Bad Münstereifel – Dass es manchmal nur ein paar Meter sind, die ausreichen, um am 14. Juli nichts von der Flutkatastrophe mitzubekommen, die Bad Münstereifel heimgesucht hat, zeigt das Beispiel von Harald Bongart. Der Stadtarchivar war zeitig nach Hause gegangen, nachdem um 18.26 Uhr der Strom in der Kurstadt ausfiel. „Am Abend hat es dann stark geregnet, kurz nach 21 Uhr habe ich ein lautes Geräusch gehört, das ich nicht zuordnen konnte. Aber das Ausmaß des Hochwassers habe ich erst am nächsten Morgen mitbekommen“, erzählt Bongart.
Dabei liegen zwischen Bongarts Wohnung am Klosterplatz und der Erft nur zwei Hausreihen an der Werther Straße und Alten Gasse – und die haben alles abbekommen. Als der Stadtbedienstete die Wohnung verließ, sah er die ersten Trümmer. Beim Durchgang zum Kirchplatz stand er knöcheltief im Schlamm. Der nächste Schock kam, als er den Durchgang zum Zwentibold-Brunnen nahm. „Erst da habe ich das Ausmaß der Zerstörung gesehen“, sagt Bongart und ergänzt: „Die Schlammlinien waren irreal.“
„Im Innern herrschte das totale Chaos.“
Sein erster Gedanke: „Hoffentlich hat das Stadtarchiv nichts abbekommen.“ Das hatte er erstmals am 11. August 1986, als Student der Historischen Hilfswissenschaften, betreten. Sein zweiter Gedanke galt der Jesuitenbibliothek im St.-Michael-Gymnasium. Bongart machte sich sofort auf zum Rathaus. Doch ins Archiv, das in einem Gewölbekeller liegt und nur von der Fibergasse betreten werden kann, gelangte er gar nicht. Ein städtischer SUV, der normalerweise auf dem Hof neben dem Archiveingang parkt, wurde von den Wassermassen in den Treppenabgang gespült und versperrte den Weg. Erst drei Tage später, am Sonntag, wurde das Auto weggesetzt. Doch die Tür ließ sich nicht öffnen, weil Schlamm davorlag, der zuerst weggeräumt werden musste. Und einfach öffnen wollte Bongart die Tür auch nicht. Was, wenn das Archiv noch voller Wasser stand und ihm entgegenströmte? „Die Tür haben wir dann von oben mit einer Schaufel geöffnet.Wasser war aber keines mehr im Innern. Dafür herrschte das totale Chaos.“
Die 25 Tonnen schwere Kompaktanlage mit ihren elf Schlitten war von der Flutwelle angehoben und umgekippt worden. Einige waren gegen die Außenmauer Richtung Marktstraße gekippt, die anderen wurden nur von einer völlig durchweichten Rigipsplatte in Richtung Eingang zur Fibergasse gehalten. Zentnerschwere Glasvitrinen und Aktenschränke seien vom Wasser umgekippt worden.
An die wertvollen historischen Urkunden und Akten kam Bongart an dem Tag nicht. Und ihm war klar, dass der Notfallplan, den die Stadt beispielsweise für einen Wasserrohrbruch im Archiv hat, nicht greifen kann: Nasse Akten wären in dem Fall bei Bofrost schockgefrostet worden. Doch das Unternehmen am Bendenweg war auch von der Flutwelle beschädigt worden.
Aus dem Kölner Stadtarchiv-Einsturz gelernt
Bongart nutzte die Tatsache, dass die Bundeswehr mit einem Notstromaggregat wieder für Strom gesorgt hatte, und schrieb am gleichen Tag eine E-Mail an den Landschaftsverband Rheinland (LVR) in der Abtei Brauweiler, wo das Archivberatungszentrum untergebracht ist. Von dort erhielt er telefonischen Rat und eine Liste mit erforderlichen Hilfsmitteln, die benötigt wurden. Und der LVR gab ihm den nötigen Optimismus zurück. „Ich habe am Sonntag gedacht, alles im Archiv sei verloren. Aber der LVR hat vom Stadtarchiv-Einsturz in Köln gelernt: Das sieht zwar recht schlimm aus, aber das geht“, erzählt Bongart.
Und es gelang ihm, am Abend eine Mannschaft von Helfern zu akquirieren. In Rodert organisierte eine Helferin eine Bierzeltgarnitur. An drei Wasserstellen sollten die Dokumente mit Wasserschläuchen und Handbrausen vom Schlamm befreit werden.
Dabei half nicht nur der LVR, der mit Archivar Dr. Hans-Werner Langbrandtner, Papierrestauratorin Antje Brauns und einer Nachwuchskraft angereist war, sondern auch Niclas Rößler, ebenfalls Archivar und Sohn von Amtsleiterin Zentrale Dienste Sabine Rößler. „Alle haben großartige Hilfe geleistet“, lobt Bongart.
„Am Montag rückte der LVR dann mit Umzugskartons, Stretchfolie und Notfallboxen für den schnellen Zugriff an“, erzählt Bongart. Das Ziel war, die wichtigsten Archivalien zu retten: Gerichtsprotokolle und historische Urkunden beispielsweise. „Aber der Urkundenschrank war unter die Kompaktanlage gespült worden“, berichtete Bongart vom Dilemma. Dieser erste Tag, da ist sich Harald Bongart sicher, sei für die Helfer verstörend gewesen. Denn bis auf Personalakten hat er alles aus dem Zwischenarchiv entsorgen lassen. „Die müssen gedacht haben: Der schmeißt ja 80 Prozent weg.“
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Erst am zweiten Tag gelang es, die Schlitten der Kompaktanlage zu leeren. Erst so erreichte man den Urkundenschrank. „In den war das Wasser auch eingedrungen, der Schlamm war auf den Akten. Aber die Urkunden bestehen aus Pergament und waren mit Eisengallustinte beschriftet. Die verläuft nicht“, erklärt Bongart. Um einige Schränke zu öffnen, rückte die Feuerwehr mit Schere und Spreizer an. „Die haben die geknackt wie eine Konservendose“, erinnert sich der Archivar.
Mittwochs rückten Bongart und die Helfer dann dem Personenstandsregister zu Leibe. Doch die Dokumente waren schon verschimmelt, aufgequollen und pappten aneinander.
Aber am Ende sollte sich bewahrheiten, was die LVR-Experten vorhergesagt hatten: 90 Prozent des historischen Archivs, in dem sich Dokumente seit 1339 befinden, können wohl gerettet werden. Und auch das Archiv von Stadt und Land aus den Jahren 1815 bis 1969 kann zu großen Teilen erhalten bleiben.
Und was ist mit Bongarts zweitem Gedanken? Da ist der Stadtarchivar erleichtert: „Im Keller des St.-Michael-Gymnasiums stand zwar Wasser. Aber die Jesuitenbibliothek blieb verschont.“