Das Virus schlummerte jahrzehntelang unbemerkt vor sich hin. Erst ein Magengrummeln veranlasst den Kölner Piet, zum Arzt zu gehen. Nun warnt er: „Lasst euch testen, testen, testen.“
„Lasst euch testen!“Warum der Kölner Piet jahrelang nichts von seiner Hepatitis-Erkrankung ahnte
Die Tabletten kaut er irgendwann „tonnenweise“. Schlimme Schmerzen hat er zwar nicht. Aber irgendwas in seiner Körpermitte scheint nicht in Ordnung zu sein. Magen, Darm, Speiseröhre. Wer weiß das schon? Durchfall, Grummeln, Unwohlsein, nachts schläft er schlecht. „Ich habe das zunächst dem Stress bei der Arbeit zugeschrieben“, sagt Piet.
Das Betriebsklima trifft allerdings keine Schuld. Um die Ursache seiner Beschwerden herauszufinden, muss der heute 66 Jahre alte Kölner in seiner Erinnerung weit in die Vergangenheit zurückspulen. Piets Leben spielte sich damals noch auf einer ganz anderen Seite ab, als junger Mann verlor er die Kontrolle und rutschte in die Drogensucht. „Ich war heroinabhängig.“
Piet über Hepatitis: Lasst euch testen, testen, testen“
Als er dreißig Jahre später mit Magengrummeln zum Arzt stiefelt, glaubt er, das alles längst hinter sich zu haben. Die Karten auf seiner Hand sehen da eher nach Trümpfen aus: Eine stabile Liebesbeziehung, ein festes Angestelltenverhältnis, sogar eine Eigentumswohnung sind da zu finden. Das Blatt mit den Drogen hat er längst abgeworfen. Aber die Heroinspritzen lassen seinen Körper nicht aus dem Schneider: Hepatitis C, eine Viruserkrankung, die sich in der Leber einnistet und das weiche gesunde Organ in einen harten, vernarbten Klumpen verwandelt: Leberzirrhose, in diesem Stadium irreversibel.
„Hätten wir die Infektion etwa zwei Jahre früher entdeckt, hätten wir Piet wahrscheinlich noch komplett heilen können“, sagt Professor und Gastroenterologe Christoph Neumann-Haefelin von der Uniklinik Köln. Piet will sich über den verpassten Zeitpunkt heute nicht mehr ärgern. Immerhin habe man seine Hepatitis medikamentös vertreiben können, seine Lebensqualität sei gut. Aber andere Menschen rechtzeitig warnen, das will er dann doch. „Lasst euch testen, testen, testen.“
Rechtzeitig entdeckt, lässt sich Hepatitis C heilen
Virushepatitis ist eine tückische Krankheit. Sie fordert jährlich 1,3 Millionen Todesfälle. Aber wer sie sich eingefangen hat, der bemerkt das zunächst gar nicht. Langsam und fast geräuschlos nistet sich die Infektion in den Leberzellen ein und zerstört diese. „Die Leber leidet leise“, sagt Neumann-Haefelin. Zu Beschwerden wie Übelkeit, Bauchwasser oder ausgeprägten Konzentrationsstörungen kommt es oft erst, wenn die Zirrhose schon weit fortgeschritten ist.
Eine dramatische Kombination. Schließlich lässt sich Hepatitis C heute – rechtzeitig entdeckt – unkompliziert und innerhalb von zwei bis drei Monaten heilen. Würde man die gesamte Bevölkerung testen, könnte die Welt das Virus also in absehbarer Zeit komplett abschütteln. Bislang erhalten laut WHO nur etwa zwei Prozent aller chronisch Infizierten eine Therapie. Um dem Ziel ein Stück näherzukommen, hat die Deutsche Leberhilfe zunächst einmal ihre Heimatstadt ins Visier genommen. „Hepatitisfreies Köln“ ruft es derzeit großflächig von Plakaten im ganzen Stadtgebiet.
Warum ein Test für jeden infrage kommt – auch jenseits von Drogen
„Mehr Tests, weniger Hepatitis“ heißt es da. Oder: „Ist dir deine Leber Wurst?“ Erreichen soll die Kampagne so viele Erwachsene, aber auch Hausärzte wie möglich. Denn: Es geht um die Suche nach den versteckten Tausenden, die das Virus unwissentlich in sich tragen und verbreiten, obwohl die Medizin sie heute heilen könnte. Labore hat man mit ins Boot geholt, Infektiologen wie Nazifa Quirishi, die Uniklinik, aber auch die Drogenhilfe. Testen lassen sollten sich aber nicht nur bestimmte Risikogruppen. Denn eine Infektion könne jeden treffen, sagt Neumann-Haefelin. Nicht immer sei der Ansteckungsweg so klar auszumachen wie in Piets Fall.
