Der frühere Sekretär Benedikts XVI., Georg Gänswein, sorgt mit Kritik an Papst Franziskus für Aufsehen. In Spekulationen über die Zukunft Gänsweins spielt auch Köln eine Rolle.
VatikanEnthüllungen aus dem päpstlichen Haus – Kritik an Papst sorgt für Aufsehen
Wie Päpste, so haben auch Papstbücher ihr Schicksal. In diesem Wissen bringt der langjährige Sekretär Benedikts XVI., Erzbischof Georg Gänswein, schon wenige Tage nach dem Tod seines Mentors an Silvester Erinnerungen an die gemeinsame Zeit heraus. Das Werk mit dem vielsagenden Titel „Nichts als die Wahrheit“ erscheint in dieser Woche auf Italienisch. Benedikts „Hausverlag“ Herder hat eine deutsche Ausgabe für das Frühjahr angekündigt. Der genaue Erscheinungstermin stehe aber noch nicht fest, teilte eine Verlagsvertreterin auf Anfrage mit.*
Vorabveröffentlichungen in der italienischen Zeitung „Il Giornale“ lassen erwarten, dass Gänswein das Spiel des kirchenpolitischen Strippenziehens fortsetzt, in dem er es in bald 30 Jahren Vatikan-Karriere zu beachtlicher Meisterschaft gebracht hat.
Gänswein von einflussreichem Posten im Vatikan beurlaubt
Mehrfach lässt er Benedikts Nachfolger Franziskus in schlechtem Licht dastehen. „Benedikts Hoffnung, dass ich das Bindeglied zwischen ihm und seinem Nachfolger sein würde, war etwas zu naiv“, schreibt Gänswein und erneuert seine Klage darüber, dass und wie Franziskus sich seiner vor drei Jahren als „Präfekt des Päpstlichen Hauses“ entledigte. Auf diesem einflussreichen Posten war Gänswein als eine Art Protokollchef für alle nicht-liturgischen päpstlichen Zeremonien und insbesondere für Audienzen verantwortlich.
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Anfang 2020, so Gänswein, habe er Franziskus um eine Unterredung gebeten, wie er sich verhalten solle. Er habe ihn „mit ernster Miene angesehen und dann überraschend geantwortet: „Bleiben Sie fortan zuhause. Begleiten Sie Benedikt, der Sie braucht, seien Sie ihm ein Schutzschild“.“ Einen Antwortversuch habe Franziskus abgeblockt. „Sie bleiben Präfekt, kommen aber ab morgen nicht mehr zur Arbeit.“ Er sei „schockiert und sprachlos“ gewesen.
Benedikt soll über die Behandlung seines Sekretärs verärgert gewesen sein
Benedikt habe die Entscheidung damals ironisch kommentiert: „Ich denke, dass Papst Franziskus mir nicht mehr traut und dass er will, dass Sie mein Bewacher sind.“ Verärgert habe Benedikt sich zweimal an seinen Nachfolger gewandt, um ihn umzustimmen, aber ohne Erfolg.
Irritationen zwischen Franziskus und dem Vertrauten seines Vorgängers gab es nach Gänsweins Schilderung bereits im Jahr 2014, als er einem Treffen von Papst Franziskus mit der Gemeinschaft Sant'Egidio fernbleiben sollte. Gänswein will Franziskus im Anschluss mitgeteilt haben, dieser Vorgang habe seine Autorität geschmälert, und er habe sich dadurch auch persönlich gedemütigt gefühlt. „Er stimmte mir zu, dass ich recht hatte und er entschuldigte sich, fügte dann aber hinzu, dass die Demütigungen viel Gutes bewirken.“
Auftrag Benedikts an Gänswein zur Vernichtung aller privaten Notizen
Brisant ist überdies Gänsweins Schilderung, dass Benedikt ihn zu seinem Testamentsvollstrecker eingesetzt und ihn beauftragt habe, alle privaten Notizen vollständig zu vernichten - „ohne Ausnahmen und ohne Schlupflöcher“. Eine ähnliche Anordnung hatte es auch von Benedikts Vorgänger, Papst Johannes Paul II. (1978 bis 2005) gegeben. Dessen Privatsekretär Stanislaw Dziwisz setzte sich jedoch darüber hinweg, weil er wichtige private Aufzeichnungen des verstorbenen Papstes für die historische Forschung erhalten wollte.
