Kurt Reidenbach ist seit 2020 Kämmerer der Stadt Bad Münstereifel. Er spricht über die Herausforderungen auf dem Weg zur Konsolidierung.
Interview mit Kurt Reidenbach„Bad Münstereifel kann die Überschuldung verhindern“
Bad Münstereifel hat Ende 2022 noch mit einem Defizit von 7,2 Millionen Euro für 2024 gerechnet. Aktuell sieht es nach einem Defizit von 8,9 Millionen aus. Wie kam es zu diesem Unterschied?
KURT REIDENBACH: Wir haben erhebliche Nachzahlungen von mehr als drei Millionen Euro im Bereich der Gewerbesteuer. Das Land errechnet aufgrund der eigenen Steuerkraft eines Referenzzeitraums im Vorjahr die Zuweisungen für das darauffolgende Jahr. Dementsprechend reduzieren sich die Schlüsselzuweisungen für 2024 um 2,3 Millionen Euro. Das ist ärgerlich, weil es sich nur um einmalige Nachzahlungen handelt. Diese Steuerkraft haben wir also 2024 gar nicht.
Dann gibt es einen Anteil an Einkommens- und Umsatzsteuer, der als Verbundsteuer Bund, Land und Kommunen zusteht. Der kommunale Anteil wird im Gemeindefinanzierungsgesetz festgesetzt. Zwischen dem Beschluss aus 2023 und den aktuellen Festsetzungen liegt eine Differenz von 1,2 Millionen. Ursache ist die allgemeine konjunkturelle Situation.
Dann hätten wir bei der ursprünglichen Planung ukrainebedingte Mehrausgaben und Mindereinnahmen isolieren und über 50 Jahre verteilen können. Diese Buchungserleichterung ist entfallen. Wir gehen davon aus, dass das ein Betrag von rund einer Million Euro ist.
Und dann haben wir noch pro Haushaltsjahr zwischen 800.000 und 900.000 Euro zusätzliche Personalkosten für befristete Stellen für den Wiederaufbau. Für die gibt es neben der einmaligen Pauschalerstattung des Landes in Höhe von 600.000 Euro keine jährliche Erstattung in der tatsächlichen Höhe.
Wenn ich das alles zusammenrechne, haben wir eine Verschlechterung von 5,8 Millionen Euro gegenüber der Planung vom letzten Jahr. Wären die Rahmenbedingungen so geblieben, wie sie waren, hätten wir eine deutliche Verbesserung, nämlich nur ein Defizit von 3,1 Millionen Euro, gehabt. Das ist für die Analyse zwar wichtig, aber es bleibt dabei: Die Ausgaben werden durch die Einnahmen nicht gedeckt und daran müssen wir weiter arbeiten.
94 Millionen: Rücklagen wären nach 22 Jahren aufgebraucht
2029 sind die Rücklagen in Höhe von 94 Millionen Euro, ausgehend von 2007, aufgebraucht. Wie kam es zu diesen Rücklagen?
Die Rücklagen entstanden durch den Systemwechsel aufs Neue Kommunale Finanzmanagement (NKF). Die Rücklagen in Höhe von knapp 94 Millionen Euro sind aus der Eröffnungsbilanz des NKF entstanden, als Eigenkapital und Anlagevermögen bewertet und erfasst wurden.
Wieso schreibt die Stadt seit Jahrzehnten nur rote Zahlen?
Wir haben in unseren über 50 Ortsteilen auf 151 Quadratkilometern sehr viel Infrastruktur, die einen hohen Sachaufwand in der baulichen Unterhaltung mit sich bringt. Eine ähnlich große Kommune wie zum Beispiel Weilerswist mit deutlich weniger Fläche hat weniger Feuerwehr-, Kindergarten- oder Schulstandorte.
Bad Münstereifel hat addiert so viele Kilometer städtischer Straßen und Wege zu unterhalten, wie manche Großstadt mit über 100.000 Einwohnern. Bei uns leben aber nur rund 17.800 Steuerzahler. Dazu kommt, dass unsere Steuerquote drei Prozent unter dem Mittelwert der NRW-Kommunen zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern liegt. Das ist schon viel.
Gewerbegebiete sind aktuell nicht in Sicht.
Wir versuchen, Gewerbe- oder Mischgebiete auszuweisen. Wir sind auch immer mit der Bezirksregierung im Gespräch. Im Landschaftsplan haben wir aber das Problem, dass rund um unsere Siedlungsbereiche fast überall Landschafts- oder sogar Naturschutzgebiete liegen. Deshalb ist es sogar schon schwierig, neue Wohngebiete zu entwickeln.
