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Nach 35 JahrenDer Mann für Jugend und Integration verlässt das Euskirchener Kreishaus

Lesezeit 7 Minuten
Erdmann Bierdel vor einem Bild mit einer Szene aus einem Asterix-Comic. In einer Sprechblase steht: „Seid Ihr auch Sänger?“ Das Bild haben ihm Kollegen geschenkt, nachdem er eine selbst getextete „Jugendamtsleiterballade“ vorgetragen hatte.

Asterix geht mit, wenn Erdmann Bierdel das Kreishaus verlässt, das 35 Jahre lang sein Arbeitsplatz war.

Dreieinhalb Jahrzehnte war Erdmann Bierdel für Jugend und Integration im Kreis Euskirchen tätig. Nun geht der Geschäftsbereichsleiter.

Er wollte nur sein Anerkennungsjahr in der Kreisverwaltung absolvieren. Doch wenn Erdmann Bierdel in diesen Tagen sein Büro zum letzten Mal abschließt, hat er fast 35 Jahre für den Kreis gearbeitet. Er gehe aus persönlichen Gründen, sagt er. Und mit sehr viel Dankbarkeit: „Es war eine tolle Zeit.“

Toll, aber sicherlich nicht immer einfach. Ob Zuwanderung, Bildung, Corona oder Flut – all die Themen, die den Kreis in Atem hielten und halten, landeten auf seinem Schreibtisch. Bierdel geht als Geschäftsbereichsleiter für Jugend, Bildung und Integration, von 2007 bis 2021 leitete er das Jugendamt des Kreises.

Es ist schön zu sehen, wenn Menschen, deren Weg schwierig war, es dann doch geschafft haben.
Erdmann Bierdel, scheidender Geschäftsbereichsleiter für Jugend, Bildung und Integration

Kaum ein Bereich wird so kritisch beäugt wie dieser. Wenn hier etwas schief geht, sind Menschen betroffen – sehr oft die, die am meisten Schutz brauchen, auch den des Staates. Auch der Kreis Euskirchen blieb in der Vergangenheit nicht vor Fällen von Kindesverwahrlosung oder -misshandlung verschont.

Obgleich juristische Gutachten dem Jugendamt danach korrektes Handeln bescheinigt hätten, trage man das noch lange Zeit mit sich herum, sagt Bierdel: „Es gibt immer wieder Fälle, die nimmt man mit nach Hause.“

Wann schreitet man ein? Erkennt man die Zeichen früh genug? „Ich kann jemandem gegenüber sitzen und feststellen, dass überhaupt nichts darauf hindeutet, dass er sein Kind schlägt“, beschreibt der 60-Jährige den Spagat im Jugendamt: „Aber ich kann es auch niemals ausschließen.“

Erdmann Bierdel bereiten die „Shitstorms“ große Sorgen

Garantien gebe es nicht, jedoch die Möglichkeit, durch gute Zusammenarbeit im Team Gefahren besser zu erkennen. Denn die Arbeit sei nicht leichter geworden, nicht zuletzt wegen der oft wenig differenzierenden Kommentare in den Sozialen Netzwerken. „Das macht mir Sorgen“, gesteht Bierdel. Einen Shitstorm stecke man nicht so einfach weg. Er wisse, wovon er spreche.

Bierdel erzählt das, weil er danach gefragt wird. Bedauert werden will er nicht. „Denn die schönen Momente überwiegen bei Weitem“, bilanziert Bierdel sein Berufsleben. Etwa wenn er bei Lehrlingslossprechungen Namen höre, die ihm bekannt vorkämen: „Es ist schön zu sehen, wenn Menschen, deren Weg schwierig war, es dann doch geschafft haben.“

Davon gebe es mehr als allgemein vermutet. „Wir Menschen sind ja so gestrickt, dass wir uns mehr an Dinge erinnern, die nicht gut gelaufen sind.“

Große Herausforderungen: Integration, Flut und Corona

Er denke mit Freude an die Geflüchteten, die integriert wurden, nach 2015 und noch mal verstärkt nach dem russischen Vollangriff auf die Ukraine. Da seien der Kreis mit seinem gut aufgestellten Kommunalen Bildungs- und Integrationszentrum (KoBIZ), die kreisangehörigen Städte und Gemeinden und die betroffenen Wohlfahrtsverbände stark gefordert gewesen, schnellstmöglich die Integrationsstrukturen wie Beratungsangebote, Sprachkurse und Ähnliches auf die neue Herausforderung auszurichten. Dazu gehöre auch die Versorgung und Integration der unbegleiteten ausländischen Minderjährigen durch das Jugendamt.

