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Verrückte Woche in der EifelSo entstehen himmlische Gefühle in der „Hölle von Vettweiß“

Lesezeit 6 Minuten
Die Band Brings steht auf der Bühne in einem großen Festzelt und spielt vor einer großen Menge Frauen bei der Mädchensitzung in Vettweiß.

Auch Politisches ist bei der großen Höllen-Party dabei: Brings rufen im neuen Song zum Widerstand gegen die Feinde der Demokratie auf.

Cat Ballou, Kasalla und die anderen großen Kölner Bands gehen in die Hölle von Vettweiß. Die KG hatte 40.000 Anfragen für knapp 10.000 Mädchensitzungs-Tickets.

Eine Woche lang in der Hölle sein und sich dabei pudelwohl fühlen: Das gibt es nur bei den sechs Karnevalssitzungen der „Hölle von Vettweiß“. 11.640 Jecke aus einem Umkreis von 100 Kilometern reisen auch in dieser Session an, darunter sind 9700 jecke Frauen bei den fünf Mädchensitzungen.

„Da kann eigentlich nichts schief gehen, außer die Tagesform ist nicht optimal.“ Julia Uebel, die gemeinsam mit Literat Marcus Maubach fürs Programm der sechs Sitzungen der KG Vettweiß im Großzelt am Ortseingang verantwortlich ist, wirkt tiefenentspannt. Hier, im Bereich des Aufgalopps der kölschen Bands – Brings kommen, Kasalla, Cat Ballou, Höhner, Räuber, Domstürmer, Paveier und Klüngelköpp – ist sozusagen die Stille im Auge des Orkans.

Cat Ballou und die anderen Bands lieben die magischen Momente

Nebenan feiern gerade 1940 jecke Frauen die Bands auf der Bühne, der Zeltboden vibriert, während sich Kasalla-Sänger Bastian Campmann konzentriert und mit Dehnübungen wie vor dem Start zu einem Laufwettbewerb vorbereitet.

In Vettweiß spürt man eine ganz besondere Energie aus dem Publikum. Und auch dass der Zeltboden schwingt, überträgt sich.
Oliver Niesen, Sänger Cat Ballou

„Was heißt schon Hölle?“, sagt Cat-Ballou-Keyboarder Dominik Schönenborn. Er grinst: Für die Band sei der Auftritt eher eine himmlische Hölle. Das Quintett hält sich aus Gewohnheit nach den stressigen Wochenenden in der Session den Montag auftrittsfrei. Da ist dieser Dienstagnachmittag in Vettweiß der perfekte Start in die neue Woche. Er und Sänger Oliver Niesen können den Auftritt hier gut von anderen unterscheiden: „In Vettweiß spürt man eine ganz besondere Energie aus dem Publikum. Und auch dass der Zeltboden schwingt, überträgt sich“, sagt Niesen.

Das Lob von den Bühnenprofis kommt beim Publikum gut an: Die jecken Frauen sehen, wie sich Sänger Niesen über den Jubel der Fans freut – und prompt verstärken sie die Begeisterung. Ein magischer Moment, in dem sich Publikum und Band gegenseitig feiern. Ähnliche Übertragungen kann man vielleicht noch bei Kasalla beobachten an diesem Tag, bei Brings oder den Höhnern aber eher nicht.

Auch in Vettweiß wird der Karneval dieses Jahr politischer

„Ja: Geil!“ Marita Köllner findet klare Worte nach ihrem Auftritt. Nach eigenen Angaben hat sie als „Fussich Julche“ schon zum 44. Mal auf der Höllen-Bühne gestanden. Klassiker wie „Das rote Pferd“ oder „Wir feiern das Leben“ kommen wie gewohnt bei den Fans gut an.

Marc Metzger in seiner Rolle als Blötschkopp: Er trägt ein schwarzes Hütchen, karierten Frack und weiße Handschuhe und spricht in ein Mikrofon.

Marc Metzger zitiert Charlie Chaplin: „Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag.“

Auch Marc Metzger kann sich nicht beklagen. „Wann, wenn nicht jetzt, wo, wenn nicht hier, ist die beste Zeit, ein Clown zu sein?“ Sein Appell wird samt seiner versteckten Kritik an den allgemeinen Verhältnissen von den Frauen genau verstanden. Gemeint sind der Krieg in der Ukraine, ein eher unberechenbarer Donald Trump als Wiedergänger im US-Präsidentenamt, AfD-Hetze zur Bundestagswahl. Metzgers Botschaft: Das hält man nur als Clown aus, der die Ernsthaftigkeit der Verhältnisse mit seinem Humor unterläuft.

Als prominentesten Vertreter in diesem Sinne benennt Metzger Charlie Chaplin. Von ihm hat er das Bonmot, das er auf der Bühne zitiert: „Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag.“ Wie sich auch später zeigen wird, ist der Karneval dabei, wieder politischer zu werden.

Die Kontrolle der Verpflegung sorgt für Warteschlangen am Eingang

Die Engel aus Düren, wie sich eine Clique nennt, kommen unterdessen aus dem Tanzen nicht mehr raus. Die Frauen haben sich die Kostüme selbst zusammengestellt und genäht, die Federn sind aus flauschigem Verpackungsmaterial. Frauen unter sich – fehlt da beim Feiern nicht die männliche Hälfte des Universums? Svenja lacht: „Die Stimmung unter den Frauen hier... Das ist ja das Schöne: Es gibt keinen Ärger. Männer können auch stören.“ Ihnen bleibt auch im Fall der Engel die Rolle des Fahrdienstes.

