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Zunahme von Keuchhustenfällen„Die Krankheit ist massiv unterdiagnostiziert“

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Langer, quälender Husten macht die Diagnose Keuchhusten aus.

Langer, quälender Husten macht die Diagnose Keuchhusten aus.

Keuchhusten ist auf dem Vormarsch: Langer, quälender Husten – vor allem Babys sind gefährdet. Was sind Symptome und wie kann man sich schützen?

Corona, Grippe, RSV-Infektionen und jetzt auch noch Keuchhusten: In diesem Winter gehen in Europa gleich mehrere schwere Atemwegserkrankungen um. Aktuell wird in England und Wales eine „Whooping cough“-Welle beobachtet: Die Zahl der Keuchhustenfälle ist dort in den vergangenen Monaten alarmierend stark gestiegen. Zuvor gab es ähnliche Meldungen aus Kroatien und Dänemark.

Auch in Deutschland könnte sich die Lage verschärfen. „Wir befinden uns gerade in der Infektsaison“, sagt Prof. Christian Taube, stellvertretender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. „Neben anderen Atemwegserkrankungen, insbesondere Grippe und Covid, könnte auch Keuchhusten vermehrt auftreten.“

Hohe Dunkelziffer bei Keuchhusten

Vor zwei Jahren waren Keuchhusteninfektionen selten. Dem Robert Koch-Institut (RKI) wurden 2021 bloß 810 Fälle gemeldet. Diverse Corona-Maßnahmen – Lockdown, Masketragen und Abstandsregelungen – hatten dazu geführt, dass die Ansteckungen drastisch zurückgingen. Der Keuchhustenerreger „Bordetella pertussis“ wird nämlich per Tröpfchen, die beim Sprechen, Husten oder Niesen entstehen, übertragen. Für das laufende Jahr liegen dagegen bereits über 3000 Meldungen vor.

„Die Zahlen gehen derzeit hoch“, sagt Prof. Ivo Steinmetz, Leiter des RKI-Konsiliarlabors für Bordetellen an der Medizinischen Universität Graz. Dennoch liegen sie immer noch weit unter dem Niveau der vorpandemischen Jahre. Allerdings hat die offizielle Statistik nur eine begrenzte Aussagekraft: Experten gehen davon aus, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt und Keuchhusten grundsätzlich viel verbreiteter ist als häufig angenommen.

Langer, quälender Husten – gefährlich für Säuglinge

Für große Kinder und Erwachsene ist die Krankheit, die auch „Hundert-Tage-Husten“ genannt wird, vor allem lästig, aber in der Regel nicht gefährlich. Der Name macht deutlich, was das wichtigste Merkmal der Krankheit ist: nämlich langer, quälender Husten. Bedrohlich kann die Infektion mit dem Bakterium „Bordetella pertussis“ aber für Säuglinge werden, da sie Atemstillstände erleiden können. Außerdem ist die Gefahr von Komplikationen wie etwa Lungenentzündungen im ersten Lebensjahr besonders groß.

Da vor allem ungeimpfte Babys in ihren ersten Lebenswochen gefährdet sind, wird die Impfung seit 2020 allen schwangeren Frauen empfohlen. Dadurch soll verhindert werden, dass Mütter ihre Kinder anstecken. Außerdem geben geimpfte Schwangere auch Antikörper an ihr Baby weiter. Diese bieten aber nur einen vorübergehenden Schutz, sodass Säuglinge ab einem Alter von zwei Monaten geimpft werden sollten.

„Früher galt Keuchhusten als Kinderkrankheit“, sagt Taube. „Inzwischen erkranken mehr Erwachsene als Kinder.“ Das liegt daran, dass die allermeisten Kinder gegen Keuchhusten geimpft sind. „Hier ist die Impfquote sehr gut.“ Der Impfschutz lässt aber nach ein paar Jahren nach, sodass Infektionen mit der Zeit immer wahrscheinlicher werden. Daher empfiehlt die Stiko allen Erwachsenen eine Auffrischungsimpfung.

Symptome von Keuchhusten: Nicht immer klassisch

Laut medizinischen Lehrbüchern verläuft klassischer Keuchhusten in drei Phasen: Nach einer Phase mit normalen Erkältungssymptomen (ein bis zwei Wochen) folgt eine Phase mit starken Hustenanfällen (vier bis sechs Wochen), die allmählich abklingen (sechs bis zehn Wochen). Charakteristisch ist ein bellender Husten, der manchmal sogar Erbrechen auslöst.

