Im Dezember 2020 bekam unsere Autorin die Diagnose Brustkrebs – als junge Mutter und mitten in der Pandemie. Wo sie Hilfe erfahren hat.
Ich hatte Glück. Mehrfach. Ich dachte nur einen Abend lang, dass ich meine Tochter nicht aufwachsen sehen werde. Es war nur ein Abend, an dem ich unter Tränen die Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen habe. In der tröstet das Häschen den kleinen Charlie, weil sein Turm aus Bauklötzen von schwarzen Vögeln zerstört wurde.
Es war der 8. Dezember 2020, an dem mein Turm bröckelte, weil schwarze Vögel aufgezogen waren. Vier Tage vor meinem 30. Geburtstag erfuhr ich, dass ich Brustkrebs habe. Gegen 16 Uhr hetzte ich von der Arbeit zur Frauenarzt-Praxis, um das Ergebnis der Biopsie zu erhalten – nichts ahnend.
„Mit 29 kriegt man doch keinen Krebs“, dachte ich mir, obwohl ich den Knoten ein paar Wochen zuvor selbst ertastet hatte, nachdem ich meine Tochter gestillt hatte. Zwei Tage versuchte ich ihn „wegzumassieren“, weil ich vermutete – oder hoffte –, es wäre ein Milchstau. Dann ging ich doch zur Ärztin, die mich erst einmal beruhigte: Vielleicht ist es nur eine Zyste oder ein gutartiger Bindegewebsknoten. Um sicher zu gehen, schickte sie mich (zum Glück!) ins Brustzentrum nach Bergisch Gladbach. Die erste Vermutung des dortigen Arztes war genau gleich.
Das Ergebnis der Biopsie war das absolute Gegenteil: triple-negatives Mammakarzinom. Übersetzt: Brustkrebs von der richtig miesen Sorte. Schnell wachsend, aggressiv. Das einzig „positive“: Diese Krebsart mag in der Regel keine Chemotherapie – weswegen die Behandlung meist gut anschlägt. Das erfuhr ich alles im Brustzentrum, einen Tag nach der Diagnose, einen Tag nach der Gute-Nacht-Geschichte. Und an diesem Tag wurde auch deutlich: Es geht um Heilung. Mein Krebs ist heilbar. Ich werde voraussichtlich nicht daran sterben. Und meine Tochter wird ihre Mama behalten, mein Mann seine Ehefrau und meine Eltern ihre Tochter.
Das beruhigte mich und in mir setzte eine Art Überlebensinstinkt ein. Zum Glück ging ab dem Diagnosetag alles rasend schnell: Abstillen, Voruntersuchungen, operative Lymphknoten-Entfernung. Ich bekam einen Port gesetzt – einen Zugang, an den der Chemo-Tropf angeschlossen wird. Und zwei Wochen nach der Diagnose saß ich schließlich in einem Raum mit etwa einem Dutzend anderer Frauen, und bekam den ersten Chemo-Cocktail – oder wie ich ihn lieber nannte: meinen Heilsaft.
16 Mal war ich in diesem Raum, ließ über fünf Stunden die Medikamente in mich fließen und hoffte, dass sie dem Tumor den Garaus machen würden. Zuerst wöchentlich, am Ende zweiwöchentlich. Über die Zeit gewöhnte ich mich an die anderen Frauen, die fast alle im Alter meiner Mutter waren – oder älter. Immerhin liegt das mittlere Erkrankungsalter bei 64 Jahren. Die anderen Frauen und ich, wir waren wie ein Team auf Zeit. Wir fragten einander, wie wir die Therapie vertrugen, machten uns gegenseitig Mut, gaben Ernährungstipps oder zeigten einfach Mitgefühl, wenn sich eine von uns einfach nur mies fühlte. Wir ließen emotionale Nähe zu – mit Maske, auf Corona-Abstand.
Denn dieses Virus machte uns das Leben nicht gerade leichter. Im Gegenteil. Meine Angst vor dem Virus drehte sich ab Beginn der Chemotherapie um 180 Grad. Die Medikamente verursachen nämlich nicht nur Nebenwirkungen wie Geschmacksverlust (bei mir schmeckte alles plötzlich süß), Haarausfall, Übelkeit oder extreme Müdigkeit – sie greifen auch das Immunsystem an, weshalb ich anfälliger für Infekte wurde. War ich vorher der Auffassung, dass mein junger – vermeintlich gesunder – Körper eine Infektion schon wegstecken würde, war meine Sorge nach der Krebsdiagnose vor dem Coronavirus zwischenzeitlich größer als vor dem Krebs selbst.
Aus Angst, dass mir unsere anderthalbjährige Tochter das Virus aus der Kita mitbringen könnte, schickte ich sie nicht mehr hin. Sie durfte nur noch draußen mit den Kindern spielen, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Ein neuer Tagesrhythmus entstand, in dem ich mich einrichtete: Chemotherapie, ausruhen, wenig Kontakte, immer lüften, meine Tochter für ein bis zwei Stunden zum Spielen schicken, dann in den Garten (zum Glück haben wir einen Garten!) und ab und an eine Umarmung von meiner Mama.
