Sexuell übertragbare Krankheiten sind ein oft schambehaftetes Tabuthema – und betreffen doch viele Menschen. Ein Überblick.
Kölner Infektiologin erklärtDarum steigen Fälle sexuell übertragbarer Krankheiten an
In Zeiten von Dating-Apps und sexueller Selbstbestimmung ist Geschlechtsverkehr in westlichen Ländern kein Tabuthema mehr. Sexuell übertragbare Infektionen schon. Öffentlich wird kaum über sie gesprochen, dabei sind viele Menschen im Laufe ihres Lebens mindestens einmal davon betroffen – ganz egal, welche sexuelle Orientierung und welches Geschlecht sie haben. Umso dringender ist es, die wichtigsten Fragen zu Geschlechtskrankheiten zu klären.
Jedes Jahr erkranken tausende Menschen in Deutschland an einer sexuell übertragbaren Infektion (STI – vom englischen Begriff „Sexually Transmitted Infections“). Das zeigen zumindest die der Meldepflicht unterliegenden Erkrankungen Hepatitis B, Syphilis und HIV. Die Zahl der Menschen mit einer Hepatitis B Infektion in Deutschland lag laut Robert Koch-Institut (RKI) für 2021 bei rund 8700 Fällen. Im vergangenen Jahr hat sich die Zahl fast verdoppelt, es gab rund 16.700 Fälle. Auch Syphilis- und HIV-Fälle nehmen in Deutschland zu.
Wieso steigen Fälle von sexuell übertragbaren Krankheiten an?
Clara Lehmann ist Professorin und Fachärztin für Innere Medizin, Infektiologie und Reisemedizin an der Uniklinik Köln. Sie betont, dass man erhöhte Fallzahlen von STIs immer einordnen müsse: „Man muss sich dabei fragen: liegen steigende Fälle daran, dass es wirklich mehr Infektionen gibt oder liegt es daran, dass einfach mehr getestet wird oder dass das Testverfahren verändert wurde?“
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Letzteres habe laut RKI zu den erhöhten Hepatitis B-Fällen im vergangenen Jahr geführt. Gleichzeitig würden aktuelle Fluchtbewegungen einen Einfluss auf den Anstieg der Fallzahlen nehmen – Geflüchtete werden in Deutschland getestet und die Fälle dann auch hier gemeldet. Zwei weitere Gründe seien Nachholeffekte nach der Pandemie und vermehrte Resistenzen – also die Unwirksamkeit von Medikamenten gegenüber den zu vernichtenden Bakterien –, sagt Lehmann.
Was sind sexuell übertragbare Krankheiten?
Laut der World Health Organization (WHO) sind mehr als 30 Erreger bekannt, welche durch sexuellen Kontakt übertragen werden können. Man unterscheidet bei den Erregern zwischen Viren, Bakterien oder Parasiten. Zu STIs, die durch Parasiten übertragen werden, zählen Trichomoniasis, Filzlausbefall und Krätze.
Zu den häufigsten sexuell übertragbaren viralen Infektionen gehören Hepatitis B, HIV/AIDS, Herpes- und HPV-Viren (Humane Papillomviren). Syphilis, Gonorrhö – auch Tripper genannt – und Chlamydien sind die häufigsten bakteriellen Infektionen in Deutschland, die durch Geschlechtsverkehr übertragen werden können.
Wird eine STI nur beim Sex übertragen?
Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) werden STIs überwiegend durch ungeschützte sexuelle Kontakte übertragen. Es gibt jedoch weitere mögliche Übertragungswege, die vom Erreger abhängig sind: Die Krankheit kann von der Mutter auf das Neugeborene übertragen werden. Auch können Infektionen durch verunreinigte Bluttransfusionen oder Injektionsnadeln weitergegeben werden.
Mit welchen Symptomen äußert sich eine STI?
Die ersten Symptome für Geschlechtskrankheiten würden in den allermeisten Fällen direkt am Übertragungsort auftreten, sagt Lehmann. So sind bei STIs folgende Körperregionen primär betroffen: Genitalien, Geschlechtsorgane, Harnwege, Mundhöhle und Anus.
Bleibt eine Erkrankung über längere Zeit unbemerkt und unbehandelt, so können die Erreger in andere Körperregionen aufsteigen. Bei einer Hepatitis B-Infektion sei etwa die Leber betroffen, denn das Virus führe dort zu einer Entzündung – eine Syphilis hingegen könne sich zum Beispiel durch ein kleines Geschwür am Genitaleingang und Ausschlag äußern, sagt Lehmann.