In der Praxis können Keuchhustensymptome aber oft viel weniger charakteristisch sein, wie der medizinische Mikrobiologe Steinmetz erklärt. „Wenn man, wie die meisten, insbesondere älteren Menschen, zumindest eine Teilimmunität hat, kann die Krankheit anders verlaufen.“ Häufig hat man dann nur einen lang anhaltenden Husten, kann den Erreger aber trotzdem weitergeben. Dieser unauffällige Verlauf ist der Hauptgrund dafür, warum die wahren Fallzahlen viel höher sein dürften als die gemeldeten. „Die Krankheit ist massiv unterdiagnostiziert“, sagt Steinmetz. „Bei einem hartnäckigen Husten wird die notwendige Labordiagnostik zum Nachweis des Keuchhustenerregers insbesondere bei Erwachsenen häufig nicht durchgeführt.“

Die Therapie muss spätestens in der ersten oder zweiten Woche nach Einsetzen des Hustens beginnen
Prof. Christian Taube, stllv. Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin

Dafür spricht eine Studie, die der Mikrobiologe Carl Heinz Wirsing von König vor einigen Jahren gemeinsam mit einem Wissenschaftlerteam durchführte: Dazu untersuchten sie 1000 Patientinnen und Patienten, die länger als eine Woche husteten. Bei etwa 10 Prozent, also rund 100, konnten sie den Keuchhustenerreger nachweisen. Die offiziellen Zahlen – seit 2013 ist Keuchhusten nämlich bundesweit meldepflichtig – spiegeln also wahrscheinlich nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit wider.

Hinzu kommt, dass in der offiziellen Statistik nur Fälle auftauchen, die strengen Kriterien entsprechen: So muss der Erreger nicht nur durch Labortests nachgewiesen werden. Sondern es muss neben klassischen Keuchhustensymptomen zusätzlich dokumentiert werden, dass die Patientin oder der Patient mindestens zwei Wochen lang gehustet hat. Das ist in der Praxis oft schwer machbar.

Verwechslungsgefahr mit den Verwandten des Keuchhustenerregers

Noch komplizierter wird die Lage, da es weitere, mit dem Keuchhustenerreger „Bordetella pertussis“ verwandte Bakterien gibt, die ähnliche Symptome auslösen können. Der häufigste davon ist „Bordetella parapertussis“, der Steinmetz zufolge in der ersten Jahreshälfte in Deutschland „eine kleine Krankheitswelle“ auslöste. „Wir waren überrascht von der Schwere der Erkrankungen“, sagt er. Vor diesem Erreger schützt die Keuchhustenimpfung wahrscheinlich nur zu einem gewissen Grad.

Wenn man, wie die meisten, insbesondere älteren Menschen, zumindest eine Teilimmunität hat, kann die Krankheit anders verlaufen
Prof. Ivo Steinmetz, medizinischer Mikrobiologe

Da auch „Bordetella parapertussis“ vor allem für Babys gefährlich ist, sollte man sie möglichst von hustenden Mitmenschen fernhalten. Umgekehrt heißt das: Wer schwer hustet, sollte sich nicht auf der sicheren Seite wähnen, wenn der Corona-Test negativ ist. Auch andere Erreger, mit denen man möglicherweise Säuglinge, Senioren oder Menschen mit geschwächtem Immunsystem ansteckt, können gefährlich sein. Im Zweifel empfiehlt sich bei länger anhaltendem Husten immer ein Gang zur Arztpraxis.

Therapie bei Keuchhusten? Frühzeitig anfangen

Antibiotika helfen bei Keuchhusten übrigens nur begrenzt. „Sie wirken zwar, man muss sie aber frühzeitig einsetzen“, sagt Taube. „Die Therapie muss spätestens in der ersten oder zweiten Woche nach Einsetzen des Hustens beginnen.“ Ob Antibiotika dann noch viel Einfluss auf den Verlauf der Krankheit haben, ist fraglich – klar ist aber, dass sie dafür sorgen, dass Patienten innerhalb von ein paar Tagen nicht mehr ansteckend sind. Das kann zum Beispiel eine große Rolle spielen, wenn Kinder wieder in die Kita gehen sollen. Ist Keuchhusten nachgewiesen worden, kann es in speziellen Situationen auch sinnvoll sein, dass Kontaktpersonen vorbeugend Antibiotika einnehmen – etwa dann, wenn im Haushalt ein Neugeborenes lebt.

Der beste Schutz vor Keuchhusten ist allerdings eine Impfung – in dem Punkt sind sich Experten einig. In Deutschland ist die Impfquote bei der Auffrischungsimpfung für Erwachsenen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, lag 2021 nach RKI-Angaben aber dennoch nur bei knapp 50 Prozent. Allerdings kann man nicht gegen Keuchhusten allein impfen: Erwachsenen wird empfohlen, sich einmal, nämlich bei der nächsten fälligen Tetanus- und Diphtherie-Impfung, gegen Keuchhusten impfen zu lassen. Dafür gibt es einen Kombinationsimpfstoff.