Köln – Als mich die Corona-App (CWA) warnt, stecke ich mit dem zweiten Bein schon fast in der Trainingshose. Samstagmorgen. 8 Uhr. Eigentlich wollte ich mit dem Blick aufs Handy nur kurz checken, was in der Nacht auf der Welt passiert ist. Doch dazu soll es nicht kommen. Der Informationssuche-Radius bleibt aufgrund der Warnung für Stunden auf wenige Kilometer beschränkt. Und bringt meine Recherche-Kompetenzen an ihre Grenzen, mein Verantwortungsbewusstsein auch.
Die App beschäftigt mich seit eineinhalb Jahren. Beruflich wie privat. Ich war Herunterladerin der ersten Stunde, anfangs rege Nutzerin, später mal Befürworterin, mal Skeptikerin. In unserer Redaktion haben wir uns mit der Anwendung des RKI schon beschäftigt, lange bevor die App im Juni 2020 auf den Markt kam.
Wir verfolgten die Entstehung und die Weiterentwicklung, die Sinn- und Fehlerhaftigkeit. Dann kehrte Ruhe um die CWA ein. Bis die roten Warnungen, die die App aussendete, in der vergangenen Woche auf über 70.000 Fälle täglich in die Höhe schnellte. Und wir darüber berichteten, was in einem solchen Fall zu tun ist.
Rote Warn-App setzt Gedankenkarussell in Gang
Von Uninformiertheit kann also keine Rede sein. Trotzdem hatte ich die App seit meiner zweiten Impfung aus dem Auge verloren, besser gesagt: das, wofür man sie ursprünglich erschaffen hat. Ich habe sie eigentlich nur noch angeklickt, um meinen Impfstatus nachzuweisen. Bis vergangenen Samstagmorgen. Da wurde plötzlich wieder klar, dass auch meine Corona-Warn-App weiter in Kontakt steht mit den Handys all der Menschen, die ich traf.
Und binnen Sekunden das Gedankenkarussell und die Kopfrechnen-Maschine in Gang setzte: Laut App liegt die riskante Begegnung, vor genau der auch mein Freund gewarnt wird, sechs Tage zurück. Vergangenen Sonntag also. Das ist übersichtlich. Da waren wir nur in der Hundeschule, was heißt in, wir waren draußen, auf einer großen Wiese, aber: gemeinsam mit 20 anderen Hundehalterinnen und –haltern.
Und am Nachmittag zum Kaffee im Haus bei Freunden. Beide doppelt geimpft. Doch dann kam der Sohn dazu, zwar zweifach geimpft, aber verschnupft. War der nicht am 11.11 auf der Zülpicher Straße? Also schnell anrufen. Okay, alle Drei haben keine Warnmeldung. Aber hatten sie immer und überall ihr Handy dabei? Ich kann nur vertrauen. Und versuchen, mich zu beruhigen.
Fiese Corona-Unsicherheit macht sich breit
Du bist bestens informiert, Caroline, hast schon oft geschrieben und gelesen, was jetzt zu tun ist. Doch plötzlich scheint alle Information wie weggeblasen, Black Out, wie bei der theoretischen Führerscheinprüfung. Gleichzeitig macht sich diese fiese Corona-Unsicherheit breit: Was, wenn ich mich angesteckt habe? Und andere? Ich habe weder Halsschmerzen, noch Schnupfen oder Husten, aber die Ansteckung verläuft ja bekanntlich auch ohne Symptome. Wen habe ich seit Sonntag getroffen? Ab wann wäre ich eine Gefahr für andere? Darf ich das Haus verlassen? Soll ich in Sicherheitsisolation? Oder das Handy einfach tagelang ausschalten?
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Drosten: Schnelltests sind nicht aussagekräftig
Während meine Gedanken immer irrsinnigere Kurven drehen, bereitet mein Freund zwei Schnelltests vor. Wir müssen jetzt besonnen handeln, sagt er. Und ich erinnere mich an die Worte, die Christian Drosten seit Tagen unermüdlich wiederholt: Schnelltests sind bei Geimpften nicht aussagekräftig, nur ein PCR-Test bringt Gewissheit. Aber es ist Samstag, die Hausarztpraxis ist geschlossen, das Gesundheitsamt sicher auch und die Schlange vor der Uniklinik kilometerlang. Bis Montag können wir nicht warten, ich könnte vom Homeoffice aus arbeiten, aber mein Freund ist solo-selbstständig und muss in die Produktion. Also auf zur nächsten Teststation. Halt, haben die nicht zum Großteil dicht gemacht? Wir haben Glück: Unweit unserer Wohnung hat ein Testzentrum, das PCR-Tests anbietet, geöffnet. Wir buchen einen Termin für 14 Uhr. Bleiben bis dahin sicherheitshalber in der Wohnung.
