KlimadebatteIst Backpacking rund um den Globus überhaupt noch zeitgemäß?
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Die Generation Y steckt in der Klemme. Jahrelang galt als cool und weltgewandt, wer möglichst häufig ans andere Ende der jettete. Je weiter weg, desto besser.
Doch seit Greta hat die große Flugscham eingesetzt. Fliegen ist klimatechnisch eine Todsünde – und das wissen auch alle.
Zwischen erhobenem Zeigefinger und der Neugierde auf die große Welt – wie gehen Millennials damit um? Und wie reisen Backpacker heute?
Köln – Ich stehe auf dem Blumenmarkt in Da Nang und Taubendreck fliegt mir um die Ohren. Gerade ist ein Motorroller an mir vorbeigerauscht und hat den Schmutz aus den Käfigen aufgewirbelt, in denen auf der gegenüberliegenden Straßenseite allerlei Getier schnattert und kräht. Zwei Monate lang bin ich in Vietnam unterwegs und lerne die Landessprache. Es ist die obligatorische letzte große Reise nach dem Studium und vor dem ersten Vollzeitjob. Ich trage einen großen Rucksack auf dem Rücken, reise mit kleinem Budget und organisiere alles selbst. Bestimmt kam vorher schon mal der Satz „In die Kultur der Einheimischen eintauchen“ über meine Lippen. Süße Naivität. Diese Reise sollte die letzte große Portion Freiheit werden. Am Ende bringt sie die Backpackerin in mir zu Fall – und entlässt sie desillusioniert, mit Zweifeln und voller Wut im Bauch zurück nach Deutschland.
Orientierungslose Millennials am anderen Ende der Welt
Auf meiner Reise treffe ich Stefanie, Leon, Tim, Brian, Martin, Maria und Raul. Allesamt sind sie Millennials auf der Suche. Nach einem Plan für die Zukunft, einer Motivation, das Studium doch noch durchzuziehen, einem Sinn im Leben. Voller Überzeugung, dass der Geistesblitz sie am Ende der Welt schon ereilen wird, klappern in Südostasien Backpacker nach dem Masse-Prinzip Destination für Destination ab. Heute Thailand, nächste Woche Kambodscha – und dazwischen noch ein paar Tage Laos. So geht eine der beliebtesten Routen.
Mit der Anzahl der besuchten Länder potenziert sich der Abenteuerwert. Manche glauben sogar an die Weisheit, um die man reicher zurück nach Deutschland kommen möchte. Dass bei den Reisenden selbst irgendetwas in Schieflage geraten sein könnte, hat die Community längst bemerkt. Im Internet ergießen sich Spott und Häme über die Häupter der gut situierten Mittzwanziger in schlecht sitzenden Elefantenhosen.
Offline aber ernten sie Schulterklopfen, Neid und Extra-Punkte fürs Tinder-Profil. Kaum etwas hebt den Coolnessfaktor eines Millennials so sehr wie der Satz „Ich war in Myanmar“. Thailand, Australien und Neuseeland sind durchgekaut und drei Mal ausgespuckt. Einfach jeder scheint dort gewesen zu sein – zumindest, solange man sich in den Sphären von Uniseminar und Mensa bewegt. Je unerschlossener, exotischer – ja ärmer – das Ziel, desto besser. Entwicklungs- und Schwellenländer versprechen ein authentisches Reiseerlebnis und jede Menge Prestige.
Wie ernst meinen wir die Klimadebatte?
Nach zwei Monaten Vietnam erscheint mir das makaber. Die einfache Unterkunft, der Smog, der in den Straßen steht, die Ameisen in der Küche – für mich sind das temporäre Begleitumstände, die ich nach kurzer Stippvisite wieder aufatmend hinter mir lassen darf. Die Menschen, die hier leben, reisen nicht wieder ab. Für sie sind die schlechten Bedingungen Alltag, kein Schaulaufen für schicke Bilder, um das krude Bedürfnis junger Backpacker nach „dem einfachen Leben“ zu befriedigen.
