Bislang sind Experten davon ausgegangen, dass Covid-19-Patienten nach überstandener Krankheit immun gegen das neuartige Coronavirus sind.
Diese Annahme wird nun durch zwei Studien grundsätzlich infrage gestellt.
Wie steht es um die Immunität genesener Corona-Patienten? Und welche Auswirkung könnten die neuen Erkenntnisse auf politische Strategien zur Epidemie-Bekämpfung haben?
Köln – Eine chinesische Studie, die im Fachmagazin Naturemedicine veröffentlicht wurde, legt nahe, dass Covid-19-Patienten ohne Symptome deutlich weniger Antikörper bilden als solche mit schweren Verläufen. In der Untersuchung wurde bei den 37 Corona-Patienten, die während ihrer Erkrankung keine körperlichen Symptome hatten, eine nur schwache Immunantwort nachgewiesen. Die Zahl der Antikörper ging in der Studie nach zwei Monaten bereits um etwa zwei Drittel zurück – ein Wert, der keine Immunität sicherstellt.
Wie also steht es um die Immunität von Covid-19-Patienten? Dass die chinesischen Ergebnisse keinen Einzelfall darstellen, belegt eine weitere Untersuchung aus Deutschland. In der Münchener Klinik Schwabing wurde eine vergleichbare Studie mit neun Patienten durchgeführt. „Wir haben in der Nachsorge unserer Patienten gesehen, dass bei einem Teil, sprich bei 40 Prozent, im Verlauf ein Verlust an neutralisierenden Antikörpern stattgefunden hat. Auch hier konnten die Mediziner zwei Monate nach der Erkrankung keine Antikörper mehr nachweisen. Das deutet darauf hin, dass keine Langzeitimmunität gegeben sein könnte bei diesen Patienten, und sie sich eventuell auch wieder mit Sars-CoV-2 anstecken könnten“, erklärte Clemens Wendtner, Chefarzt im Krankenhaus Schwabing, gegenüber dem Bayerischen Rundfunk.
Infektionsrisiko nach Corona-Erkrankung trotzdem „sehr gering“
Die Ergebnisse widersprechen der bislang vorherrschenden Annahme, Covid-19-Patienten wären nach ihrer Erkrankung für einen längeren Zeitraum immun gegen die neuartige Lungenkrankheit. Der Kölner Infektionsexperte und Apothekenvorsitzende Thomas Preis hält es aktuell für „schwierig, eine Aussage darüber zu machen, wie lange eine nach durchlebter Krankheit erworbene Immunität anhält.“ Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gegenüber ordnet er die Ergebnisse ein: „Diese Studien ergeben, dass man nicht sicher sein kann, ob jede Infektion überhaupt regelhaft zu einer Immunität führt. Trotzdem gehen Experten auch aus den Erfahrungen mit anderen Corona-Infektionen davon aus, dass einmal genesene Patienten nur ein sehr geringes Risiko auf eine unmittelbare Neuinfektion haben.“
Schon frühere Studien aus China und Südkorea stellten die automatische Immunität nach einer Infektion infrage. Hier wurde Covid-19-Patienten, die als geheilt galten, erneut eine Infektion nachgewiesen. „Diese Doppelerkrankungen sind zu allergrößter Wahrscheinlichkeit auf zu früh entlassene und noch nicht restlos geheilte Patienten zurückzuführen“, so Preis.
Ähnlichkeit zu anderen Coronaviren
Aus der Sicht des 61-Jährigen haben die langjährigen Forschungen an vergleichbaren Coronaviren allerdings eine größere Bedeutung als die aktuellen Studien: „Jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass man im ungünstigen Fall mehrmals hintereinander einen Schnupfen oder eine Erkältung bekommen kann, sich also immer wieder mit Viren der gleichen Familie anstecken kann.“
Jedoch gehe man „beim Sars-Cov-2 Virus aufgrund der Erfahrungen mit ähnlichen Coronaviren, wie Sars und Mers, weiterhin davon aus, dass die Immunität bis zu drei Jahren andauern könnte.“ Es gebe sogar Experten, „die von mehr als zehn Jahren ausgehen.“ Ob und inwiefern sich die Erkenntnisse der beiden Studien aus China und München in den kommenden Monaten bestätigen, bleibt abzuwarten.
Die Konzepte Herdenimmunität und Immunpass stehen infrage
Absehbar ist schon heute, dass die Ergebnisse auch Einfluss auf politische Entscheidungen und Strategien zur Bekämpfung der Epidemie haben können. Der Infektionsepidemiologe André Karch aus Münster zum Beispiel hält es für falsch, auf eine Strategie der Herdenimmunität zu setzen, solange es unklar ist, ob die Immunantwort gegen SARS-CoV-2 in einem Großteil der Fälle dauerhaft ist.
Hinfällig wäre diese Strategie, wenn Infizierte nach überstandener Erkrankung nicht immun wären. Außerdem fürchtet Karch ebenso wie viele Virologen, dass das immer wieder diskutierte Konzept der Immunitätsausweise unter den aktuellen Bedingungen nicht aufgeht.