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JahresanspracheMechernichs Bürgermeister mahnt Bruchstellen in der Gesellschaft an

Lesezeit 5 Minuten
Hans-Peter Schick, der Bürgermeister von Mechernich, steht an einem Rednerpult.

Das Erstarken antidemokratischer Kräfte, das Problem der Unterbringung Geflüchteter, der Fach- und Arbeitskräftemangel, das Wegbrechen der Dorfgemeinschaften: Dies alles sind Probleme, mit denen nicht nur die Stadt Mechernich zu kämpfen hat.

Was tun gegen Antidemokraten und Arbeitskräftemangel? In seiner Jahresansprache widmete sich Dr. Hans-Peter Schick diesen Fragen.

Drei Jahre konnte Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick beim Jahresempfang der Stadt Mechernich nicht in Persona auftreten. Aufgrund der Corona-Pandemie hatte er sich in dieser Zeit per Videobotschaft an die Mechernicher gewendet. Deswegen wunderte es zum einen nicht, dass seine analoge Neujahrsansprache in der Aula des Schulzentrums in Mechernich gut besucht war, und zum anderen nicht, dass der Bürgermeister seine Rede mit dem Virus begann: „Wenn man mich fragt, welches Thema Mechernich am meisten beschäftigt hat, würde ich sagen, das ist das Coronavirus.“

Doch ist das längst nicht die einzige Krise gewesen, die in der jüngsten Zeit über die Stadt hereingebrochen ist: 2021 kam die Flut. „Und jetzt befindet sich Europa quasi wieder im Kriegszustand. Damit hätte nach Ende des Kalten Krieges auch keiner mehr gerechnet.“

Es sei zwar das Zusammenspiel verschiedener Krisen gewesen, aber besonders die Corona-Pandemie habe dazu geführt, dass „Bruchstellen in der Gesellschaft“ sichtbar geworden seien, sagte der Bürgermeister. Das gesellschaftliche Leben habe unter der Pandemie gelitten. Besonders deutlich werde das im ehrenamtlichen Engagement der Bürger und im Vereinsleben: „Die Ehrenamtler haben es schwer, ins alte Fahrwasser zurückzukommen.“

Das Vereinsleben und das Ehrenamt haben unter den vielen Krisen gelitten

Das Vereinsleben in den 44 Orten sei aktuell geprägt von Terminausfällen sowie der vollständigen Aufgabe von Treffpunkten aufgrund eines Generationenwechsels. Das kulturelle Dorfleben könne zuweilen nur fortgeführt werden durch Zuschüsse und durch Wiederaufbauhilfen für Flutbetroffene. Gute Nachrichten gebe es an dieser Stelle aber auch: Durch die Zuschüsse seien die Dorfgemeinschaftshäuser in Firmenich, Obergartzem, Glehn und Bergheim fast fertig. Es folgten die in Breitenbenden und Weiler am Berge.

Das Wiedereinrichten der dörflichen Treffpunkte sei trotzdem ein Kraftakt, erklärte Schick. Zum einen ein finanzieller, da die Vereinsheime trotz der Zuschüsse von der Kommune kofinanziert werden müssen, zum anderen auch ein körperlicher. Sowohl beim Bau, als auch beim Betrieb müssen nun alle mit anpacken: „Wenn diese Gemeinschaftsplätze erst einmal weggebrochen sind, werden sich alle beklagen, aber dann ist es vielleicht schon zu spät.“

Dass solche Orte der Gemeinschaft und des Austauschs nicht aussterben, sei gerade jetzt wichtig – in einer Zeit, in der Antidemokraten immer mehr Zulauf bekämen, in der die Menschen skeptischer seien gegenüber Wissenschaft und staatlichen Institutionen und empfänglicher für Verschwörungstheorien.