Zuletzt war ein Gewerbegebiet bei Nöthen angedacht.
Da gab es eine Anfrage bei der Bezirksregierung. Aber das ist schwierig. Eine Erweiterung im Gewerbegebiet Wald könnte einfacher sein.
Aber will man da hin?
Anfänglich war die Nachfrage nicht so groß und ein kleiner Teil ist daher sogar in Wohn-/Mischgebiet umgewandelt und bebaut worden. Und jetzt sind doch alle Gewerbeflächen in Nutzung und wir haben weiteren Bedarf. Auch der große Discounter vor Ort bedeutet eine unwahrscheinliche Verbesserung für die Nahversorgung im Bereich Houverath, Effelsberg und Wald.
Und in Iversheim ist alles voll?
Da gibt es nur zwei Flächen, die nicht bebaut sind.
Parkgebühren müssen ohnehin angepasst werden
Die aber die Stadt nun zur Unterbringung von Geflüchteten braucht. Durch das Haushaltssicherungskonzept (HSK), das 2024 beginnt, wäre bis 2033 Zeit, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. 2029 sind aber die Rücklagen schon aufgebraucht. Was passiert dann?
Wir wären nach noch geltender Systematik – das Haushaltsrecht der Kommunen soll im Februar geändert werden – überschuldet. Wir müssten ein Sanierungskonzept aufstellen, das strenger ist als ein HSK. Unser Ziel sollte es sein, dass wir im Rahmen eines HSK vorher den Ausgleich schaffen. Als Verwaltung müssen wir mit der Politik im Rahmen der Beratung wirklich alle Produktpläne durchgehen und gucken, wo man Ausgaben reduzieren und Einnahmen optimieren kann. Es gibt Einnahmearten, die sind seit zehn Jahren oder länger nicht angepasst worden, wie die Parkgebühren. Die müssen ohnehin wegen der Umsatzsteuer angepasst werden.
Muss die Politik unpopuläre Entscheidungen treffen? Als Beispiel wird ja immer das Eifelbad genannt, das aber nun auch für das Kurwesen genutzt werden soll.
Im Eifelbad gibt es eine Tarifstruktur, die überdacht werden sollte. Im Vergleich mit anderen Schwimmbädern liegen einige Tarife darunter. Ein Schwimmbad ist eine Einrichtung, die keine Kommune wirtschaftlich betreiben kann. Die Frage ist: Wie hoch ist der Kostendeckungsgrad oder wie können wir Energieverbräuche optimieren? Das ist auch das Ziel der Politik, so wie die bisherigen Beratungen zeigen.
Es gibt viele kleine Stellschrauben, an denen man arbeiten kann, anstatt immer nur Grund- oder Gewerbesteuer zu betrachten. Interessant könnte jedoch auch im Sinne der Bevölkerungsentwicklung die Grundsteuer C sein. Ab 2025 können, sofern die Voraussetzungen vorliegen und der Rat sich für diese Steuer entschließt, bebaubare Grundstücke, die nicht bebaut werden, höher als bisher besteuert werden. Ziel ist es, dass Grundstücke bebaut oder zur Bebauung veräußert werden und sich die Strukturen verdichten, was auch zusätzliche Steuereinnahmen ergibt.
In die Jahre gekommene Infrastruktur muss erneuert werden
Hat die Verwaltung Ideen, wo man sparen könnte?
Einige wurden bereits im September dem Rat vorgelegt und beschlossen. Weitere werden sich aus den Beratungen mit den Fraktionen ergeben.
Es gab aus der Politik den Vorschlag, Maßnahmen im Rahmen des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes (ISEK) zu prüfen. Die kosten trotz Förderung ja doch oft einige Millionen.
Die Eigenanteile liegen zwischen 0 und 30 Prozent und betragen keine Millionen. Wir haben sehr viel Infrastruktur, die kurz nach der kommunalen Neugliederung entstanden ist, als Bad Münstereifel aus den kleinen Gemeinden so entstanden ist, wie es heute existiert. Diese Infrastruktur ist jetzt in die Jahre gekommen.
Wir wollen das Fördermittelmanagement verbessern und schauen: Welche Infrastruktur muss zwingend erhalten oder erneuert werden und wie können wir diese durch Förderungen stärken? Dies stärkt die Finanzierung der Dinge, die ohnehin erneuert oder verbessert werden müssten. Das ist bei den ISEK-Maßnahmen auch so. Das kann man gut an der Kneipp-Anlage am Europaplatz sehen. Die Anlagen waren aus den 70er-Jahren und baulich nicht mehr intakt. Mit einem überschaubaren finanziellen Eigenanteil haben wir diese erneuert.
