Achtung, Achtung, Pantoffeln anziehen, Apfelschorle bereithalten, Tatort einschalten und der Landeskunde-Nachhilfekurs kann beginnen: Kaum jemand stellt so originelle Beobachtungen über die Deutschen an wie der Brite Adam Fletcher. Der Wahlberliner beschäftigt sich in seiner Freizeit hauptsächlich damit, ein echter Deutscher zu werden und hat zu diesem Zweck nach eigenen Angaben bereits „Diplome in Mülltrennung, Kartoffelzubereitung und Schlagerseligkeit“ erworben. Vermutlich bei der VHS – der guten alten Volkshochschule.
„Dichter, Denker und Döner“
Über seine Forschungsergebnisse hat er 2013 den Bestseller „Wie man Deutscher wird in 50 einfachen Schritten“ geschrieben, in dem er alle Neu-Ankömmlinge in die deutschen Liebschaften (Apfelschorle, Tatort, Pantoffeln) und Phobien (Zugluft, die Deutsche Bahn) einweiht. Ganz in der Tradition von Goethe (Faust I und II, Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre) hat er jetzt die Fortsetzung geschrieben: „Wie man Deutscher wird in 50 neuen Schritten“.
Fletcher begrüßt die Anwärter auf einen Titel im Deutschsein zu Beginn: „Schön, dass Du wieder da bist, mein little foreigner! Ich habe dich in den letzten Jahren beobachtet. Du hast dich sehr gut integriert, keine Frage. Du machst dieser großartigen Nation der Dichter, Denker und Döner alle Ehre.“
Allerdings gehe es nun darum, „uns aus den seichten Gewässern germanischer Gemeinplätze in die dunkleren Tiefen der deutschen Seele vorzuwagen.“ Fletcher prophezeit, dass die Fortsetzung quasi die Profi-Ausgabe sei. Die 50 Schritte seien „ein wenig komplexer und subtiler als im ersten Buch.“ Wirklich? Das sind die sieben überraschendsten Punkte:
„Tja...“ – ein Wort für mehr als Weltschmerz
War sich irgendein Muttersprachler je der Bedeutung und Durchschlagskraft des deutschen Wortes „Tja“ bewusst? „Tja“ sei für die Deutschen nicht nur ein Ausdruck von „Weltschmerz“, sondern von „Existenzschmerz“, der sämtliche Resignation und Hoffnungslosigkeit umfasse, so Fletcher. „Ich glaube nicht, dass es in irgendeiner Sprache ein Wort mit solcher Wucht gibt, in dem so viel steckt wie in diesem Drei-Buchstaben-Monolithen.“
Supersonderangebote: Koste es, was es wolle
Sparsamkeit ist eine deutsche Tugend, oder etwa nicht? Fletcher hat da eine Schwachstelle im System entdeckt: Die Lieblingslektüre des deutschen Sparfuchses sind nämlich die diversen Blättchen von Supermärkten auf der Jagd nach Sonderangeboten: „Begeistert von dem fantastischen Schnäppchenpreis, den sie bei einem Lidl-Markt jottwehdeh entdeckt haben, springen sie ins Auto und fahren zehn Kilometer extra, um 25 Cent bei Schnäppchentomaten zu sparen – und vergessen völlig, dass sie dabei viel mehr Zeit, Benzin und Nerven verlieren.“
Ein Hoch auf die Volkshochschule
Gibt es eine deutschere Bildungs-Institution als die Volkshochschule? Vermutlich nicht. „Deine deutsche Bildungspflicht beginnt mit der Einschulung und endet mit der wunderbaren Volkshochschule (VHS)“, warnt Fletcher den „little foreigner“. Natürlich könne man sie abtun als „Bermuda-Dreieck des Wissens, wo man erst den Staub vom Stuhl wischen muss, ehe man sich setzt, und wo sie einem, wenn man nach einem Beamer fragt, ratlos den Overhead-Projektor zeigen“. Aber, ein großes Aber, Fletcher hält die VHS sogar für „eines der besten Dinge, die dieses Land zu bieten hat.“ Der Kern des Konzepts: „Bezahlbare Bildung für alle.“
Das Wetter ist schuld
Egal was den Deutschen plagt, er hat immer den passenden Sündenbock parat. Die Deutschen hätten die Sündenbock-Suche sozusagen perfektioniert, sagt Fletcher: „Sie haben das perfekte Opfer identifiziert – ein Opfer, das sich nicht verteidigen kann, das überall zu finden ist, das jeden gleichermaßen betrifft […]“: das Wetter. Kein Wunder, so findet Fletcher, dass die Deutschen so große Angst vor Zugluft haben. Egal um welches Wehwehchen es sich handele, um Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Gliederschmerzen, schlechte Laune, gute Laune, Schläfrigkeit, Müdigkeit oder allgemeiner Weltschmerz, die Antwort nach dem Grund laute meistens: „Ich bin ziemlich sicher, dass es am Wetter liegt.“
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„Kaffee und Kuchen“ als heiliges Ritual
Es ist nicht nur der Tatort-Sonntag-Abend, der in Deutschland als „geweiht“ gilt: Ein weiteres heiliges Ritual gilt es laut Fletcher, unbedingt einzuhalten: „Kaffee und Kuchen“. Dabei muss es für das Kaffeekränzchen keinen Anlass geben: „Kaffee und Kuchen sind sich selbst Feier genug“.
Der Endgegner? Die Mikrowelle!
Die größte Gefahr in Deutschland geht nicht von Islamisten oder Neonazis aus. Nein, sie lauert in der Küche: „Nach jahrelanger Indoktrination durch meine deutschen Bekannten habe ich akzeptiert, dass Mikrowellengeräte teuflische Fukushima-Maschinen zur sofortigen Strahlenvergiftung sind“, erklärt Fletcher. Dabei sei das nicht das eigentliche Problem, dass die Deutschen mit der Mikrowelle hätten, so Fletcher. Das Problem sei, dass sie für „exzessive Bequemlichkeit“, also „Convenience“ stehe.
„In England war ich nirgendwo mehr als einen Meter von einem vorgefertigten Sandwich entfernt, während man hier von mir erwartet, dass ich alle Zutaten kaufe und es selbst zubereite.“ Und zwar mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad: Als Deutscher mache man den Wocheneinkauf nicht in einem Riesensupermarkt, sondern auf dem Wochenmarkt, bei der Bäckerei, der Metzgerei, um alle Bio-Zutaten dann „Slow-Food“-mäßig zu dünsten….
Die David-Hasselhoff-Legende
Die Deutschen stehen auf David Hasselhoff – erzählt man sich im Ausland. Fragt man sie danach, kann das niemand bestätigen oder zumindest gibt es keiner zu. Fletcher appelliert nun an alle Leser, die Deutschen bloß nicht mehr mit dieser Frage zu belästigen. Seine These: Das Gerücht, dass die Deutschen Hasselhoff-Fans sind, stammt vom Baywatch-Star himself, der nach jedem Flop immer wieder herumposaunt habe: „Wisst ihr überhaupt, wer ich bin? In Deutschland bin ich ein Megastar!“ Ganz sicher. Gleich hinter Goethe und Lothar Matthäus.
Adam Fletcher: Wie man Deutscher wird in 50 neuen Schritten. Eine Anleitung von Baumarkt bis Weltschmerz, C.H. Beck, 192 Seiten, 44 farbige Abbildungen, 9,95.