Als wäre diese Form von Fernreise nicht schon fragwürdig genug, gesellt sich im Hier und Jetzt die Debatte um den Klimawandel hinzu. Fridays for Future – das meinen wir doch ernst. Was nur bedeuten kann, dass der Status Vielflieger als Backpacker auf der Suche nach ein bisschen Echtheit neu betrachtet werden muss: Zwei Wochen nach Südostasien zu fliegen, noch einen Inlandsflug und einen kurzen Stopp in Kambodscha einzubauen, zeugt wohl weniger von Weltgewandtheit als vom Egoismus des Weltenbummlers.
Noch vor zwei Jahren waren ein paar Schritte über die Gangway eines Billigfliegers niemandem ein Schulterzucken wert. Das Wort Flugscham gab es noch nicht, Greta Thunberg drückte in Schweden die Schulbank und jemand, der beim Bäcker einen Becher aus nachwachsendem Bambus über die Theke reichte, musste oft erstmal ein paar Fragen beantworten. Heute fragt keiner mehr. Der Hardcore-Öko ist kein Freak mehr, sondern ein Vorbild. Darüber, dass es kein Weiterso geben darf, herrscht allgemeiner Konsens – auch wenn ein paar Unverbesserliche immer noch Plastiktüten benutzen und für Kurztrips nach Amsterdam das Flugzeug nehmen.
Der aufgeklärte Insta-Hipster lebt selbstverständlich grün
Der aufgeklärte Kosmopolit grenzt sich ab, sein Alltag wird begleitet von Bambustrinkhalm, Gemüsenetz und Einmachglas. Die neue grüne Welle – sie tut aber nicht weh, sie ist Instagram-tauglich. Durch soziale Netze fluten Blogger und Influencer, die ankündigen, ihr Leben nachhaltig gestalten zu wollen. Sie gründen Fair-Fashion-Labels, werben für vegane Gesichtsöle und misten mit Marie Kondo in Youtube-Videos ihre begehbaren Kleiderzimmer aus. Eine der bekanntesten deutschen Bloggerinnen, Masha Sedgwick, resümierte kürzlich in einem Post, dass 2020 das Jahr des Umbruchs werden solle. Statussymbole und die Vielfliegerei will sie neu überdenken. Sedgwick beginnt mit der großen Transformation, indem sie für eine Auszeit nach Bali fliegt.
Legt der Otto-Normal-Mittzwanziger mehr Reflexionsfähigkeit an den Tag? Anders als das Blogger-Sternchen hat er höchstens im Uniseminar einen Ruf zu wahren, nicht aber vor Millionen von Followern. Die jüngste Reiseanalyse der Kieler „Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen“ (FUR) legt nahe, dass für Flugreisen das bekannte Prinzip gilt: Klimaschutz ja, aber bitte nur, solange er (mich) nicht allzu sehr einschränkt. 57 Prozent der Befragten geben an, dass Nachhaltigkeit bei der Urlaubsplanung eine Rolle spielen „sollte“.
Konkrete Maßnahmen, wie beispielsweise die Kompensation von CO2 bei Flugreisen, ergreifen aber gerade einmal zwei Prozent. Das „Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa “ (NIT) betreibt auf diesem Feld Grundlagenforschung. Die Lücke zwischen Anspruch und Realität erklären sich die Ersteller der Studie unter anderem damit, dass Urlaubsreisen „hedonistisch geprägte Freizeitprodukte mit Ausnahmecharakter“ seien.
Hanoi im 21. Jahrhundert: Veganes Cafe und Biermeile
Wir erteilen uns selbst eine Ausnahmegenehmigung von der sonst geübten Nachhaltigkeitsdisziplin. Wir wägen ab, wie wir für uns das schönste Erlebnis schaffen können. Zwar wird Reisen immer günstiger, zugänglicher und damit selbstverständlicher, aber Urlaub bleibt die Ausnahme und ein Luxus, den wir uns nur begrenzt gönnen. So rechtfertigen wir den Fernflug mit diesem Seltenheitswert und mit dem vermeintlichen Gewinn, den wir aus der Reise in ein fernes Land, in eine noch unbekannte Kultur ziehen.