Das ist auch das Ziel der weiteren ISEK-Maßnahmen. Beispielsweise auch in den Anlagen im Wallgraben. Deren Instandsetzung soll durch ISEK-Fördermittel so gestaltet werden, dass wir sie uns leisten können. Gleichzeitig soll der Pflegeaufwand reduziert werden.
Ein anderes Beispiel ist der Sportplatz in Bad Münstereifel, der nach der Flut durch den Wiederaufbaufonds komplett gefördert wird. Das marode Sanitär- und Umkleidegebäude war bereits vor der Flut nicht mehr nutzbar. Daher gab es einen Förderantrag für ein neues Objekt. Gleichzeitig haben wir das Problem, dass wir ohnehin für den Schulsport im Kernort zu wenige Sportstätten haben. Die Förderung sieht vor, ein neues Gebäude mit Umkleide- und Sanitärbereich zu errichten, in dem neben einem Schulungsraum auch ein Mini-Indoor-Spielfeld enthalten ist.
Gewerbesteuereinnahmen deutlich höher als vor Corona
Wenn die Politik nicht sparen will: Kommt dann der Sparkommissar wie einst in Nideggen?
Wir sehen in Kirspenich und Eschweiler, dass durch neue Baugebiete auch neue Steuereinnahmen entstehen. Wir hoffen auf ein weiteres Baugebiet in Kirspenich. Durch den Zuwachs erhöhen sich die Grundsteuereinnahmen, die Einnahmensituation verbessert sich. Wir müssen uns in den Bereichen, in denen wir uns noch entwickeln können, weiterentwickeln und Infrastruktur optimieren. Es geht um gezielte strukturelle Verbesserungen.
Wir haben nicht viele große, aber dafür recht stabile Gewerbebetriebe. Große Faktoren sind der Mittelstand und das Handwerk. Wir gehen davon aus, dass wir mittel- und längerfristig zwei Millionen Euro mehr Gewerbesteuer haben als vor Corona. Damals betrug der Wert rund sechs Millionen Euro im Jahr. Wir rechnen damit, dass sich das bei acht bis achteinhalb Millionen einpendelt. Deshalb sehe ich schon Möglichkeiten, den Haushalt zu konsolidieren.
Wenn man von der Gewerbesteuer spricht, muss man über das City Outlet reden. Hinter vorgehaltener Hand wird immer behauptet, dass die Marken alle an ihren Hauptsitzen Gewerbesteuer zahlen.
Es gibt unselbstständige Filialen, wo wir im Rahmen der Zerlegung nur Gewerbesteueranteile erhalten, die berechnet werden anhand der Lohnsummen der Filialstandorte in Relation zum Hauptstandort. Es gibt aber auch selbstständige Filialen. Sowohl die eine als auch die andere Variante bringt uns deutlich mehr, als man vor zehn Jahren erwartet hat.
Was es uns aber auch bringt: Die gastronomischen Betriebe zeigen sich in einer ganz anderen Steuerkraft als vor der Eröffnung des Outlets. Die Besucher stärken auch den inhabergeführten Einzelhandel, der in eine andere Steuerkraft kommt. Und wir haben von den Besuchern weitere mittelbare Einnahmen, wie zum Beispiel mehr Parkgebühreneinnahmen, die wir so vor zehn Jahren nicht hatten. Das Outlet ist – wie der Tourismus – also auch eine bedeutende Wirtschaftskraft für Bad Münstereifel.
Ein weiteres Thema auf der Einnahmenseite wären die erneuerbaren Energien. Da kann man auch einiges erwarten.
Das ist die große Hoffnung. Wir haben einen Vertrag, der uns hoffentlich zwei Windenergieanlagen bringt. Das Land ist dabei, entsprechende Vereinfachungen vorzusehen, um die Bundes- und Landesziele bei erneuerbaren Energien voranzutreiben. Da haben wir die Hoffnung, dass im Stadtgebiet zusätzlich Photovoltaik- oder auch weitere Windenergieanlagen errichtet werden können. Denn auch von Anlagen auf Privatflächen profitieren wir.
Durch das EEG muss ein prozentualer Anteil des Stromerlöses an die Kommunen, die in einem gewissen Radius liegen, ausgezahlt werden. Wir gehen also davon aus, dass, egal ob auf städtischer oder privater Fläche, durch Photovoltaik- und Windenergieanlagen Einnahmen generiert werden können.