Sexuelle Kontakte könnten am Anfang einer Infektion gestanden haben, ebenso wie eine Bluttransfusion in den 80er Jahren, als die Medizin das Virus noch nicht kannte und deshalb via Medizinprodukten unwissentlich verbreitete. Aber auch das Urlaubs-Tattoo in einer vielleicht nicht ganz hygienischen Strandbude könne Schuld tragen an einer späteren Erkrankung. In einigen Ländern, in welchen werdende Mütter nicht auf Hepatitis-B getestet würden, kommen schon Kinder infiziert zur Welt, denn das Hepatitis B Vius überträgt sich auch unter der Geburt.
Leicht gelb gefärbte Augen, die Zunge glänzt wie lackiert, die Handinnenflächen strahlen auffallend rötlich – der behandelnde Arzt ahnt die Diagnose noch ehe das Labor Piets Werte bestätigt. Es ist 2010, gerade laufen die ersten Studien mit einem neuen, vergleichsweise gut verträglichen Medikament. Piet kommt zum Zug. „Ich hatte keine Nebenwirkungen, konnte normal weiterarbeiten und nach sechs Wochen war das Virus raus. Super.“ Piets Krankengeschichte könnte hier enden, hätten die Viruszellen die Leber im Verborgenen nicht schon über Jahrzehnte derart stark angegriffen, dass eine komplette Heilung des Organs unmöglich geworden ist.
Piet muss wegen seiner Hepatitis Entwässerungstabletten nehmen
Piets Leber litt zu lange. Das Gewebe ist mittlerweile so verhärtet, dass es das Blut am ausreichenden Hindurchfließen hindert. Sein Körper baute in der Not Umgehungsstraßen durch feine Blutgefäße, die für so viel Volumen aber gar nicht ausgelegt sind. Es drohen deshalb Risse. Piet klagt beispielsweise über Nasenbluten, aber auch in der Speiseröhre könnten Krampfadern platzen – mit möglicherweise lebensbedrohlichen Konsequenzen. Die Krampfadern in seiner Speiseröhre werden also mit einem Gummiband ligiert. Außerdem kämpft er gerade mit Bauchwasser. Durch den Blutrückstau, der vor der verhärteten Leber entsteht, tritt Flüssigkeit aus den Blutgefäßen. Um die Körpermitte ist der schlanke Mann deshalb derzeit ungewöhnlich voluminös.
Mit Entwässerungstabletten habe er seinen Umfang schon deutlich reduziert. Seine Listung auf der Lebertransplantationsliste sei eher als „Rettungsschirm“ zu betrachten, sagt Neumann-Haefelin. „Wir hoffen, dass Piet das Transplantat nie braucht.“ Wenn der Bauch wieder weggeschmolzen ist, könne er ein weitgehend uneingeschränktes Leben führen, sagt Piet. Radfahren, Laufen, Motorradfahren auf der Harley Davidson, Frau, Tochter, Enkelkind.
Gerade hat seine Rentenzeit begonnen. Zu tun habe er ohnehin genug: „Ich habe 10.000 Vinylplatten zu Hause und nochmal 5000 CDs. Die muss ich alle mal sortieren.“ Dazu will er die Stones und die Beatles hören, aber gern auch mal Mendocino von Michael Holm. „Da bin ich sehr offen.“
Natürlich habe seine Frau jetzt in gewisser Weise ein langweiliges Leben an seiner Seite. „Kneipenabende gibt’s halt nicht mehr“, sagt Piet und lacht. Sogar das „süße Zeug wie Fruchtgetränke“ habe er sich abgewöhnt. Aber er wolle es ja noch bis zum 82. Geburtstag schaffen, das kommt ihm wie ein gutes Alter vor. „Ich bin also ein Musterpatient.“ So lange, das hat er sich vorgenommen, wird es im gemeinsamen Garten prächtig blühen. Die Tellerhortensien betreut Piet besonders liebevoll. „Ich bin ein totaler Blumenfreak.“