Entlang der Straßen auf dem Weg zu meinem Hostel im Old Quarter von Hanoi reihen sich nebeneinander Tourishops, vegane Restaurants und hippe Cafés, in denen Smoothie-Bowls und westlicher Cappuccino serviert werden. Ich biege nochmal ab und stehe auf der „Beer Road“. Hier gibt es keine Läden mehr, dafür Clubs, Essensbuden und Bierlokale. Die junge Frau an der Rezeption meiner Unterkunft spricht perfektes Englisch mit amerikanischem Akzent. In ihrem glattgebügelten Singsang erklärt sie mir, von wann bis wann es Frühstück gibt und dass ich von 19 bis 20 Uhr kostenlosen Alkohol bekomme. Im 21. Jahrhundert ist es möglich, in Vietnam genau die gleiche Art Sauffahrt durchzuziehen wie am Ballermann von Mallorca. Es klingt nur schicker.
Die Backpacker sind durchgehend im Stressmodus
Typische Gespräche der Grüppchen an den Hosteltischen drehen sich um die nächste Destination und die Abendplanung.
„Drei Tage reichen dann auch für Hanoi.“„Da war ich schon, also muss ich da nicht nochmal hin.“„Ich würde gerne noch A sehen, aber dafür habe ich keine Zeit. Ich möchte weiter nach B.“
Es geht zu wie in einer Runde „Super Mario“. Das Ziel ist es, immer schneller zu rennen und immer höher zu springen, um möglichst viele Sterne einzusammeln. Raul, Mark und Maria sind ungeduldig. Sie erlauben sich keinen Stopp, um einfach mal vom Weg abzubiegen. Kein Halt, der zuließe, wirklich etwas zu erleben. Im Kopf sind sie immer schon am nächsten Spot.James nimmt sich mehr Zeit. Er träumt von einem Leben als digitaler Nomade. Während seiner Reisen dreht er Drohnenvideos und lädt sie auf seinem Youtube-Kanal hoch. In seine Heimat Großbritannien möchte er so schnell nicht wieder zurück. Er wisse gar nicht, was er dort tun solle, sagt er. Von einem Leben aus dem Rucksack verspricht er sich vor allem Freiheit. Sein Alltag zuhause kommt ihm klein vor, ohne Orientierung.
„Nachhaltigkeit ist ein sehr, sehr wichtiges Thema für mich. Das Problem ist mir bewusst“, erklärt James. Und klar, er habe das Gefühl, dass es anderen Reisenden genauso gehe. Viele reden nicht nur darüber, sie achten auch darauf, am Strand den eigenen Müll mitzunehmen, sagt er.
Von James will ich noch wissen, wie er sich auf seinen Reisen fortbewegt. Mit dem Flugzeug, antwortet er. Nicht ideal, aber unvermeidlich. Ich wundere mich. Dann bestelle ich an der Theke ein Ban Mi für den dreifachen Preis dessen, was ich in einem kleinen lokalen Restaurant dafür gezahlt hätte. Mit dem typischen vietnamesischen Baguette hat es so viel zu tun wie eine deutsche Käsestulle.
Inlandsflug trifft auf Bambus Strohhalm
Es ist Regenzeit in Nord-Vietnam, in den Bergen von Sapa misst man nur um die zehn Grad. Stefanie und Leon aus Köln, Brian und Lianne aus Edinburgh und ich sitzen zum Abendessen gemeinsam um einen großen Holztisch. Stefanie hat sich ihren Naketano-Pulli übergezogen. Leon kramt in seinem Fjällräven-Rucksack nach dem Moskitospray. Im Schein der Lampen, die über unseren Köpfen baumeln, flattern unzählige Mücken, Falter und anderes Getier im einzigen Licht, das weit und breit leuchtet. „Wo wart ihr schon überall unterwegs?“, fragt Brian an das deutsche Pärchen gerichtet. Leon beginnt seine Aufzählung, unterstützt von Stefanie, die mit Jahreszahlen, Aufenthaltsdauer und Kostenpunkten assistiert.