Angst vor Corona
Inmitten dieser wirklich seltsamen Situation bekam ich im Alltag Unterstützung von meiner Familie, die (zum Glück!) im gleichen Ort wohnt. Und gleichzeitig fühlte ich mich hin und wieder sehr allein. Denn Brustkrebs – oder generell Krebs – bekommen doch eigentlich nur ältere Menschen. Oder? Ab und an hatte ich nämlich den Wunsch, mich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Aber die meisten anderen Frauen, die ich aus der Chemotherapie kannte, bekamen zwar eine ähnliche Therapie – sie hatten aber Zuhause kein Kleinkind, standen nicht mitten im Berufsleben oder waren auf der Suche nach einer Reha, die sie mit Nachwuchs bewältigt bekommen.
Dank der Corona-Pandemie war der Austausch sowieso stark eingeschränkt. Selbsthilfegruppen pausierten oft, Sportgruppen fanden nicht statt – und auch dort wäre ich die bemitleidenswerte Ausnahme gewesen. Aber in einer Zeitschrift fand ich schließlich einen Hinweis: Der Verein „Pro Mater Sano“ richtet sich an junge Mütter, die an Krebs erkrankt sind. Erst vor zwei Jahren hat Charlotte Arnold ihn gegründet, um vor allem junge Mütter finanziell zu unterstützen. Sie selbst hat mit Anfang 30 ihren Brustkrebs-Knoten gefühlt – als sie in der 10. Woche schwanger war. Sie hat alles bewältigt: Schwangerschaft, Geburt und gleichzeitige Chemotherapie – aber diese Reise hat ihr gezeigt, dass das „bürokratische Baukastensystem“, wie sie es nennt, eben auf ältere Patientinnen ausgerichtet ist.
Tipps: Wer sich digital nach Unterstützung oder Selbsthilfe-Gruppen umschauen möchte, die sich eher an jüngere Frauen richten, wird oft bei Instagram fündig, zum Beispiel auf den Accounts Pro Mater Sano oder Das Buusenkollektiv. Auch viele Betroffene schreiben auf eigens dafür eingerichteten Accounts über ihr Leben mit und nach Brustkrebs. Ein Beispiel ist Paulina Paulette, die auch regelmäßig an das Abtasten erinnert – mit passenden Obstfotos.
Wer lieber die Erfahrungen einer Betroffenen analog lesen möchte, dem sei zum Beispiel das Buch von Nicole Staudinger empfohlen: „Brüste umständehalber abzugeben“, ISBN: 9783959100137.
Konkret unterstützt der Verein „Pro Mater Sano“ vor allem mit Geld. „Es liegt in der Natur der Sache, dass junge Frauen oft noch keine finanziellen Rücklagen haben“, sagt Charlotte Arnold. Und gleichzeitig liegt die meiste Care-Arbeit immer noch bei der Frau – wenn dann die Mutter noch krank wird, stürzt das System oft zusammen. Der Verein übernimmt – unbürokratisch – dann die Kosten, die die Krankenkasse manchmal nicht bezahlt: Zuzahlungen zur Perücke oder besondere Behandlungen. Das kann ganz individuell sein. Betrügerinnen fürchtet Charlotte Arnold übrigens nicht: „Wir haben meist mehrere Monate Kontakt zu den Frauen – erst dann können sie sich durchringen, nach der finanziellen Unterstützung zu fragen.“ Ohne Zögern traue sich niemand.
Ich selbst war nicht auf der Suche nach finanzieller Unterstützung, sondern auf der Suche nach Empfehlungen für Anschluss-Heilbehandlungen, die ich mit einem Kleinkind antreten konnte – und „Pro Mater Sano“ öffnete mir eine (digitale) Welt, in der es noch mehr junge Krebskranke gibt. Vor allem auf Instagram teilen viele Krebskranke ihre Geschichte. So schreiben zum Beispiel zwei Betroffene unter dem Namen „Das Buusenkollektiv“ über ihre Erfahrungen, teilen aber auch Tipps anderer junger krebskranker Frauen. Sie organisieren sogar in regelmäßigen Abständen virtuelle Stammtische, bei denen sich die Frauen austauschen können.
Vorsorge ist wichtig
Mir wurde klar: Ich bin nicht allein. Ich bin keine Ausnahme. Das ist auf der einen Seite traurig, weil deutlich wurde, wie viele junge Frauen Brustkrebs bekommen. Auf der anderen Seite fand ich so eine Möglichkeit zum Austausch. Und bei all dem zeigte sich: Vorsorge ist so wichtig. Bei den meisten Frauen, die ihren Tumor früh ertastet haben oder bei einem Screening gesehen haben, endet die Therapie mit einer Heilung.
Nach Chemotherapie und OP kann ich voller Stolz sagen: Der Krebs ist weg. Dafür bin ich dankbar. Noch ein paar Wochen Bestrahlung und dann habe ich alle Therapien hinter mir. Die Nach- und weitere Vorsorge wird mich mein Leben lang begleiten. Aber das ist wichtig und möglich – zum Glück. Meinen Turm aus Bauklötzen baue ich wieder auf. Die schwarzen Vögel sind abgezogen – und kommen hoffentlich nicht wieder.