Die zwei Schlangen vor dem Testzentrum, eine für die Anmeldung, die andere für die Testung, sind überschaubar. Dennoch dauert es eine halbe Stunde, bis wir das Anmeldefenster erreichen. Wir zeigen unsere Personalausweise vor, unsere Terminbuchung – und die Mitarbeiterin hinter der Scheibe füllt viele Formulare aus. Als ich schließlich – diskret – auch die rote Warn-App vorzeige, sagt sie entrüstet: „Ach, Sie haben eine rote Warn-App? Das hört ja nicht mehr auf! Für einen PCR-Test hätten Sie sich nicht online anmelden müssen!“
Ist der PCR-Test doch nicht meine Pflicht?
Aber für einen Schnelltest, was macht das für einen Sinn?, denke ich mir, frage aber lieber nicht nach, um die aufgebrachte Frau nicht noch mehr zu reizen. „Jetzt ist Schluss mit PCR-Tests wegen roter Warnungen, das waren jetzt die letzten beiden“, brüllt sie auch schon ihrer Kollegin zu, die für PCR-Test-Anmeldungen zuständig ist. Ich nehme allen Mut zusammen und frage, ob es nicht unsere Pflicht sei, bei einer roten Warnung einen PCR-Test machen zu lassen. Und was wir stattdessen hätten tun sollen?
„Einen Schnelltest machen und abwarten, bis Sie Symptome haben, dann erst ist der PCR-Test fällig.“ Stand nicht auf der Homepage, dass dieses Testzentrum, wie übrigens fast alle nicht-staatlichen, keine Personen mit Symptomen testet? Ist nicht längst jeder und jedem bekannt, dass die Infektion auch symptomfrei verlaufen und man derweil andere anstecken kann? Laut Coronavirus-Testverordnung hat doch jede Person, die in den letzten zehn Tagen durch die CWA eine Warnung erhalten hat, einen Anspruch auf einen kostenfreien PCR-Test.
Der offizielle Weg zum PCR-Test
Wer eine rote Warnmeldung bekommt, hat laut §4a der Corona-Testverordnung des Bundesgesundheitsministeriums einen Anspruch auf einen kostenlosen PCR-Test, ebenso wie andere Kontaktpersonen, symptomatische Personen (unabhängig von Impf- oder Genesenen-Status) und asymptomatische Personen im Gesundheitswesen beziehungsweise anderen vulnerablen Bereichen.
Die kostenlosen PCR-Tests sind grundsätzlich bei Hausärzten, im Gesundheitsamt, im Testzentrum der Kölner Uniklinik, im Labor Wisplinghoff und bei jeder von der Stadt beauftragten Teststelle möglich. Mitzubringen ist ein Personalausweis und der Nachweis der roten Warnung.
In der Nähe befindliche Teststellen, die die Übermittlung von Schnelltest-Ergebnissen an die Corona-Warn-App (CWA) unterstützen, können über https://map.schnelltestportal.de/ gefunden werden.
Mit vielen Fragezeichen im Kopf warten wir darauf, am richtigen Fenster anzukommen. Damit die richtige Kollegin für die kommenden 20 Minuten die richtigen Formulare ausfüllen, unsere Adresse, E-Mail-Kontakte und was weiß ich noch handschriftlich (!) notieren kann. Ich betrete als Vorletzte für diesen Tag die PCR-Test-Kabine. Zum Abschied fragt die testende Mitarbeiterin, ob ich einen Schnelltest gemacht habe und ob der positiv gewesen sei, dann nämlich müsste sie die Kleidung wechseln. Ich verneine und verlasse verdutzt die Baracke. Meinem Freund, der unmittelbar nach mir getestet wird, stellt sie diese Frage übrigens nicht. Warum?
Für mich macht das alles keinen Sinn mehr. Auch nicht, dass ein Mann von der Hotline des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes, wie auch ein befreundeter Hausarzt auf Nachfrage empfehlen, was die empörte Dame vom Testzentrum schon sagte: Im Fall einer roten Warn-App abwarten, ob sich innerhalb von sieben Tagen Symptome zeigen, und bis dahin immer mal wieder Schnelltests machen.
PCR-Tests und ihre Chance, Verantwortung zu übernehmen
Wie gesagt, Herr Drosten sieht das anders. Die Menschen, die sich nach einer roten Warn-App nicht, wie ich, für einige Tage in Stubenarrest begeben könnten oder die sich, weil sie Risikopatienten sind, nicht schützen können, sicher auch. Für sie birgt die rote Warn-App ein existenzielleres Dilemma als für mich. Das Wirrwarr um die rote App, die vielen ungeklärten Fragen, machen mich rasend. Tatsache ist doch, dass genügend kostenlose PCR-Tests in Zeiten drastisch steigender Inzidenzen, eine große Chance für alle wären, ob geimpft oder nicht, Verantwortung zu übernehmen. Für sich und für andere.
Die Ergebnisse unserer PCR-Tests bekamen wir, immerhin, schon Sonntagnachmittags, sie waren übrigens negativ. Und die Frage, was ich tun kann, damit die App keine rote Warnung mehr anzeigt, mit der ich mich fühle, wie eine wandelnde Gefahr, kann ich auch beantworten: 14 Tage abwarten. Am 15. schaltet sie sich automatisch ab. Vorausgesetzt ich habe in dieser Zeit keine riskante Begegnung.