Nettersheim/Kall – Lange schien es so, als sei die Bahnlinie zwischen Kall und Nettersheim, die von der Flut so schwer getroffen war, von der Welt vergessen – verbogen die Gleise, aufgerissen die Kabelschächte, der Schotter weggespült, die Brücken beschädigt. Doch seit einigen Wochen regt sich etwas an der Trasse bis nach Trier. Ende 2023 soll bis dahin die Bahn wieder fahren.
Immer wieder rollen die Lastwagen hin und her – teils über die alte Trasse, teils über die Landstraße. „Wir arbeiten an sieben Tagen die Woche – mit bis zu 20 Mitarbeitern“, sagt Bauleiter Sven Sinke von der Firma Strabag, die den Zuschlag für das Abräumen der Trasse bekommen hat. Unentwegt werden die Dumper, wie die geländegängigen Lkw genannt werden, von Baggern beladen. Sie räumen den Schotter ab, der dann auf dem Gelände des alten Kaller Sägewerkes zu großen Bergen aufschüttet wird.
Beratungen bereits seit der Flutnacht
Felix Raffelsiefen und Nils Herweg sind die zuständigen Projektingenieure von der DB Netz. Ihr Bürocontainer steht ebenfalls auf dem Gelände des ehemaligen Sägewerkes. „Unsere Ingenieure haben sich schon in der Flutnacht zusammengesetzt, um über die Wiederherstellung zu beraten, obwohl noch nicht klar war, was alles kaputt ist“, berichtet Bahnsprecher Dirk Pohlmann.
Bis an den Ortsrand von Nettersheim ist seine Behörde für den Wiederaufbau der Strecke verantwortlich, von dort aus in Richtung Trier sind die Kollegen vom Regionalbereich Mitte in Frankfurt zuständig. „Das war Neuland, so etwas hatten wir noch nie“, fährt Pohlmann fort. Alles sei kaputt: die Gleise, die Brücken, die Trasse, die Kommunikationskabel und auch die Stellwerkstechnik. „Alles muss neu gemacht werden, aber wir haben schon viel erreicht“, betont er.
Gleisanlagen werden eins zu eins wieder aufgebaut
„Am Tag eins nach der Flut bin ich von anderen Projekten abgezogen worden und seitdem hier an der Arbeit“, berichtet Raffelsiefen. So schnell wie möglich sei ein Schadensbild erstellt worden, um die Wiederherstellungsarbeiten planen zu können. „Wir haben hier funktionale Ausschreibungen, um das Tempo des Wiederaufbaus zu beschleunigen“, erläutert er. Das bedeutet, dass die Firmen gleichzeitig die Planung und die Ausführung übernehmen.
„Die Gleisanlagen werden eins zu eins wiederaufgebaut“, sagt der Bahn-Experte. Mehr als einmal pro Woche gebe es Abstimmungsgespräche mit der Bundesnetzagentur, der zuständigen Genehmigungsbehörde und der Unteren Wasserbehörde beim Kreis Euskirchen.
Auf sieben Kilometern sei die Strecke zwischen Kall und Nettersheim beschädigt, auf rund 1,6 Kilometern sei nur die Reinigung des Schotters notwendig. Doch darüber hinaus seien 5,4 Kilometer so stark zerstört, dass ein kompletter Neuaufbau nötig sei, informiert Raffelsiefen. Teilweise müsse die Tragfähigkeit des Untergrunds wiederhergestellt werden, da feine Sande eingespült worden seien, ergänzt Herweg.
Brücke bei Sötenicher Zementwerk muss erneuert werden
Raffelsiefen: „Auf den 5,4 Kilometern sind die Gleise verbogen, auch die Schwellen müssen ausgetauscht werden.“ Nahe dem Sötenicher Zementwerk müsse eine etwa 120 Jahre alte Gewölbebrücke erneuert werden, bei der die Flügelwände eingestürzt seien. Andere Brücken, die teilweise erst bei Sanierungsarbeiten 2019 gebaut worden waren, hatten die Flut dagegen besser überstanden. Sie bedürfen nur einer Überarbeitung.
Auch die komplette Kabel- und Stellwerkstechnik wurde durch das Wasser vernichtet. Als Ersatz wird in Kall ein Elektronisches Stellwerk (ESTW) entstehen, das nach neuester Technik funktioniert und auch den bisher manuell betriebenen Bahnübergang in Urft ersetzen wird.
Nicht viel besser sieht es auf dem Bereich vom Ortsrand Nettersheim bis nach Gerolstein-Ehrang aus, der von den Eisenbahningenieuren des Regionalbereichs Mitte verantwortet wird. Auch auf dem Gebiet des Regionalbereichs Mitte gehen die Arbeiten voran. Für das Frühjahr 2023 sei die Wiederaufnahme des Betriebs zwischen Gerolstein und Kyllburg geplant, so die Bahnsprecherin.
Reparatur von mehr als 20 Brücken und Stützbauwerken
„Insgesamt muss die DB zwischen Ehrang und Nettersheim mehr als 20 von der Flut beschädigte Brücken und Stützbauwerke wieder in Schuss bringen. Knapp 25 Bahnübergänge bedürfen einer umfangreichen Instandsetzung.
Zudem muss im Abschnitt Gerolstein bis Nettersheim die Stellwerkstechnik rundum instandgesetzt werden. Das Gleiche gilt für insgesamt rund 50 Kilometer Gleise und zehn Kilometer Bahndamm“, so eine Bahnsprecherin. Eine genaue Bezifferung des durch das Hochwasser verursachten Schadens sei nicht möglich, teilt Pohlmann mit: „Bundesweit sind dafür 1,3 Milliarden Euro veranschlagt.“
Felix Raffelsiefen erläuterte die Vorgehensweise: „Wir bauen in gleicher Lage und nach heutigem Regelwerk wieder auf.“ Ein Problem stelle der mit Lehm und Sand verschmierte Gleisschotter dar. Rund 15.000 bis 20.000 Tonnen werden auf den sieben Kilometern zwischen Kall und Nettersheim zusammenkommen. Sie sollen gereinigt und dann wiederverwendet werden.
Anders sieht es bei den rund 12.000 beschädigten Gleisschwellen aus. Auch wenn ihnen äußerlich nichts anzusehen ist, können sie durch die ungewohnte Beanspruchung Schäden davongetragen haben. Bis zum Jahresende soll der Rückbau der Trasse zwischen Kall und Nettersheim abgeschlossen sein. Dann geht es an den Wiederaufbau. Die alten Gleise seien an den Rand der Trasse gelegt worden. „Sie werden als Baugleise wiederverwendet“, erläuterte Raffelsiefen. Doch für den Personenverkehr können sie nicht verwendet werden. Sie können nicht mit normalen Geschwindigkeiten, sondern nur von den langsamrollenden Bauzügen befahren werden.