Bielefeld – Mit überwältigender Mehrheit hat die NRW-CDU auf dem Landesparteitag in Bielefeld den noch amtierenden Verkehrsminister Hendrik Wüst (46) zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Der Politiker aus dem Münsterland erhielt 645 der 656 Stimmen, das sind 98,3 Prozent. „Vielen lieben Dank für diese gigantische Ergebnis“, sagte Wüst in einer ersten Reaktion. „Ich werde mir ein Bein ausreißen, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen.“
NRW-Innenminister Herbert Reul ist mit 91 Prozent der Stimmen neu als einer von fünf Stellvertretern von Hendrik Wüst in den CDU-Landesvorstand gewählt worden. Kommunalministerin Ina Scharrenbach erhielt 89,8 Prozent. Die weiteren drei Stellvertreterposten bekleiden Daniel Sieveke, Sabine Verheyen und Elisabeth Winkelmeier-Becker.
Einen Gegenkandidaten gab es nicht. Dass Wüst am kommenden Mittwoch im Düsseldorfer Landtag auch zum neuen Ministerpräsidenten des Landes gewählt werden wird, daran ließ CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen in Bielefeld keinen Zweifel. Er sei sicher, dass die 100 Abgeordneten von CDU und FDP geschlossen hinter Wüst stehen werden. Die Regierungskoalition verfügt im Parlament nur über eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme.
In seiner Rede vor der Wahl zum neuen Parteichef dankte Wüst seinem Vorgänger Armin Laschet. Dass die NRW-CDU sich nach der bitteren Niederlage bei der Bundestagswahl derart „einig, geschlossen und stark“ präsentiere, „das ging nur, lieber Armin, weil Du die Enden zusammengehalten hast.“ Wüst kündigte an, er wolle dazu beitragen, die „mehr als zwei Millionen Wählerinnen und Wähler der Mitte, zur SPD und den Grünen gewechselt sind“, in den nächsten Monaten zurückgewinnen zu wollen. „Wir haben in NRW einen großen Vorteil. Wir sind anders als im Bund, wir sind besonders, wir sind einig, geschlossen und stark.“
Ziel: Klimaneutrales Industrieland
Politik lebe nicht nur von wichtigen Entscheidungen, sondern auch vom richtigen Umgang miteinander. „In der Union waren zuletzt auch Leute am Werk, die das nicht richtig beherzigt haben“, sagte Wüst. „Leute, wir haben die Bundestagswahl und, so wie es aussieht, auch die Regierungsbeteiligung verloren. Wir dürfen aber nicht auch noch Anstand und Haltung verlieren.“
Die größte Herausforderung der kommenden Jahre sei es, NRW in ein klimaneutrales Industrieland zu verwandeln. „Das ist nicht nur eine wirtschaftliche, das ist auch eine gesellschaftspolitische Frage. Wenn wir Wohlstand, soziale Sicherheit und gute Arbeit dabei verlieren, macht uns das auf der Welt niemand nach. Überall aussteigen ist leicht. Wir müssen es schaffen, die energieintensiven Industrien klimaneutral zu machen. Das ist der schwierige, der richtige Weg. Das ist CDU pur.“
Der Landtagswahlkampf wird nach den Worten des neuen Landesparteichefs in der kommenden Woche beginnen. Er steht unter dem Motto „Du zählst – und wir hören zu!“
Schon bei der Begrüßung der Delegierten zum CDU-Parteitag in Bielefeld merkt man dem scheidenden Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten Armin Laschet an, dass er nach dem Desaster der Union bei der Bundestagswahl und den gegenseitigen Schuldzuweisungen irgendwie erleichtert wirkt. Beide Bundesminister der CDU und alle Landesminister seien nach Bielefeld gekommen, Generalsekretär Paul Ziemiak, der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrats, Friedrich Merz, sagt Laschet. „Alle vollständig. Ich weiß auch nicht, was hier heute los ist. Irgendetwas Besonderes muss hier heute passieren.“
Die Tatsache, dass sich wegen der Corona-Pandemie nicht alle Untergliederungen der Partei in der Bielefelder Stadthalle präsentieren können, außer den 677 Delegierten keine Besucher zugelassen sind, verleitet Laschet zu einer weiteren ironischen Anmerkung. „Außer uns ist keiner da. Keine Öffentlichkeit, keine Presse. Wie bei einer Familienfeier können wir hier das Miteinander pflegen.“
Laschets Lob für Nachfolger Wüst
So schön kann Wunden lecken sein. Die Stimmung ist ausgesprochen gut. Ralph Brinkhaus, CDU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, wirft sich als Erster für den scheidenden Landesvorsitzenden Armin Laschet in die Bresche. „Du hast uns im Jahr 2012 beim Parteitag in Krefeld wieder aufgerichtet, als sie am Boden lag. Und das, obwohl Elmar Brok zuvor noch Dein Auto geschrottet hat.“ Und an Laschets Nachfolger Hendrik Wüst gewandt. „Also Hendrik, Elmar ist heute auch wieder da. Ich weiß nicht, wo Du geparkt hast.“
Bei seinem letzten Bericht als Landesvorsitzender läuft Armin Laschet zu großer Form auf, die bei so manchem Delegierten Wehmut aufkommen lässt. Warum bloß hat Laschet mit der Kanzlerkandidatur alles auf die Karte Berlin gesetzt und eine Rückkehr nach Düsseldorf ausgeschlossen? „Wir waren überall Schlusslicht. Nur bei der Kriminalität lagen wir ganz vorn“, sagt Laschet und verweist auf die Leistungsbilanz der Landesregierung, die mit ihrer Einstimmen-Mehrheit vieles bewegt habe: den vorzeitigen Ausstieg aus der Braunkohle auf den Weg gebracht, ein Klimaanpassungsgesetzt verabschiedet, bei der Inneren Sicherheit neue Maßstäbe gesetzt.
