Euskirchen – "Wir schaffen das“ heißt in Euskirchen „Mer stonn widder op“. Für Verwaltung, Marketingverein und den Großteil der Gewerbetreibenden gibt es keinen Zweifel mehr: Sie wollen die 60 000 Einwohner-Stadt wieder zu dem machen, was sie vor der Flutkatastrophe vom 14./15. Juli war: Treffpunkt, Mittelzentrum, Einkaufsstadt zwischen Köln und Bonn.
So der trotzige Plan. 87 Tage nach dem Hochwasser ist das selbstpropagierte „Come back stronger“ allerdings noch weit entfernt. Nur vereinzelte Geschäfte haben geöffnet. Noch laufen in mehr als 100 Gewerbe- und Einzelhandelsflächen die Trocknungsgeräte oder es wird der Putz von der Wand geschlagen, der Estrich rausgestemmt – die Symphonie des Neuanfangs.
Dort, wo sonst das Leben pulsiert, herrscht Tristesse, stehen zahlreiche Container, die längst Sinnbild sind für die Überschrift: Eine Stadt räumt auf, um sich neu zu erfinden. Auf knapp 200 Millionen Euro beläuft sich nach Angaben der Verwaltung der Schaden, den das Hochwasser angerichtet hat – ohne die privaten Schäden, ohne den wirtschaftlichen Verlust, der geschrieben wird, weil die komplette Innenstadt darnieder liegt.
Der erste Lichtblick sollte die Teileröffnung des Kaufhofs sein. Doch dieser Hoffnungsschimmer ist erloschen, hat sich auf Montag, 25. Oktober verschoben – voraussichtlich. Sicher ist in diesen Tagen in der Euskirchener Innenstadt nur eins – von Normalität ist die Kreisstadt noch Monate entfernt. Eine Einkaufsmeile lässt sich nach einer Jahrtausendkatastrophe eben nicht an einem Tag wieder aufbauen - und auch nicht in drei Monaten, wenn Ladenbauer rar sind, Handwerker überfüllte Auftragsbücher haben und Mauerwerk Zeit braucht, um zu trocknen. Ein Stück Alltag soll nun die Teileröffnung des Modehauses „Prinz“ bringen – das Euskirchener Peek & Cloppenburg.
Die ist für den kommenden Mittwoch, 13. Oktober, geplant. Und nach Angaben des Geschäftsführers Günter Blauen wird daran auch nicht gerüttelt. Auch wenn es Probleme mit dem Telekommunikationsanbieter gibt. Der würde nämlich gerne die Chance nutzen, und Glasfaserkabel verlegen. Das wird aber Monate dauern. Für Blauen ist das sinnbildlich für die vielen Hürden unterschiedlichster Höhe, die viele zu meistern haben.
„Das hier ist eine Jahrtausendkatastrophe”
„Da könnte die Stadt mehr Druck auf ein Unternehmen ausüben. Das hier ist eine Jahrtausendkatastrophe. Hier liegt der Einzelhandel komplett am Boden“, so Blauen. Das Ahrtal und Bad Münstereifel seien überregional medial präsenter gewesen, heißt es derzeit nicht selten in der Innenstadt. Und trotzdem ist der Blick in die Wirklichkeit dann nochmal krasser: „Ich höre oft, dass Handwerker oder Lieferanten überrascht darüber sind, wie viel hier kaputt ist“, berichtet Blauen.
„Wir tun es für die Stammkunden”, Günter Blauen, Geschäftsführer des Modehauses „Prinz“
Alles andere als möglichst schnell wieder zu öffnen, sei keine Option gewesen – auch wenn zunächst die Laufkundschaft fehlen werde: genau wie allen anderen Geschäften, die bereits wieder geöffnet haben. „Wir tun es für die Stammkunden. Auch die drohen wir zu verlieren – mit jedem Tag, den wir länger warten. Wenn von zehn Kunden nur zwei nicht mehr kommen, weil sie entdecken, dass es anderswo auch Kleidung gibt, sind das 20 Prozent“, sagt Blauen. Deshalb wolle man mit der Teileröffnung im Herren- und Damenhaus auf insgesamt etwa 1300 Quadratmetern ein Zeichen setzen: für Euskirchen, für die Region, für die Mitarbeiter - trotz der Kosten fürs Personal und Ware sowie der Sanierungsarbeiten, die weitergehen.
