Mit Innovation und Millioneninvestition will das Schoeller Werk in Hellenthal 2035 klimaneutral produzieren.
Grüne IndustrieSo will der Hellenthaler Rohrhersteller Schoeller bis 2035 klimaneutral sein
12500 Tonnen CO2 hat das Schoeller Werk 2021 in die Atmosphäre gepustet. Das ist viel, aber auch nicht verwunderlich: Die 800 Mitarbeiter produzieren bis zu 80 Millionen Meter Edelstahlrohre im Jahr. Dazu braucht es Energie. Viel Energie. Dies achselzuckend hinzunehmen und sich eben als Teil der „dreckigen“ Industrie zu akzeptieren, ist nicht die Sache der Hellenthaler.
Sie sind stattdessen eine ambitionierte Selbstverpflichtung eingegangen und werden in deren Umsetzung Millionen investieren: Bis 2030 werden die CO2-Emissionen um 40 Prozent gesenkt, ab 2035 wird bei Schoeller CO2 - und damit klimaneutral produziert – zehn Jahre früher, als die Bundesregierung es vorgibt. Wie das funktionieren soll, erklären CEO (Geschäftsführer) Frank Poschen und Energiemanager Marian Jansen.
Hellenthaler fühlen sich auch der Region verpflichtet
Ja, der Faktor Region spielt eine Rolle, sagt Poschen: Die Rolle als Unternehmen im und für den Nationalpark und die Menschen. Die politische und gesellschaftliche Thematik nennt er. Die Wirtschaftlichkeit ist letztlich aber das Entscheidende. „Trotz der ethischen und moralischen Verantwortung: Wenn es sich nicht rechnen würde, würden wir es nicht tun“, sagt Poschen.
Auch der Kundendruck spielt eine Rolle. „Viele Kunden fragen nach dem CO2-Fußabdruck“, sagt Jansen. Daher will man in Hellenthal kein Greenwashing betreiben und das Unternehmen durch den Ankauf von CO2-Zertifikaten auf dem Papier klimaneutral machen, sondern tatsächlich am Standort grün produzieren. Da sieht man sich, so Poschen, auch in einer Vorreiterrolle. Und geht dabei ganz nach Eifeler Art vor: „Wir nehmen unser Schicksal in die eigenen Hände.“
Derzeit hat die Firma Schoeller rund zehn Millionen Euro Energiekosten
Als exorbitant hoch bezeichnet Poschen die Energiekosten. Hat das Unternehmen vor all den Krisen sieben bis acht Millionen Euro Energiekosten verzeichnet, stehen nun rund zehn Millionen in den Büchern. Die dicksten Batzen sind Strom und Wasserstoff. Gerade beim Wasserstoff seien die Kosten explodiert. Und anders als beim Strom gebe es keine staatlich eingebaute Bremse.
Mehr als 30 Millionen Kilowattstunden Strom verbraucht das Unternehmen pro Jahr. Für mehr als 8000 Haushalte würde das ausreichen, rechnet Jansen vor – oder: „Damit könnten wir alle Haushalte in der Gemeinde Hellenthal etwa zweieinhalb Jahre versorgen.“
Nicht viel besser sieht's beim Wasserstoff aus, der aufgrund seiner chemischen Eigenschaften im Glühprozess unverzichtbar ist. 2,7 Millionen Kubikmeter werden pro Jahr benötigt. Jansen hat das auf den Energiewert umgerechnet: Mit einem Auto könnte man mit der Menge Wasserstoff 800 Mal um die Erde fahren.
Auf dem Weg zur Klimaneutralität stehen mehr als 100 Maßnahmen an
„Ich kann nur sparen oder verbessern, was ich auch messen kann.“ Marian Jansen muss ein wenig grinsen, als er eine alte Ingenieursweisheit bemüht. Will sagen: Einfach mal so X Prozent von Y weniger zu verbrauchen, geht nicht, bevor feststeht, wie groß genau der Verbrauch ist und wo sich Einsparpotenziale verbergen.
Um Potenziale zu entdecken, wird unter anderem eine Software eingesetzt, die an mehreren Hundert Zählern und mittels Sensoren alle 15 Minuten den Energieverbrauch misst. Durch die Messungen konnten in Summe mehr als 100 einzelne Maßnahmen auf dem Weg zur Klimaneutralität definiert werden. Einzelne Schritte herauszupicken, funktioniert ebenfalls nicht, da in einem komplexen Produktionsprozess wie dem bei Schoeller zahlreiche Faktoren einander bedingen: Will man an einer Stellschraube drehen, müssen die Auswirkungen auf den Rest des Getriebes beachtet werden.