Von Krise mag er hier nicht sprechen, weil der Begriff suggeriere, dass alles nur vorübergehend sei: „Integration wird aber eine ständige Aufgabe bleiben.“ Darum setzte er sich – auch auf Bundes- und Landesebene – für den Ausbau tragbarer Strukturen und deren Finanzierung ein: „Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dem Mangel an bezahlbaren Wohnungen entgegenzuwirken.“

Auf Landes- und Bundesebene ist Erdmann Bierdel gut vernetzt

„Das war nicht überall so und zeigt den besonderen Einsatz der Mitarbeitenden in schwierigen Zeiten“, sagt Bierdel, für den das 2021 verabschiedete Kinder- und Jugendstärkungsgesetz ein weiterer Meilenstein war. Dadurch werde das Jugendamt inklusiver ausgerichtet. Ziel sei es, alle Leistungen für Kinder und Familien aus einer Hand kommunal zu gewähren, also auch die Leistungen der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe.

Dieses Gesetzesvorhaben habe er aktiv 16 Jahre auf der Bundesebene begleitet und unterstützt: „Ich bin davon überzeugt, dass wir durch bessere kommunale Strukturen dem Ziel, allen Kindern und Jugendlichen einen wertgeschätzten Platz in unserer Mitte zu schaffen, näher kommen.“

Dieses Jahr 2021 war ohnehin ein ereignisreiches Jahr – auch für Bierdel und sein Team. Er war gerade 14 Tage Geschäftsbereichsleiter, als die Flutkatastrophe über dem Kreis hineinbrach. Vier der sechs Kreis-Schulen waren schwer beschädigt.

Letztlich war es im Kreis Euskirchen doch schöner als in Berlin

„Es war und ist eine enorme Herausforderung für die Schulen und die Mitarbeitenden des Kreises im Schulamt und im Immobilienteam, zunächst den Betrieb aufrechtzuerhalten und nun insbesondere die Berufskollegs mit zukunftsweisenden Ausstattungen und neuen Lernkonzepten zu modernisieren“, sagt Bierdel.

Das werden nun seine Kolleginnen und Kollegen weiterverfolgen. Wer Bierdel kennt, geht nicht davon aus, dass er die weitere Entwicklung vom Spielfeldrand betrachten wird. Dafür ist er in den landes- und bundesweiten Gremien zu sehr vernetzt.

Die neue Geschäftsbereichsleiterin arbeitet seit 1990 beim Kreis Euskirchen

Dennoch betont er: „Ich werde mich zurückhalten, denn der Geschäftsbereich ist nun in die kompetenten Hände von Dagmar Geschwind übergeben worden, die ebenfalls seit 1990 beim Kreis Euskirchen arbeitet.“

Das Soziale hat Bierdel direkt nach dem Abitur am Emil-Fischer-Gymnasium gepackt. Danach zog es ihn zurück in seine Geburtsstadt Berlin, wo er zunächst in einem Seniorenheim arbeitete – im direkten Kontakt zu den alten Menschen: „Das hat mich geprägt.“

Nach dem Studium der Sozialen Arbeit („Ich war ein schlechter Schüler, aber ein guter Student“) ging es dann zurück aufs Land. „Mit der Berliner Grundüberheblichkeit hatte ich gedacht, im Kreis Euskirchen ist nicht viel los, genau richtig für den Start, um danach woanders zu arbeiten“, erzählt er, lacht kurz auf und fügt mit dem ihm eigenen trockenen Humor hinzu: „Es ist ja dann doch etwas anders gekommen.“


„Volltreffer“ Erdmann Bierdel lobt Politiker, Vorgesetzte und Kollegen

Irgendwann saß da mal dieser junge Mann für die SPD im Jugendhilfeausschuss, der Erdmann Bierdel wegen seiner fachlichen Beiträge auffiel. Sicher ein Lehrer oder so. Dass dieser Nachwuchspolitiker namens Markus Ramers mal Leiter der Kreisverwaltung und damit auch sein Chef sein würde, ahnte Bierdel damals noch nicht.