Akzeptanz für Windkraft in der Bevölkerung soll erhöht werden
Kann man beziffern, was ein Windrad im Schnitt an Pachteinnahmen einbringt, jetzt nicht auf Bad Münstereifel bezogen, sondern auf Deutschland oder NRW?
Selbst im Kreis Euskirchen sind diese Werte sehr unterschiedlich, deshalb kann man da keine allgemeingültige Aussage machen. Um die Akzeptanz zu erhöhen, hat das Land nun gesetzlich geregelt, dass Kommunen und Bürger sich finanziell beteiligen können. Das haben wir mit unserem Vertrag aber schon alles abgedeckt.
Bei der Ausgabenseite spielen die Zinsen wohl auch eine enorme Rolle.
Unser Defizit wird im Finanzplan durch Kredite gedeckt. Wir haben zurzeit die Hoffnung, dass die Zinsen nicht weiter steigen, aber sie sind im Vergleich zu vor zwei Jahren um etwa drei Prozentpunkte höher. Um den Wiederaufbau zu beschleunigen – als es zunächst Negativzinsen und dann Zinsen im Null-komma-x-Bereich gab – waren sich Rat, Verwaltung und Bürgermeisterin einig und haben den Wiederaufbau in den wichtigsten Infrastrukturbereichen mit einer finanziellen Vorleistung von weit über 20 Millionen Euro vorangetrieben.
Der Mittelfluss aus dem Wiederaufbaufonds ist inzwischen so, dass die Summe der Erstattungen und Abschläge die Vorausleistungen fast abdeckt und wir mittlerweile schon 23 Millionen aus dem Wiederaufbaufonds erhalten haben.
Bund und Länder müssen an die Kommunen denken
Die Politiker bei Bund und Land haben nicht immer die Probleme der Kommunen im Blick. Hätten Sie als Kämmerer einer kleineren Stadt Ideen? Was läuft falsch? Wie könnte es besser laufen?
Die Aufgaben, die auf die Kommunen zukommen, werden nicht weniger. Letztendlich sehen wir aber nicht in dem Maß höhere Steuereinnahmen, wie die Aufgaben wachsen. Eine große Herausforderung werden auch die energetischen Anpassungen an unseren Gebäuden im Rahmen des Gebäudeenergiegesetzes sein. Da gibt es viele Förderkulissen oder verbilligte Kreditfinanzierungen. Inwiefern auch wir als Kommune diese in Anspruch nehmen können, weiß ich noch nicht.
Wegen der vielen Ortsteile haben wir auch viel mehr Gebäude als andere Kommunen mit gleicher Einwohnerzahl. Wir haben zum Beispiel elf Kindertagesstätten. Andere Kommunen im Kreis mit ähnlicher Einwohnerzahl haben eine Handvoll Standorte, dafür aber solche mit zehn und mehr Gruppen. Da ist klar, dass es für uns teurer ist, wenn wir überall die Heizung erneuern und die Gebäude energetisch sanieren müssen. Daher wäre es schön, wenn vorhandene ländliche Siedlungsstrukturen im Rahmen der Gemeindefinanzierung stärker als bisher berücksichtigt würden.
Auch bei finanziellen Einzellösungen, die im Rahmen der Konferenz der Ministerpräsidenten beim Bundeskanzler für etwa die Flüchtlingsproblematik vereinbart wurden, wissen wir nicht, in welcher Höhe diese in den Folgejahren eingeplant werden können. Können wir die Bundesfinanzierung 2023 für Flüchtlinge auch 2024 wieder einplanen? Diese verlässlichen Daten bräuchten wir. Wenn man sich in den Umfragen des Städte- und Gemeindebundes ansieht, wie viele Kommunen 2023 keinen ausgeglichenen Haushalt mehr erreichen konnten, dann wünsche ich mir, dass auf Landes- und Bundesebene mehr über die Finanzierungsstruktur für Gemeinden nachgedacht wird.
Jetzt konkret gefragt: Kann man die Überschuldung 2029 verhindern?
Ich glaube schon, dass wir das können. Wir müssen zum Beispiel auch gezielt gucken, ob man bauliche Unterhaltungsmaßnahmen zeitlich strecken kann, weil wir einige Gebäude im Rahmen des Gebäudeenergiegesetzes ohnehin energetisch sanieren müssen, um so die Ausgaben zu reduzieren beziehungsweise anders zu verteilen, um nicht in einem Jahr einen besonders hohen Aufwand zu haben, der uns dann wieder weiter weg vom Haushaltsausgleich bringt.