Infektionen mit HPV können unter anderem Entzündungen am Gebärmutterhals, am Penis und im Mund- und Rachenraum sowie Feigwarzen verursachen. „Unbehandelte sexuell übertragene Infektionen führen im schlimmsten Fall zu Unfruchtbarkeit und Krebs“, sagt Lehmann.
Das Problem von STIs sei, dass die Symptome teilweise weit auseinander gehen oder auch gar keine Symptome auftreten würden: „In vielen Fällen fühlt die betroffene Person sich ein bisschen krank. Es kann aber auch sein, dass sie gar nichts merkt“, sagt Lehmann. Selbst wer keine Symptome aufweise, gebe die Infektion bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr aber weiter, so die Infektiologin.
Worauf also achten? „Tripper und Chlamydien können sich mit Juckreiz, verändertem Ausfluss oder Wund sein äußern und geben dadurch erste Hinweise auf eine STI. Diese Anzeichen sind aber auch abseits von Tripper und Chlamydien schon sehr suggestiv und deuten an, dass etwas im Körper nicht stimmt“, sagt Lehmann.
Wie wird auf eine sexuell übertragbare Krankheit getestet?
Wenn man den Verdacht habe, sich mit einer STI angesteckt zu haben, empfiehlt Lehmann den Gang zum Hausarzt, Frauenarzt beziehungsweise Männerarzt (Androloge) oder auch zum örtlichen Gesundheitsamt. Nur ein Arzt oder eine Ärztin könne den Erreger richtig erkennen und die entsprechende Behandlung finden, sagt Lehmann. Für Ärzte seien solche Untersuchungen ganz normal, man müsse sich nicht schämen.
Laut der BZgA werden die Kosten für einen STI-Test in aller Regel von der Krankenkasse übernommen. Je nach Symptomen handelt es sich bei dem Test um einen Abstrich der betroffenen Schleimhaut, um eine Urin- oder Blut-Untersuchung.
Wie werden sexuell übertragbare Krankheiten behandelt?
Das komme auf den Erreger an, sagt Lehmann. Bei bakteriellen STIs setzt man Antibiotika ein. Antivirale Medikamente wirken gegen Geschlechtskrankheiten, die durch Viren verursacht werden. Verursachen Parasiten eine STI, kommen Antiparasitika zum Einsatz.
Wie steht es um die wohl bekannteste STI, das HI-Virus?
Laut Zahlen des RKIs haben sich 2259 Personen im Jahr 2021 mit HIV infiziert. Die Zahl der Neuinfektionen lag damit so niedrig wie zuletzt 2003. Allerdings steht die Zahl für 2021 unter dem Vorbehalt, dass möglicherweise eine geringere Test-Inanspruchnahme während der Pandemie die Zahl der Neuinfektionen unterschätzt.
Im vergangenen Jahr haben die Fallzahlen wieder zugenommen, 3262 Personen haben sich mit HIV angesteckt. Umso wichtiger sei es daher, Testangebote und den Zugang zu Therapie und Prävention stetig zu verbessern, sagt Lehmann.
Das sei auf zwei Ebenen wichtig: „Zum einen natürlich für mich persönlich, damit die Erkrankung nicht weiter voranschreitet. Aber auch für die Bevölkerung – also auf der Populationsebene – ist das sehr wichtig, denn wenn ich Medikamente nehme, geht die Viruslast runter. Unter einer gewissen Nachweisgrenze bin ich dann nicht mehr ansteckend“, so die Infektiologin.
Warum gibt es für manche sexuell übertragbare Krankheiten keine Meldepflicht?
Aktuelle Fallzahlen lassen sich neben HIV auch für Hepatitis B und Syphilis finden. Für Tripper und Chlamydien gibt es dagegen keine genauen Daten, sondern nur Schätzungen. Woran liegt das? Bisher scheitere die Meldepflicht in Deutschland an zu viel Bürokratie und zu wenig Digitalisierung beim Meldesystem, sagt Lehmann.
„Das ist nicht optimal, da hat Deutschland noch Nachholbedarf. Wenn ich etwa einen Patienten mit einer Syphilis-Infektion habe, fülle ich ein Formular aus und schicke es per Post an die entsprechende Meldestelle – das Ganze wäre digital viel unkomplizierter und schneller“, sagt Lehmann.
Wie schützt man sich vor einer sexuell übertragbaren Krankheit?
Kondome sollte man nutzen, auch wenn sie keine hundertprozentige Sicherheit geben – bei der Verwendung können Anwendungsfehler passieren, sagt Lehmann. Darüber hinaus sei es wichtig, dass man sich bei einem Verdacht möglichst rasch testen lasse, damit eine Erkrankung früh identifiziert und behandelt werden könne – und damit man die Infektion nicht weiter übertrage.