Doch Ramers sei nur ein Beispiel für die Kreispolitiker, mit denen er es zu tun hatte. Vor seinem Abschied aus dem Job ist es Bierdel ein Anliegen, eine Lanze für sie zu brechen – entgegen aller Vorurteile, denen Politiker ausgesetzt seien. „Wir haben eine richtig gute Kultur in unserer Politik – besonders im Bereich der Jugendhilfe“, sagt er über seine Zusammenarbeit mit dem Jugendhilfeausschuss (JHA).

Jugendhilfe sei immer das Zusammenwirken von Verwaltung und Politik. Da sei es natürlich hilfreich, dass mit dem Vorsitzenden des JHA, Bernd Kolvenbach, der fast 30 Jahre diesen Posten engagiert bekleide, die Kontinuität in Person agiere. Der gibt das Lob direkt zurück: „Erdmann Bierdel war ein Volltreffer für den Kreis Euskirchen.“

Ramers dankte Bierdel jüngst im Kreistag: „Sein Engagement für die Themen Jugend, Bildung und Integration war vorbildlich und für viele Menschen inspirierend. Er ist ein absoluter Fachmann und seine Expertise war und ist auch überregional gefragt.“

Wie lange Bierdel in der Kreisverwaltung gearbeitet hat, „ohne auch nur einmal an Abwanderung gedacht zu haben“, zeigt sich, wenn er die Namen der Führungskräfte aufzählt, unter denen er gearbeitet hat.

Die Landräte Josef Linden, Günter Rosenke und Markus Ramers sowie die Oberkreisdirektoren Dr. Karl-Heinz Decker, Dr. Ingo Wolf, der Kreisdirektor Dr. Christopher Metz sowie Manfred Poth und Achim Blindert als Allgemeine Vertreter des Landrats seien immer offen für Vorschläge und Veränderungen gewesen.

„Denn die Arbeit läuft heute ja nicht mehr wie 1989“, stellt Bierdel klar: Neue Strukturen, mehr Team- als Einzelarbeit und nicht zuletzt die EDV hätten die Arbeit maßgeblich verändert. Diese Umstellungen, verbunden mit vielen Seminaren auch außerhalb, hätten alle Vorgesetzten positiv begleitet. Er erinnere sich dankbar an seine Vorgesetzten Norbert Stoffers, Rudi Dick und Wilfried Rupperath: „Ich hatte 35 Jahre lang die Möglichkeit, hier Ideen umzusetzen“ so Bierdel: „Es gab Unterstützung von oben, von der Seite und von unten.“

Dank an die Ehrenamtler im Kreis

„Irgendwann hat mal jemand gesagt, wir seien alle jeck auf den Kreis Euskirchen“, erinnert sich der scheidende Geschäftsbereichsleiter. Das liege zu einem sehr großen Teil an den vielen ehrenamtlich Tätigen, ohne die die Herausforderungen der vergangenen Jahre nicht hätten so gut bewältigt werden können. Und da sind natürlich die Kolleginnen und Kollegen in seinem Arbeitsbereich. „Ich bin sehr dankbar, dass ich mit diesen Menschen arbeiten durfte“, sagt Bierdel.

Mit Erdmann Bierdel verlässt auch das Asterix-Bild das Kreishaus. „Seid Ihr auch Sänger?“, steht in einer Sprechblase. Was es damit auf sich hat? Bei einer Jugendamtsleiter-Tagung NRW, die im Scherz auch Jalta-Konferenz abgekürzt wird, hatte er einmal im geselligen Teil die selbst getextete „Jugendamtsleiter-Ballade“ zum Besten gegeben. Die musste Bierdel fortan immer wieder mal singen: Ein Lied speziell für Jugendamtsleitungen ist wohl bundesweit einzigartig.