenda

Die hohe Zahl ziviler Opfer im Gazastreifen nach der Hamas-Terrorattacke vor knapp einem Jahr dürfte zu einem übergreifenden Thema in den Reden, bilateralen Gesprächen zwischen Staats- und Regierungschefs und zahlreichen Nebenveranstaltungen werden. Für den Auftritt von Netanjahu am Donnerstag oder Freitag erwartet der UN-Experte Richard Gowan von der Denkfabrik Crisis Group eine „sehr, sehr konfrontative Rede“ - schließlich sind viele UN-Mitglieder Israel gegenüber kritisch oder sogar feindlich eingestellt. Viele von ihnen dürften den Saal demonstrativ verlassen.

Dass der ukrainische Präsident Selenskyj befürchtet, wegen der Spannungen in Nahost nicht die notwendige Aufmerksamkeit zu finden, zeigt sich darin, dass die Ukrainer eine zusätzliche Sitzung des Weltsicherheitsrates zu Russlands Angriffskrieg am Dienstag durchsetzten.

Selenskyj will in zahlreichen Gesprächen und möglicherweise auch bei seinen öffentlichen Reden seinen sogenannten Siegesplan vorstellen. Mit diesem will er sich zusätzliche politische und militärische Unterstützung der Verbündeten sichern.

Auch in dem oft als vergessenen Konflikt bezeichneten Krieg im Sudan sollen Fortschritte gemacht werden. Dem Vernehmen nach sind mehrere hochrangig besetzte Konferenzen zu dem blutigen Machtkampf im drittgrößten Land Afrikas geplant.

Im Sudan ringen seit April 2023 De-facto-Machthaber Abdel Fattah al-Burhan und die von ihm kontrollierte Armee mit seinem früherem Stellvertreter Mohamed Hamdan Daglo und dessen Miliz RSF um die Vorherrschaft. In Teilen des Landes wurde eine Hungersnot ausgerufen. Al-Burhan wird als offizieller Vertreter des Sudan ebenfalls in New York erwartet.

„Vergiftete Stimmung“

Wenn die Weltorganisation ruft, kommen die Mächtigen nach wie vor - das ist die gute Nachricht für die UN. Doch es ist nur ein Schimmer Hoffnung, denn die Weltgemeinschaft scheint unfähiger denn je, Probleme gemeinsam zu lösen. Symbolisch dafür steht der Sicherheitsrat, in dem die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien mit ihrem Veto jegliche Handlung blockieren können.

Und der Ton wird rauer. „Es ist eine vergiftete Stimmung im Rat“, sagte der slowenische UN-Botschafter Samuel Zbogar zuletzt. Alle stimmen zu, dass Reformen nötig sind - doch es fehlt an Einigkeit, wie diese aussehen sollen. Auch deswegen umgibt die Generaldebatte die Stimmung einer Veranstaltung mit vielen Reden, doch wenig Lösungen.

Wer hat Angst vor Donald Trump?

Über den ehemaligen und möglichen künftigen US-Präsidenten Trump mag öffentlich kaum jemand sprechen. Doch bei Empfängen und informellen Gesprächen ist eines der meistbesprochenen Themen, was es für die Vereinten Nationen bedeuten würde, sollte er am 5. November erneut zum US-Präsidenten gewählt werden.

Austritt aus UN-Organisationen? Tiefe finanzielle Schnitte, die die Vereinten Nationen an den Rand der Zahlungsunfähigkeit bringen könnten? Die USA sind der größte Geldgeber der UN, die schon jetzt an allen Ecken und Enden - darunter an der Beheizung des Hauptquartiers - sparen muss.

Barbock für Deutschland - ein Neuer aus Großbritannien

Bundeskanzler Olaf Scholz war in den vergangenen Tagen zur feierlichen Annahme des UN-Zukunftspaktes in New York. Die Generaldebatte wird er Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) überlassen. Seinen Einstand als neuer britischer Premierminister wird Keir Starmer mit seiner planmäßigen Rede vor der Vollversammlung am Donnerstag geben.

Deutlich andere Erwartungen gibt es an eine weitere Premiere: Irans Präsident Massud Peseschkian könnte bei seinem ersten Auftritt in New York versuchen, sich rhetorisch dem Westen etwas anzunähern - was als sehr schwierig gesehen wird, während Teheran Russland Waffen für den Krieg in der Ukraine bereitstellt. Moskau schickt wie immer Chefdiplomat Sergej Lawrow, China Außenminister Wang Yi.

Selbst kleinste Fortschritte bei einigen der vielen offenen Baustellen wären schon ein Erfolg. Wie niedrig die Messlatte beim Thema Frieden mittlerweile liegt, zeigte kürzlich die Antwort des UN-Generalsekretärs auf die Frage, wie weit der Dritte Weltkrieg entfernt sei. António Guterres sagte, er glaube „noch immer, dass wir alle Voraussetzungen haben, ihn zu vermeiden“. (dpa)