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Kommentar zum Weltjugendtag
Glaubensfest oder Gaukelei – Papst-Party kann Missstände nicht kaschieren

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Lesezeit 4 Minuten
Papst Franziskus kommt am Parque Tejo in Lissabon an, wo er am Sonntag, 6. August 2023, eine Messe zum Abschluss des 37. Weltjugendtag hielt.

Papst Franziskus beim Weltjugendtag in Lissabon

Vom Weltjugendtag in Lissabon darf nicht nur ein „Fest des Glaubens“ bleiben.

Fast ist es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Der Weltjugendtag der katholischen Kirche, eine Erfindung Papst Johannes Pauls II. mit seinem sicheren Gespür für Events und religiöse Inszenierungen, hat in Lissabon so viele junge Menschen angezogen wie in den besten Phasen seit der Premiere von 1984.

Vor 18 Jahren, 2005 in Köln, feierten eine Million junge Leute den kurz zuvor neu gewählten Papst Benedikt XVI. Jetzt kamen sogar 1,5 Millionen zur Abschlussmesse mit Papst Franziskus zusammen.

Das zeigt: Es gibt bei christlich geprägten jungen Menschen eine ungebrochene doppelte Sehnsucht: nach einem Gemeinschaftserlebnis, das Gottesdienst, Gebet und Liturgie einschließt, und nach geistlicher Führung. Beides bietet die katholische Kirche mit ihren vielfältigen sinnlichen Ritualen und ihrer hierarchischen Ordnung, gipfelnd im Papst. An dem „Mann in Weiß“ kann man sich orientieren, zu ihm kann man aufschauen, ihn kann man sogar – wenn es denn sein muss – anhimmeln wie einen Superstar aus dem Showbusiness.

Der Papst spricht nach Art eines Großvaters

Das Charisma des jeweiligen Amtsinhabers spielt für das Ausmaß der Begeisterung gewiss auch eine Rolle, und Papst Franziskus hat es in Portugal mit wiederholt improvisierten, betont schlichten Ansprachen geschafft, seinen jungen Zuhörerinnen und Zuhörern zu Herzen zu sprechen – nach Art eines verständnisvollen Großvaters, der sich an seine Enkel richtet. Aber es ist zusätzlich immer auch die Faszination, die von einem Amt ausgeht, dessen Inhaber laut einem offiziellen, wenn auch inzwischen als „historisch“ deklarierten Titel der „Vicarius Christi“, der Stellvertreter Jesu Christi auf Erden ist.

Daraus lassen sich sehr verschiedene Akzentuierungen ableiten: hoheitliche Strenge wie unter Papst Pius XII., globale Omnipräsenz wie unter Johannes Paul II., Gelehrsamkeit wie unter Benedikt XVI. oder eben das Image des volksnahen guten Hirten, das Franziskus in Wort und Geste pflegt.

Plädoyer für eine Kirche der „offenen Türen“ mit Platz für alle

Wie keiner seiner Vorgänger spielt der amtierende Papst mit der Autorität seines Amts, mit Rollenerwartungen und Zuschreibungen, die er einerseits bricht und andererseits bisweilen sogar überbietet. Eben erst hat er wieder eine Kirche der „offenen Türen“ mit Platz für alle propagiert und sich gegen eine kirchliche Bevormundung Jugendlicher auch in der Sexualität gewandt.

Umgekehrt lässt er die römische Kurie gewähren, wenn sie ausgrenzende, rigoristische Lehren einschärft. Und er lässt Reformansätze regelmäßig ins Leere laufen, sobald sie den verheißungsvollen Worten Taten folgen lassen. Kritiker des Papstes fürchten nicht zu Unrecht, dass sein schwer berechenbares und oft undurchschaubares Spiel mit den päpstlichen Rollen das Papstamt aufs Spiel setzt.

Allen, die ein „Fest des Glaubens“ begehen wollten, ist das nicht zu verdenken

Aber wie auch immer Franziskus sein Amt versteht und ausübt – in welchem Verhältnis stehen dazu die Missstände, die Skandale, Ärgernisse und Fragwürdigkeiten in den Strukturen der katholischen Kirche? Die Bilder aus Lissabon scheinen denen Recht zu geben, die sagen: Es gibt eben doch mehr als das Entsetzen über Missbrauch, Probleme mit dem Zölibat und Ärger über den Ausschluss der Frauen von der Weihe.

Das ist wahr – und doch von Grund auf falsch. Allen, die auf dem Weltjugendtag ein „Fest des Glaubens“ begehen und sich in ihren Überzeugungen stärken lassen wollten, ist das nicht zu verdenken. Mit Sicherheit sind ihnen in ihrem jungen Leben Menschen begegnet, die ihnen auf überzeugende Weise den Glauben gepredigt, vorgelebt und mit ihnen geteilt haben. Oder sie haben gespürt, wie ihnen der Glaube Kraft und Halt gibt – und sie haben das Bedürfnis, diese Erfahrung zu bewahren und zu vertiefen.

Der „Clusterfuck“ der katholischen Kirche

Sobald man aber anfängt, sich gegen das von und in der Kirche verursachte Leid abzuschotten oder es aufzurechnen gegen „all das Gute, das die Kirche tut“, kommt ein selbstbezogener, schönfärberischer, realitätsblinder und letztlich zynischer Glaube heraus. Der Skandal des Missbrauchs ist – um es mit der Theologin Doris Reisinger zu formulieren – der „Clusterfuck“ der katholischen Kirche: ein Totalversagen im Denken, Reden und Handeln, von dem nichts unberührt bleibt.

Die teils aggressiv-homophoben Attacken in Lissabon gegen Teilnehmende mit Regenbogen-Flaggen, und die theologisch arrogante Abwertung von Homosexualität als „Sünde“ sind ein beklagenswerter Beleg dafür. Um einer vermeintlich wahren Lehre willen werden Menschen verletzt, die nicht einer starr binären, mit teils absurden Argumenten verteidigten Vorstellung von Partnerschaft und Sexualität entsprechen. Ein brüchiges, marodes Lehrgebäude ist wichtiger als Menschen, die trotzdem in der Kirche ein Zuhause suchen – da kann der Papst noch so einladend vom Haus der offenen Türen sprechen.

Soll im Glauben das Gute Bestand haben, dann muss der Sinn für das Böse in der Gemeinschaft der Glaubenden wach bleiben. Soll die Kirche lebensdienlich und die kirchliche Gemeinschaft lebenswert sein, dann darf es kein Nachlassen im Kampf gegen lebensfeindliche, unmenschliche Verhältnisse in der Kirche geben. Aus „Schön war’s in Lissabon“ muss ein „Jetzt erst recht“ werden – sonst war der Weltjugendtag kein Glaubensfest, sondern Gaukelei.