In den Staaten waren sie am Horseshoe, einem der Instagram-Hotspots weltweit. Ja, verrückt was sie für das Hotel dort bezahlt haben, erinnert sich Leon. Aber der Ausblick war toll. Leon ist ein athletischer Typ, blonde Haare mit Basecap falsch herum auf dem Kopf. Stefanie ist genauso blond, viel rosa ist um sie, knöchelfreie Leggins, farblich abgestimmte Nikes. Sie seien von einem Abenteuer ins nächste geraten, erzählt Leon. Wie viele Abenteuer kann man in einem Hotel, das 80 Dollar pro Nacht kostet, wohl so erleben? Welche Überraschungen erwarten einen, wenn man auf dem Horseshoe sitzt und das perfekte Foto schießt? Die Flüge zwischen den Destinationen, die seien nicht toll, das sei eigentlich nicht so gut, räumen beide ein. Diese Trinkhalme aus Bambus, die wir in unsere Mango-Smoothies stecken, die finden sie cool.
Danke heißt auf Vietnamesisch „cám o’n“
Bucket List abhaken und das perfekte Fotomotiv für Instagram finden. Zwischendurch geht viel verloren. Womöglich genau das, wonach wir alle suchen, das wir auf Reisen zu finden hofften: Der eigene Weg, die Horizonterweiterung, der Blick über den Tellerrand. Genuss und Selbstbestätigung durch das Gefühl, etwas unbedingt Richtiges getan zu haben.
Aber ist es nicht offensichtlich? In Zeiten, in denen im Zentrum von Hanoi leichter eine Pizza Margarita zu finden ist als landestypische Küche, muss der Weg anderswo entlang führen, um einen Blick auf das Echte zu erhaschen, denke ich. Am Ende fehlt der Schlüssel, den es bräuchte, um durch die Tür in die Welt des anderen treten zu können. Sprache wäre wesentlich. Mit meinen paar Brocken reicht es für einen Smalltalk – die Vietnamesen quittieren das mit Begeisterung und schallendem Gelächter. Ich treffe andere Reisende, die seit Monaten im Land unterwegs sind, aber nicht einmal das vietnamesische Wort für Danke – „cám o’n“ – kennen. Für ein richtiges Gespräch ist auch mein Wortschatz zu klein. Das fühlt sich enttäuschend an und macht irgendwann stumm.
80 Prozent der Menschen weltweit haben nie ein Flugzeug betreten
Bao spricht Englisch. Ich treffe ihn zufällig in einem Café in Da Nang. Er hat studiert, arbeitet als Lehrer und ist Vater einer kleinen Tochter. Bao erzählt, dass er 400 Euro im Monat verdient, ein durchschnittliches Gehalt in seinem Land. Mit dem Geld, das er im Nebenjob dazuverdient, kann er einigermaßen leben. Die Möglichkeit, nach Europa zu reisen, ist für ihn Lichtjahre entfernt. Bao gehört zu jenen 80 Prozent Menschen auf der Welt, die nie einen Fuß in ein Flugzeug gesetzt haben. Das liegt nicht nur am Preis, sondern auch an seinem vietnamesischen Pass. Ein Visum für Europa ist teuer, es zu bekommen kann Monate dauern. Für die meisten Vietnamesen endet die Welt an den Grenzen von Kambodscha und Thailand – den beiden Ländern, in die sie ohne Genehmigung einreisen dürfen.
Zu Hause werde ich später von der wunderschönen Landschaft im Norden Vietnams erzählen. Aber auch von Bao, Han und Tuan. Es gab Begegnungen in Büchereien, auf Motorrollern und lokalen Märkten. Von dem Hühnerfuß berichte ich, der sich mir beim Abendessen mit einer vietnamesischen Familie entgegenstreckte. Von der tiefen Sehnsucht der Vietnamesen nach Europa, und ihrer Liebe zur eigenen Heimat. Nachhaltig reisen, das hieße, sich einzulassen auf das Land der Gastgeber, werde ich sagen. Doch viele sind bloß dort gewesen. Und haben vor Ort Augenblicke verpasst, in denen sie Menschen getroffen hätten. Eine Spur nur aus ihrem Leben zu begreifen – auch das wäre nachhaltig gewesen.