Fünf Karnevalistinnen haben sich als Engel verkleidet.

Herrlich jeckes Recycling betreiben die Engel aus Düren: Sie tragen Federn aus Verpackungsmaterial.

Fünf verkleidete Karnevalistinnen tanzen im Festzelt bei der Hölle von Vettweiß.

Singen und Tanzen ist bei den siebenstündigen Sitzungen für die jecken Frauen reichlich angesagt.

Und während die Höhner um Sänger Patrick Lück, der dieses Jahr Höllen-Premiere feiert, gerade auf der Bühne sind, herrscht auf der Empore auf der gegenüberliegenden Stirnseite des 55 mal 30 Meter großen Festzeltes entspannt gute Laune. Zwölf „Französische Maler“ aus Kreuzau mit schwarzem Barrett, Mini-Malpalette und bunt verschmierten Oberteilen haben das mitgebrachte Fingerfood auf dem Tisch der reservierten Bierzeltgarnitur ausgebreitet. „Jede hat was gemacht“, sagt Sandra mit Blick aufs Angebot an Snacks und Süßem, das um kleine Fläschchen Hochprozentigem neben dem am Tresen im Vorzelt gekauften Pittermännchen ergänzt wird.

Diese Ausstattung für die rund siebenstündige Veranstaltung ist an der Grenze dessen, was die KG als Veranstalterin in Abstimmung mit dem Ordnungsamt erlaubt. Die Größe der Tragetaschen, um das Mitgebrachte zu verstauen, wird in diesem Jahr noch genauer am Einlass kontrolliert. Erlaubt sei maximal DIN-A4-Größe, so KG-Vorsitzender Peter Eversheim. Mitgebracht würden aber auch Riesenbeutel von bekannten Discountern. Der Ordnungsdienst muss die Taschen durchsuchen und nicht Erlaubtes sicherstellen.

Die KG hätte 40.000 Tickets für die Höllen-Woche verkaufen können

Das sei auch ein Grund, weshalb es vor Beginn der Veranstaltung zu langen Warteschlangen am Eingang gekommen sei, so Eversheim. Man habe vorsorglich zwei Stunden vor dem Start des Programms den Eingang geöffnet. Doch das hätten viele Besucherinnen entweder nicht gewusst oder ignoriert und seien erst knappe 15 Minuten vor dem ersten Auftritt angereist.

Das ist eher ein Sekundärproblem für vier Matrosinnen aus Nideggen und Berg. Wichtiger sei eher die Frage, wie man sich nach der Sitzung die Karten fürs kommende Jahr sichere. Das gehe nur, wenn man sie praktisch sofort bestelle, so Helena. Peter Eversheim bestätigt das: Man habe an die 4000 Vorbestellungen für den Männerstammtisch und 40.000 für die fünf Mädchensitzungen gehabt. Wer den Zuschlag erhält, wird durch eine Art Los-System nach Abzug eines Kontingents für die Aktiven des Vereins ermittelt.

Unterdessen sind Brings auf der Bühne und singen ihr aktuelles Sessionslied: Su lang die Welt sich dreht. Ein kölsches Lied mit politischem Text. Denn da heißt es etwa „Die janze Stadt is op de Stross, för uns Lääve, uns Freiheit, Demokratie. Su nüdisch wie hück wor dat noch nie“. 1940 jecke Frauen in der Hölle von Vettweiß singen den Refrain mit und bejubeln den Auftritt der Band. Was Peter Brings da gerade gesungen hat, das haben sie bei aller jecken Freude genau verstanden.


Die Hölle macht eine Menge Arbeit

Mitte Dezember starten in Vettweiß die Vorbereitungen. In dieser Phase und natürlich speziell in der Höllen-Woche kann sich Peter Eversheim, Vorsitzender der KG Vettweiß, auf die Aktiven des Karnevalsvereins verlassen: „Die haben sich alle zehn Tage zwischen dem 10. und 20. Januar frei genommen.“

Peter Eversheim, der Vorsitzende der KG Vettweiß, trägt eine rot-weiße Narrenkappe und ein Jackett in den gleichen Farben.

Peter Eversheim ist der Vorsitzende der KG Vettweiß.

Für Extra-Arbeit sorgte dieses Mal der Winter. Am Morgen des 10. Januar, dem Tag der ersten Mädchensitzung, haben alle Mann kräftig Schnee geschippt, am Morgen des 14. Januar mussten flugs alle über Nacht zugefrorenen Versorgungsleitungen aufgetaut werden, so Eversheim. Jeden Morgen vor einer der sechs Sitzungen heißt es zudem für die KGler Aufräumen im großen Zelt und dem 35 mal 14 Meter großen Vorzelt mit Garderoben und Getränketheken. Das Abwischen aller Bierzeltgarnituren, das neue Eindecken und vieles mehr gehören ebenfalls dazu.

Seit dem 14. Dezember wurden die tollen Tage in Vettweiß vorbereitet, ein Zeltboden aus Holzdielen wurde zum Beispiel verlegt. Umgestellt wurde die Bühnenbeleuchtung auf farbigere und leistungsstärkere Spots, was bei Oliver Niesen von Cat Ballou gut ankommt: „Das sorgt für deutlich mehr Atmosphäre.“