Auch Bewusstsein für Kleinigkeiten wird in Hellenthal geschärft
Der Energieverbrauch ist bereits kontinuierlich gesenkt worden. Bis zu 14 Prozent oder mehrere Millionen Kilowattstunden sollen durch Effizienzmaßnahmen gespart werden. Das Bewusstsein dafür zu schaffen, etwa das Licht oder die PCs auszuschalten, wenn sie nicht benötigt werden, hat beispielsweise genauso Effekte wie in den Produktionsprozessen das Beseitigen von Leckagen in Druckluftleitungen.
Zug um Zug wird auch die Beleuchtung in den Produktionshallen erneuert. Sind mancherorts noch Energieschleudern in Form von Leuchtstoffröhren an den Hallendecken, ist andernorts bereits intelligent gesteuerte LED-Technik am Werk. Die Anlagen messen etwa das von außen einfallende Licht oder ob jemand eine Sektion in einer Produktionsstätte betritt – je nach Anforderung können bestimmte Bereiche mehr oder weniger stark beleuchtet werden.
Schoeller bezieht ab 2025 Strom direkt von den Windrädern in Schöneseiffen
„Wir wollen 100 Prozent grünen Strom aus der Region und nicht von irgendwo aus der Nordsee“, sagt Poschen. Ein großer Teil des Schoeller-Stroms wird daher künftig vom Berg kommen – aus dem nahen Windpark in Schöneseiffen. Die erklärte Absicht des Unternehmens und des Windparkbetreibers GLS gibt es bereits.
Die technisch-praktische Umsetzung ist vergleichsweise einfach: Der Windpark speist ins Umspannwerk Wollenberg ein, Schoeller nimmt den Strom dort direkt ab. Jansen: „Die Infrastruktur ist da. Es muss nur im Umspannwerk umgestöpselt werden.“ Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht, da dies kein Standardverfahren ist. Energierechtliches, Regulatorisches und Netzthemen müssen geklärt werden. Das wird voraussichtlich das Jahr 2024 beanspruchen, so dass Schoeller ab 2025 mit dem Schöneseiffener Windstrom planen kann.
Zudem wird dort, wo es möglich ist, Photovoltaik auf den Hallendächern installiert – aus statischen Gründen wird das längst nicht überall möglich sein. Derzeit wird geprüft, wo wie viele Anlagen machbar sind. Mindestens 80 Prozent des Stroms will Schoeller künftig selbst produzieren oder über GLS von den Windrädern beziehen. Geprüft wird aktuell, wie die 10 bis 20 Prozent Zukauf in dunklen und windstillen Phasen im Sinne des eigenen Klimaziels realisiert werden können.
In Hellenthal entsteht ein eigener Wasserstoff-Hub
Neben dem Preis spielt auch die Versorgungssicherheit eine Rolle. „Wir wollen nicht morgens beten, dass die Produktionsstoffe zu haben sind“, sagt Poschen. Teils habe jongliert werden müssen, zwei bis drei Mal sei die Versorgung nicht sicher gewährleistet gewesen. Selber machen lautet hier die Devise.
Die vier bis fünf markanten Tankzüge, die täglich aus Hürth durchs Schleidener Tal gen Hellenthal rollen, verschwinden dann aus dem Straßenbild. Denn Schoeller will seinen Wasserstoff in einem eigenen Wasserstoff-Hub (Netzwerk) selbst erzeugen. In einer innovativen Kombination aus Recycling und Eigenproduktion. Auf Pipelines, die vielleicht irgendwann, irgendwo in der Region installiert werden, setzt in Hellenthal niemand.
Derzeit wird der im Glühprozess verunreinigte Wasserstoff abgefackelt und ungenutzt an die Umgebung abgegeben. Künftig soll er so weit wie möglich aufgefangen und recycelt werden. Zu 100 Prozent, so Jansen, sind aber weder Auffangen noch Aufbereiten möglich. 80 Prozent sind angepeilt. Die restlichen 20 Prozent will Schoeller selbst per Elektrolyse produzieren.
Durch unterirdische Leitungen, die Rede ist von etwa fingerdicken Rohren, wird der Wasserstoff dann durch Hellenthal zu den Produktionsstätten geschickt – Lastwagen sollen nur im äußersten Notfall eingesetzt werden. Der Wasserstoff-Hub, zu dem Speichertanks, Aufbereitung und Elektrolyseure gehören, ist nicht klein: 50 mal 35 Meter, so die aktuelle Kalkulation, sind dafür notwendig. Zwei potenzielle Standorte sind dafür derzeit ins Auge gefasst.