Sein Nachfolger Hendrik Wüst habe als Verkehrsminister einfach angepackt. „Du hast geplant bei Straßen, bei Schienen, bei Brücken. Vorher sind Bundesgelder verschenkt worden, weil Nordrhein-Westfalen keine Pläne fertig hatte“, so Laschet. Der NRW-Handwerkskammerpräsident habe 2019, „weil so viel gebaut wird“, vom Wüst-Effekt gesprochen. „Ich wünsche dem Land viel Wüst-Effekt in den nächsten Jahren.“
Der scheidende NRW-Parteichef erinnert 3402 Tage nach seinem Amtsantritt in der Krefelder Eissporthalle daran, wie es nach zwei krachenden Wahlniederlagen 2010 und 2012 gelungen sei, die innere Zerrissenheit zu überwinden und die Partei zu neuer Stärke zu führen. Seit der Übernahme der Verantwortung für das Land und dem überraschenden Wahlsieg im Mai 2017 sei es gelungen, NRW neu aufstellen. Es ein ganz langer Weg „aus tiefer Opposition hinein in die Landesregierung“ gewesen. Die NRW-CDU habe „keinen programmatischen Nachholbedarf. Wir haben alle großen Debatten, die die Bundes-Union fast zerrissen hätten, immer lösen können.“
Laschet erinnert an Adenauers Prägung
Mit vier Bitten an die Landespartei, seinem politischen Vermächtnis tritt Laschet mit minutenlangen Ovationen von der Bühne ab. „Die nordrhein-westfälische CDU darf nie wieder zerstritten sein. Sie muss so freundschaftlich zusammenstehen, wie wir das in diesen Tagen tun“, sagt Laschet. Das sei die eine Bitte. Und zweitens: „Bewahrt euch diese Kraft der Integration, dass wir Stadt und Land, Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, Alt und Jung zusammenhalten, dass wir nicht in Populismus verfallen. Das hat die CDU nie gemacht und das darf sie auch in Zukunft nicht tun. Und drittens: Bewahrt euch das soziale Herz, diesen Blick auf die kleinen Leute. Wir haben diese Wahl nicht verloren, weil wir nicht konservativ genug waren. Wir haben nicht nach rechts verloren, wir wollen gar keine Wähler der AfD. Wir haben dreieinhalb Millionen Wähler an die SPD verloren. Wir müssen die soziale Frage ernst nehmen. Das gehört mit zu unserem Markenkern, nicht nur Wirtschaft, sondern auch das Soziale. Und das Vierte: Bewahrt euch diese Leidenschaft für das geeinte Europa. Das war die Prägung von Konrad Adenauer.“
Geschlossen. So präsentiert sich die NRW-CDU in Bielefeld. Und Armin Laschet führt eine aktuelle Analyse des Allensbach-Instituts an, die den Wahlsieg der SPD und ihres Kanzlerkandidaten Olaf Scholz auf einen einfachen Nenner bringt. Nach einem internen mörderischen Wettkampf über fünfeinhalb Monate bei der Suche nach einem neuen Parteivorsitzenden habe die SPD nicht geschlossen gewirkt. Olaf Scholz sei sogar bekämpft worden. Nach dessen Kanzlerkandidatur hingegen hätten sich alle hinter ihm versammelt. „Das Resultat ist der Wahlerfolg der SPD“, sagt Laschet.