Benedikt erteilte Gänswein nach dessen Schilderung auch Anweisungen zu seinem materiellen Erbe: wem er was übergeben solle, vor allem Bücher und Korrespondenz.
Spekulationen über die Zukunft Gänsweins
Im Vatikan fielen die Reaktionen auf Gänsweins Enthüllungen ablehnend aus. „Es wäre besser gewesen, zu schweigen“, sagte der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper der Zeitung „La Repubblica“. Es sei jetzt „nicht die Zeit für solche Dinge“. Ähnlich äußerte sich der italienische Erzbischof Vincenzo Paglia, Leiter der päpstlichen „Akademie für das Leben“. Es gebe offenbar Verletzungen und Schmerzen, aber es wäre trotzdem „besser zu schweigen und die wahre Botschaft von Benedikt XVI. zu suchen“.
Derweil schießen Spekulationen über Gänsweins Zukunft ins Kraut. Gerüchte, wonach der 66-Jährige Interesse an einem einflussreichen Bischofssitz in seiner deutschen Heimat haben könnte, kursieren schon geraume Zeit. Nach unbestätigten Berichten soll er 2014 als Kandidat für das Erzbistum Köln auf der „Terna“ gestanden haben, einer vom Vatikan erstellten Dreierliste, aus der das Domkapitel seine Wahl für die Nachfolge Kardinal Joachim Meisners zu treffen hatte. Bekanntlich fiel sie auf Kardinal Rainer Woelki.
Papst kann das Bischofswahlrecht des Kölner Domkapitels aushebeln
Sollte Franziskus angesichts der fortdauernden Querelen im Erzbistum auf Woelkis Ablösung sinnen, könnte er das Wahlrecht des Domkapitels sehr einfach aushebeln, indem er Woelki zunächst einen sogenannten Koadjutor (Stellvertreter) mit dem Recht zur Nachfolge an die Seite stellt und dann das Rücktrittsangebot annimmt, das er 2022 von Woelki verlangt hatte. Das mächtige und reiche Erzbistum Köln wiederum könnte durchaus nach Gänsweins Geschmack sein.
Im derzeit vakanten Erzbistum Paderborn müsste Gänswein als Kandidat auf der Dreierliste stehen und dann auch vom Domkapitel gewählt werden. Im ebenfalls freien Erzbistum Bamberg kann der Papst den neuen Erzbischof frei ernennen. Das würde einen Transfer Gänsweins aus dem Vatikan nach Deutschland erleichtern. Im deutschsprachigen Raum ist derzeit dann auch noch das Erzbistum Vaduz (Liechtenstein) ohne Bischof.
Ob Franziskus Gänswein für derlei Personalrochaden allerdings überhaupt auf dem Zettel hat, ist fraglich – zumal nach Gänsweins jüngsten Äußerungen über Differenzen zwischen Franziskus und Benedikt, etwa in der Frage der von Traditionalisten geschätzten „Alten Messe“.
Dass Franziskus in den vergangenen Tagen gleich zweimal die verderbliche Wirkung von „Fake News“ und „Klatsch“ beklagte, deuteten Vaticanisti, die professionellen Papstflüsterer in Rom, sogleich als verklausulierte Missbilligung für Gänsweins private Medienoffensive. Und statt ihn auf einen schönen Bischofssitz in Deutschland zu hieven, könnte der Papst den „George Clooney des Vatikans“ auch als Nuntius (Botschafter) auf einen Außenposten weit, weit weg von Rom abschieben. Hatte er nicht schon bei seinem Amtsantritt 2013 gesagt, die Kirche müsse „an die Ränder gehen“?
* Aufgrund einer ergänzenden Mitteilung des Verlags Herder wurde dieser Absatz am 11. Januar geändert.