Die Abwärme aus der Produktion wird künftig zum Heizen genutzt
„Am liebsten würden wir den Erdgasanschluss zuschieben und auch zu lassen“, sagt Jansen. Erdgas wird in sehr geringen Anteilen in der Produktion benötigt. Nur eine Anlage ist darauf angewiesen – und auch die wird im Zuge der Werkentwicklung wegfallen. Der Rest wird zum Heizen benötigt. Gleichzeitig fällt in der Produktion eine Menge Abwärme an, die bislang ungenutzt an die Umgebung abgegeben wird.
Das Laserschweißen wird hier an erster Stelle genannt. Jansen und Poschen sind optimistisch, mit der Produktionsabwärme ausreichend heizen zu können. Eine Unsicherheit bleibt: die produktionsfreie Zeit. Effiziente Speichermöglichkeiten gibt es laut Jansen nicht, „grünes “ Erdgas über Zertifikate einzukaufen, ist nicht gewünscht. Hier muss noch eine Lösung gefunden werden.
Frank Poschen fordert einen Bürokratieabbau
„Wir sind ein Vorzeigeprojekt in einer vergessenen Region – dem Kreis Euskirchen“, sagt Poschen. Und: „Wir brauchen einen Bürokratieabbau. Das ist so sehr herausfordernd.“
Der Besuch von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur vor wenigen Wochen hat da sicherlich nicht geschadet. Der hat Türen ins Ministerium geöffnet, die für solch ein Projekt unerlässlich sind. Das scheint zu funktionieren: Eine Schoeller-Delegation ist jüngst in Düsseldorf gewesen, eine des Ministeriums kommt nach Hellenthal.
Schoeller investiert viele Millionen in den Standort Hellenthal
Einen dreistelligen Millionenbetrag investiert Schoeller in den nächsten Jahren in die Modernisierung des Standorts Hellenthal. Ein mittlerer zweistelliger Betrag entfällt davon laut Poschen auf die Maßnahmen auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Er rechnet damit, dass sich die energetischen Maßnahmen in weniger als zehn Jahren amortisieren. Das Ziel ist, die Energiekosten von derzeit zehn Millionen Euro zu halbieren. Ein weiteres gibt Poschen mit einem Augenzwinkern und mit Blick auf das 200-jährige Bestehen des Unternehmens 2027 aus: „Wir machen Schoeller fit für die nächsten 200 Jahre.“
Die allgemeine Lage
Kriege und Krisen bestimmen die Schlagzeilen. Die schwierige gesamtwirtschaftliche Lage macht auch vor dem Schoeller Werk nicht Halt. Dennoch bezeichnet Geschäftsführer Frank Poschen die Lage insgesamt als zufriedenstellend.
Mit Kurzarbeit von einem bis zwei Tagen pro Woche habe man im Juni etwa auf die Krise im Bausektor reagiert. Aktuell produziert das Hellenthaler Werk in Normalauslastung. Bis Ende des Jahres wertet Poschen die Lage als weiterhin stabil.
Der Automobilsektor ist für Poschen weiterhin ein Überraschungspaket: „Keiner weiß, wo die Reise hingeht.“ Hatte Schoeller in den Jahren 2015/16 rund 60 Prozent seiner Umsätze in diesem Sektor gemacht, sind es aktuell noch rund 40 – entsprechend wurden auch die Werte bei den Industrie-Kunden umgekehrt. Jedoch betont Poschen: „Ein Ausstieg aus dem Automobil-Sektor ist nicht geplant.“
Weiter wachsen will Schoeller im sogenannten Non-Automotive-Bereich, etwa in der Kälte-, Klima- und Heiztechnik oder im Bereich Offshore-Leitungen für Gas und Öl. Ist Letzteres nicht ein Widerspruch zum vom Unternehmen eingeschlagenen Weg hin zum Verzicht auf fossile Brennstoffe? Nein, sagt Poschen: „Es wird weiterhin weltweit Erdöl gefördert. Ich habe kein schlechtes Gewissen, Produkte dafür zu liefern.“
Der Fachkräftemangel bereitet auch den Verantwortlichen bei Schoeller Kopfzerbrechen. Etwa im Bereich Social Media und auch mit der Klimastrategie stelle man sich als Arbeitgebermarke auf. Bislang konnten die freien Stellen besetzt werden. Entlassungen stehen derzeit keinesfalls auf Poschens Agenda. Dass künftig durch moderne Anlagen etwas weniger als die aktuell 800 Mitarbeiter benötigt werden, werde durch die natürliche Fluktuation, meist in Form von anstehenden Ruheständen, kompensiert. (rha)