Angesichts dieser Probleme sagte Schick: „Ich begrüße es, dass viele Menschen in Mechernich aufstehen und für unsere demokratische Grundordnung demonstrieren.“ Für ihn seien diese Demonstrationen, die Einrichtung einer Erinnerungsstätte vor dem Mechernicher Rathaus sowie eine Tafel, die an eine jüdische Familie erinnert und erst vor wenigen Tagen angebracht wurde, wichtig: „Sie sind ein Zeichen dafür, dass unsere Demokratie heute auf einem breiteren Fundament steht, als das in Zeiten der Weimarer Republik der Fall war.“

Mechernich: Konzentration von Flüchtlingen im Kernort

Dennoch dürfe man nicht die Probleme aus den Augen verlieren, die den Antidemokraten Wasser auf ihre Mühlen gießen: „Ein Hauptgrund für den Zuwachs antidemokratischer Ströme in unserem Land ist die Zuwanderung von Geflüchteten.“ Auch Mechernich sei – wie viele Kommunen – an einer Belastungsgrenze angekommen. 30.000 Einwohner habe die Stadt. Davon seien 653 Flüchtlinge, 195 davon aus der Ukraine. Heute suchten in Mechernich weit mehr Geflüchtete Schutz als im Jahr 2015: „Einige sind in Privatunterkünften untergebracht, ansonsten wären wir mit unseren Kapazitäten längst am Ende.“

Die meisten haben ihre Unterkunft im Kernort, sagte Schick. Weil dort etwa die Bundeswehr Liegenschaften zur Verfügung gestellt habe, weil dort das Casino stehe, für das die Stadt keine Miete zahlen müsse, sondern lediglich die Nebenkosten. Die Handlungsspielräume seien gering, trotzdem weiß der Bürgermeister, dass solch eine Konzentration im Kernort Ängste hervorrufe: „Doch ich sehe im Moment keine Alternative.“

Auf der Bühne stehen sechs Personen. Im Hintergrund hängt ein Schild. Darauf steht: „Stadt Mechernich: Alles Gute im Neuen Jahr“

Mechernicher Perspektiven auf die Krisen lieferten in einer Talkrunde Dirk Hagenbach (v.l.) Danielle Bieger, Moderator Ronald Larmann, Martin Milde, Norbert Arnold, Klaus Vater und Luka Lenz.

Eine Lösung sieht Schick darin, die Geflüchteten schneller in Arbeit zu bringen: „Ich frage mich, ob die Auflagen, die wir uns selbst auf allen Ebenen auferlegt haben, überhaupt nötig sind.“ Das vorrangige Ziel sollte nicht sein, geflüchtete Menschen in einer dauerhaften Schwebe zu halten, sondern sie schnell und unbürokratisch in Arbeit zu bringen. Auch für die Integration sei das von Vorteil. Historisch hätten Gastarbeiter aus Portugal und Süditalien gezeigt, dass das möglich sei, dass die Gesellschaft davon nur profitiere. Und zwar nicht nur im Hinblick auf die Integration, sondern auch im Hinblick auf den Arbeitsmarkt.

Mechatronics hat sich in China Mitarbeiter rekrutiert

Die Deutsche Mechatronics zeige, wie sich Arbeitgeber seit einiger Zeit bei ausländischen Arbeitnehmern umschauen müssen: 100 qualifizierte Männer und Frauen aus China hat die Firma angeworben, da man – trotz enger Zusammenarbeit mit dem Jobcenter – keine qualifizierten Einheimischen gefunden habe. Schick richtet den Blick auch nach Indien, das bevölkerungsreichste Land der Erde. Dort seien viele junge Leute gut ausgebildet, arbeiteten als Ingenieure oder Informatiker. „Wir müssen unsere Zulassungsverfahren vereinfachen, um diese Leute für uns zu gewinnen, und sie nicht in andere Länder abwandern lassen, die da flotter sind als wir.“

Doch potenzielle Fachkräfte gebe es nicht nur in Indien, sondern auch in Mechernich selbst. Nur müssten die hierzulande oft aktiviert werden: „Es ist erschreckend, dass 17 bis 20 Prozent der heute 20- bis 30-Jährigen keinen Schulabschluss haben“, sagte Schick. Dabei gebe es in Mechernich gut ausgerüstete Schulen, die sich in puncto Digitalisierung nicht verstecken müssten, und ein breit aufgestelltes Bildungsangebot.

„Aber was macht man, wenn diese Chancen nicht genutzt werden?“, fragte der Bürgermeister. Sein Vorschlag: Die Einrichtung eines gebundenen Ganztagsangebots. „Um Uneinsichtige mit sanftem Druck zu zwingen.“ Schließlich sei Bildung in Deutschland glücklicherweise für jeden erhältlich – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.