Schuhhaus Lange war Frequenzbringer in Euskirchen
Ein Frequenzbringer der vergangenen Jahrzehnte war auch das Schuhhaus Lange. Dort lässt man sich aber bewusst Zeit. Anders als Prinz wird Lange erst im kommenden Jahr öffnen – mit einem überarbeiteten Ladenkonzept. „Wir werden die modernste Stadt Deutschlands“, sagt Geschäftsführer Christian Lange: „Wir können bald, als eine Art Pilotprojekt für Deutschland, die Füße unserer Kunden per Laser ausmessen lassen und mit den Daten aus dem 3D-Drucker eine passgenaue Schuhsohle herstellen.“ Laut Lange werden Geschäfte entstehen, die in puncto Masse zwar nicht mit Köln mithalten können, qualitativ aber alle anderen überflügeln.
„Wir werden die modernste Stadt Deutschlands“, Christian Lange, Geschäftsführer Schuhhaus Lange
Sein Kollege Blauen warnt hingegen vor Luftschlössern: „Außer einem neuen Straßenbelag, LED-Lampen in den Läden und einer modernen Ladenstruktur wird nicht viel übrig bleiben.“ Es ist der Spagat zwischen Traum und Realität, der gerade oft in Euskirchen zu beobachten ist. Den Geschäften, die schon geöffnet haben, fehlen die Kunden. „Das ist schlimmer als in der Hochzeit der Corona-Pandemie. Da waren die Leute wenigstens in der Stadt“, sagt die Betreiberin eines kleinen Geschäfts in einer Seitengasse.
Was Blauen, Lange und viele weitere Einzelhändler eint: die Sorge vor zusätzlichen Baustellen – teils notwendig, teils herbeidiskutiert. Feststeht, dass der Bodenbelag der Fußgängerzone erneuert werden muss, weil die Flut die Pflastersteine teilweise weggespült hat. Zeitpunkt der Sanierung und eine mögliche einhergehende Kanalsanierung sorgen für Reibung zwischen Einzelhandel und Politik. Die Parteien schließen nicht aus, den Kanal, der nach Angaben der Verwaltung noch mindestens zehn Jahre Bestand hat, in einem Rutsch nun ebenfalls zu erneuern.
Blauen hält das für „groben Unfug“, Lange ergänzt: „Kunden kommen nicht wegen des Kanals in die Stadt.“ Die Baumaßnahme dürfte dem Handel 20 Prozent Einbußen kosten, so Blauen – und das nach Corona und der Flut.
Selbst die notwendige Sanierung des Pflasters würde Blauen gerne verschieben, wenn sie bis März nicht abgeschlossen ist. Bis dahin wollen alle Geschäfte zurück sein. „Dann muss ich ihnen die Chance geben, Luft zu holen“, sagt der Prinz-Chef. Die Corona-Pandemie habe viel Kraft und Geld gekostet. Dann kam das Wasser. Und gerade erfahre man auf bittere Art und Weise: „Ohne Handel ist eine Stadt tot“, so Blauen.
Auch Karstadt Kaufhof soll das Leben nach Euskirchen zurückbringen. Balsam für die geschundene Seele der Einkaufsstadt sein. Zumindest für die Euskirchener. Denn ob am 25. Oktober jemand allein aus der Eifel in die Kreisstadt kommt, um in einen Kaufhof zu gehen, der auf eineinhalb statt sonst dreieinhalb Etagen Ware anbietet, bleibt abzuwarten.
„Es ist wichtig, allen Kunden zu zeigen, das Leben kehrt in die Innenstadt zurück“, Hans-Peter Neußer, Filial-Geschäftsführer Karstadt Kaufhof
„Es ist wichtig, allen Kunden zu zeigen, der Einzelhandel in Euskirchen findet wieder statt und das Leben kehrt in die Innenstadt zurück“, sagt Filial-Geschäftsführer Hans-Peter Neußer. Wann der Kaufhof komplett zurück sein wird? Das sei noch völlig offen. C&A will laut Bürgermeister Reichelt zum Jahresende die Türen öffnen. Saturn sogar noch später.
Von Normalität ist Euskirchen weit entfernt
Eigentlich würde im Oktober die Kirmes Zehntausende Besucher anlocken, kombiniert mit dem verkaufsoffenen Sonntag ein Festtag für den Einzelhandel. Doch die Kirmes fällt deutlich kleiner aus als gewohnt und der verkaufsoffene Sonntag ist ganz gestrichen – von Normalität ist man in Euskirchen noch weit entfernt.