AboAbonnieren

„Unfassbar und unverantwortlich“Eskalationen bei Corona-Demo rufen Empörung hervor

Lesezeit 4 Minuten
137146612_lay

Teilnehmer der „Querdenken”-Demonstration in Leipzig und die Polizisten stehen sich gegenüber. 

Leipzig – Nach der eskalierten „Querdenken“-Demonstration in Leipzig wird deutschlandweit der Ruf nach Konsequenzen laut. Zehntausende Demonstranten durchbrachen Polizeiabsperrungen und zogen feiernd durch die Innenstadt. SPD-Chefin Saskia Esken spricht von einer „innenpolitischen Bankrotterklärung.“

Zweieinhalb Stunden ließ die Polizei die 20.000 Teilnehmer ihren Unmut über die Corona-Einschränkungen kundtun. Die einen tanzten, sangen und meditierten - andere schwenkten Fahnen mit Bezug in rechtsextreme Kreise. Kaum 10 Prozent trug eine Maske, Abstandsregeln wurden nicht eingehalten.

Schlägereien und Attacken auf Journalisten

Dann forderte die Polizei die Demonstranten zum Abzug auf und die bis dahin ruhige Stimmung kippte. Die „Querdenker“ beharrten darauf, über den Innenstadtring zu ziehen, die legendäre Route der Montagsdemos in der DDR. Dabei kam es zu einzelnen Schlägereien zwischen Teilnehmern und Gegendemonstranten, an einer Polizeisperre flogen Raketen, Rauchtöpfe wurden gezündet. Die Journalistengewerkschaft DJU meldete am Abend mindestens 32 Attacken auf Reporter.

Gegen 18.00 Uhr ließ die Polizei die vielen Tausend Menschen dann laufen. Man hätte die Masse nur unter Einsatz massiver Gewalt zurückhalten können, erklärte Polizeisprecher Olaf Hoppe. Zahlreiche Politiker werfen der Leipziger Polizei und dem sächsischen Innenminister am Sonntag Versagen vor.

Eine „Innenpolitische Bankrotterklärung”

Linke, Grüne und SPD in Sachsen verlangten eine Aufarbeitung der Geschehnisse in einer Sondersitzung des Innenausschusses. Auch bundesweit führten die Bilder aus Leipzig zu Empörung. Timon Dzienus von der „Grünen Jugend“ schrieb auf Twitter zu der Leipziger Demonstration: „Wir machen uns absolut unglaubwürdig, wenn wir das durchgehen lassen, aber das Joggen im Park zu dritt bis 1.200€ kostet.“ Auch TV-Satiriker Jan Böhmermann teilte Szenen aus Leipzig auf Twitter.

SPD-Chefin Saskia Esken sagte gegenüber des SWR: „So einer Entwicklung tatenlos zuzuschauen, das ist eine innenpolitische Bankrotterklärung.“ Die Polizei habe völlig überfordert agiert, massenhaft Verstöße gegen die Corona-Maßnahmen seien nicht geahndet worden. Esken richtete auch Kritik an Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU): „Die haben die PolizistInnen tatsächlich sehenden Auges und völlig unzureichend ausgestattet auch in diese Situation laufen lassen und ich finde das unverantwortlich.“ Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil kritisiert die sächsischen Landesregierung.

Ministerpräsident kündigt Aufarbeitung an

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hat Kritik von SPD-Chefin Saskia Esken am Polizeieinsatz bei der „Querdenken“-Demo von Maskenverweigerern scharf als unsachlich zurückgewiesen. „Sie hat keine Ahnung von der polizeilichen Lage vor Ort“, kritisierte Ziemiak am Montag. Schon häufiger habe es ähnliche Einlassungen von Esken gegenüber der Polizei gegeben. „Man sollte sich erst äußern, wenn man alle Fakten kennt und nicht einfach lospoltern gegen die Polizei, nur weil man damit glaubt, einige Retweets bei Twitter zu bekommen.“

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) betonte am Sonntag, die sächsischen Regierung und auch der überwiegende Teil der Menschen habe kein Verständnis für diese Art von Demonstrationen, „für Leichtsinnigkeit und Hybris in einer Zeit, in der ein offener Blick zeigt, welche Gefahren das Virus hat“. Zugleich kündigte er eine Aufarbeitung des Geschehens an.

Leipzigs OB fühlt sich von Bund und Land alleine gelassen

Die Stadt Leipzig zeigte derweil Unverständinis über die Gerichtsentscheidung des Oberverwaltungsgericht (OVG) Bautzen, das die Demonstration erlaubte. „Das OVG hat uns eine Entscheidung auf den Tisch gelegt, die nur sehr, sehr schwer umzusetzen war“, sagte Stadt-Sprecher Matthias Hasberg.

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung zeigte sich am Sonntag „empört“ über den Richterspruch. Die Kommune sei zudem von Bund und Land alleine gelassen worden. Der sächsischen Landesregierung warf der SPD-Politiker eine „halbgewalkte Coronaschutz-Verordnung“ vor, die Busanreisen und Hotelübernachtungen der Demonstranten ermöglicht habe. Polizei und Ordnungsamt seien am Ende überfordert gewesen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Innenminister Roland Wöller (CDU) nannte es „unverständlich, dass mitten in einer sich verschärfenden Corona-Pandemie eine Versammlung von über 16 000 Teilnehmern in der Innenstadt von Leipzig genehmigt werden kann“. Veranstalter und Teilnehmer hätten schon vorher klar gemacht, dass sie keine Hygieneregeln einhalten wollten. Eine gewaltsame Auflösung einer friedlichen Demonstration habe aber nicht zur Debatte gestanden. (dpa/afp/red)