Ab dem neuen Jahr steigen für 57 Millionen Versicherte die Krankenkassenbeiträge. Viele erfahren davon aber gar nichts. Der Vorgang zeigt: Nicht nur die Finanzen des Gesundheitssystems liegen im Argen.
Kommentar zu steigenden BeiträgenLauterbach sät Misstrauen, wo Transparenz unerlässlich ist
Normalerweise läuft es so: Wenn Ihr Stromversorger oder Ihr Fitnessstudio die Preise erhöht, müssen Sie darüber informiert werden. Sie haben dann ein Sonderkündigungsrecht und können sich einen anderen Anbieter suchen – oder gleich lieber zu Hause trainieren. Ausgerechnet bei etwas so Essenziellem wie der Gesundheitsversorgung läuft das dieses Jahr anders. Ab 2023 steigen die Preise, doch viele der 57 Millionen Versicherten erfahren davon erst durch die Gehaltsabrechnung im nächsten Jahr. Diese Intransparenz schafft nicht nur Misstrauen, sie stellt auch ein weiteres Mal unter Beweis, wie weit das Land bei der Digitalisierung hinterherhinkt.
Zunächst: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) blieb mit seinem GKV-Stabilisierungsgesetz kaum etwas anderes übrig, als die Zusatzbeiträge zu erhöhen. Die Finanzen der Krankenkassen sind nicht erst seit der Corona-Pandemie marode.
Natürlich hätte es auch andere Hebel gegeben. Spitzenverdiener etwa werden kaum zusätzlich belastet. Die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze bleibt so gut wie unangetastet. Das heißt: Wer mehr als 4.987,50 Euro im Monat verdient, muss keine zusätzlichen Beiträge zahlen. Mit der FDP in der Regierung war hier kaum etwas zu machen.
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Gesundheitsministerium muss mit Verdachtsmomenten leben
Apropos FDP: Die Liberalen brüsten sich seit jeher mit ihrem Engagement für ein digitaleres Land. Bei der Gesundheitsversorgung haben sie offenkundig noch einiges zu tun. Dass die Versicherten über steigende Beiträge nicht per Brief informiert werden, begründet das Bundesgesundheitsministerium mit den Portokosten. Von bis zu 100 Millionen Euro ist die Rede. Gäbe es eine solide digitale Infrastruktur, hätten die Krankenkassen einen Großteil ihrer Mitglieder aber auch per E-Mail informieren können. Die Portokosten etwa für ältere Menschen, die kein E-Mail-Postfach besitzen, wären dann viel weniger ins Gewicht gefallen.
Das hätte nicht nur Kosten gespart, sondern auch Misstrauen vorgebeugt, das durch die intransparenten Kostenerhöhungen entsteht. Es stellt sich die Frage, ob die Infopflicht nicht auch ausgesetzt wird, weil die gesetzlichen Krankenkassen den Aufwand fürchten, wenn viele Versicherte die Kasse wechseln. Gesundheitsminister Lauterbach muss damit leben, dass jetzt solche Verdachtsmomente entstehen.
Weil es offenkundig an der digitalen Infrastruktur mangelt, müssen sich Versicherte nun auf den Homepages der Krankenkassen, oder ganz analog, über das Mitgliedsmagazin informieren, wie viel mehr sie nächstes Jahr zahlen müssen und ob sich ein Wechsel lohnt. Bevor sich das ändert, heißt es: steigende Beiträge first, Digitalisierung second.