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documenta fifteen: Bekenntnis zur künstlerischen Leitung

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Kassel – Nach der Antisemitismus-Debatte der vergangenen Monate haben die Verantwortlichen der documenta fifteen am Mittwoch in Kassel ein klares Bekenntnis zur Kunstfreiheit und zum in die Kritik geratenen indonesischen Kuratorenkollektiv Ruangrupa abgelegt. „Aus der historischen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine ganz klare Haltung zu Antisemitismus und dem Existenzrecht Israels”, betonte der Aufsichtsratsvorsitzende, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), bei der Eröffnungspressekonferenz. Er mahnte, genau hinzusehen und nicht vorschnell zu verurteilen. Es würden Fragen diskutiert, die überhaupt nicht zur Debatte stünden, sondern medial aufoktroyiert worden seien.

Ein Bündnis hatte Ruangrupa vorgeworfen, bei der Schau seien auch Organisationen eingebunden, die den kulturellen Boykott Israels unterstützten oder antisemitisch seien. Ruangrupa und die documenta wiesen die Anschuldigungen entschieden zurück. Seither brandet die Diskussion immer wieder auf.

Die documenta sei immer auch ein Ort des Austausches und der hitzigen Diskussion gewesen, erklärte die hessische Kunstministerin und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Angela Dorn (Grüne). Sie betonte erneut, dass Antisemitismus keinen Platz auf der documenta habe. Das gleiche gelte für rassistische Anfeindungen und Angriffe, wie sie die Kuratoren und Künstler erlebt hätten.

Die documenta gilt neben der Biennale in Venedig als international wichtigste Präsentation von Gegenwartskunst. 14 Kollektive, Organisationen und Institutionen sowie 54 Künstlerinnen und Künstler präsentieren bis zum 25. September ihre Werke an 32 Standorten. Zunächst ist die documenta drei Tage lang Fachbesuchern und Journalisten vorbehalten. Am Samstag wird die alle fünf Jahre stattfindende Großausstellung dann feierlich für die Öffentlichkeit geöffnet. Dazu haben sich unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Hessens Ministerpräsident Boris Rhein sowie der Botschafter der Republik Indonesien, Arif Havas Oegroseno, angekündigt.

Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth nahm das Künstlerkollektiv Ruangrupa vor Vorwürfen des Antisemitismus in Schutz. „Die Herkunft aus einem bestimmten Land sollte nicht vorab zu Verdächtigungen führen, möglicherweise antisemitisch zu sein”, sagte die Grünen-Politikerin in Berlin mit Blick auf die documenta. Indonesien sei eines der Länder, die keine diplomatischen Beziehungen zu Israel haben. „Das kann ich schlecht finden. Aber es kann nicht heißen, dass ein Künstler oder Kollektiv aus Indonesien deshalb per se verdächtig ist.”

Im Zentrum des künstlerischen Konzeptes von Ruangrupa stünden kollektives Arbeiten, Solidarität, Teilhabe und Gemeinwohlorientierung anstelle von Individualismus, Profitgier und Machtstreben, erläuterte documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann. Humor, Großzügigkeit, Vertrauen und Unabhängigkeit seien gemeinsame Werte. Ruangrupa sei kritisch gegenüber dem westlichen Ideal des Künstlers als Genie, den Gesetzen des Kunstmarktes und Institutionen allgemein. „Die anhaltende Debatte, die seit Jahresanfang die Vorbereitungen begleitet, geht an diesem Kern des Konzepts bislang weitgehend vorbei und riskiert so die Auseinandersetzung mit einer documenta, die essenziell andere Konzepte für die Fragestellungen des 21. Jahrhunderts erprobt.”

Kulturstaatsministerin Roth sieht in Kassel Kriterien herkömmlich geprägter Kulturbetrachtung auf dem Prüfstand. „Ich bin auf die Konfrontation gespannt. Das wird eine neue, sehr provokative, auflösende Form von Kunst und Kultur sein”, erklärte sie in Berlin. Roth sprach von einer produktiven Debatte. „Politik mischt sich da nicht ein: Was ist gute Kunst oder schlechte Kunst?”

Die hessische Kunstministerin Dorn betonte die weltweit bedeutende Rolle der documenta als Avantgarde-Ausstellung. Der künstlerische Ansatz von Ruangrupa gebe Impulse, Gesellschaft anders zu denken und zu gestalten. Die teilnehmenden Künstler und Kollektive steuerten jeweils ihren ganz eigenen Blick bei, insbesondere den des Globalen Südens.

Neben einer Gesprächsrunde mit dem Kuratorenkollektiv Ruangrupa gab es auf der Pressekonferenz auch eine erzählerische Performance des indonesischen Künstlers Agus Nur Amal PMTOH, die auf die diesjährige documenta und ihre Kunst einstimmte. Im Mittelpunkt der Schau steht die indonesische Lumbung-Architektur. „lumbung” ist in dem Inselstaat das Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird. Diese Tradition des Teilens will Ruangrupa auf die Weltkunstausstellung in Kassel übertragen. Bilder und Skulpturen sieht man weniger, dafür umso mehr Performances und Aktionskunst sowie Filme und Installationen. Die Teilnehmerliste umfasst kaum große Namen der Kunstszene.

Die Schau erstreckt sich über Museen, Plätze, Parks und Hallen. Neben den klassischen Spielorten im Zentrum wie dem Museum Fridericianum und der documenta-Halle zählen auch ein Bootsverleih an der Fulda und ein ehemaliges Firmengelände sowie ein altes Hallenbad im Kasseler Osten zu den Standorten. Die documenta reicht damit über die Kasseler City hinaus.

Auch zu hören gibt es die documenta fifteen. „lumbung Radio” ist ein offenes Internetradio, das aus einem interkommunalen Netzwerk unterschiedlicher Radiostationen und Audiopraktiken besteht. Der Sender überträgt zeitzonenunabhängig und in mehreren Sprachen Musik und Kunst.

© dpa-infocom, dpa:220615-99-674522/4 (dpa)