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Streetworker Franco Clemens„Wir betreiben seit Jahren nur noch Schadensbegrenzung“

Lesezeit 3 Minuten

Franco Clemens, Streetworker aus Köln, sprach im SPD-Politik-Forum über Möglichkeiten der aufsuchenden Sozialarbeit.

Euskirchen – Franco Clemens ist Streetworker. Als Erzieher und Anti-Aggressionstrainer, sei die „Straßenarbeit“ seine große Profession, sagt er. Seit mehr als 20 Jahren in der niedrigschwelligen Brennpunktarbeit tätig, gehe er dahin, wo es wehtut. Die Stadtviertel, in denen junge Menschen mit wenig positiven Zukunftsaussichten, hoher Arbeitslosigkeit und großer Frustration zusammenkommen, sind seine Wirkungsstätte.

Bei seinem Vortrag in der Alten Posthalterei in Euskirchen sprach Clemens vor Mitgliedern des SPD-Kreisverbandes und einigen Besuchern über seine Arbeit. Die Tendenz einer steigenden Gewaltbereitschaft parallel zur abnehmenden Angst vor Strafe beobachte man in der Sozialarbeit entgegen dem Tenor der Statistiken seit zehn Jahren, berichtete Clemens.

Zugewanderte Flüchtlinge spielten in die Ursache dessen zwar mit hinein, allerdings nur als ein kleiner Prozentsatz an tatsächlich gewaltbereiten Geflüchteten. Ein ungefilterter Zugang der Jugendlichen zum Internet, eine gewaltverherrlichende Rap- und Hip-Hop-Szene sowie die eigene Angst, die zu einer „Spirale der Bewaffnung“ führte, seien die Hauptfaktoren.

Auch paramilitärische Strategien, die aus dem Spielen von Ego-Shootern erlernt würden, stellten ein Problem dar. „Die haben auf ihren Smartphones und PCs schon alles gesehen. Dass Videos und Computerspiele, in denen Hinrichtungen oder sexualisierte Gewalt gezeigt werden, zu einer Desensibilisierung führen, liegt auf der Hand“, sagte der Streetworker deutlich.

Falsche Antworten auf Fragen

Die verzerrten Leitbilder der Musikkultur böten ergänzend die falschen Antworten auf Fragen der Jugendlichen, auf die die Gesellschaft nicht reagiere, mahnte Clemens: „Die Zeiten sind vorbei, in denen es nur Probleme in den Brennpunkten gab. Heute strahlt die Problematik in sogenannten Hotspots auch in gutbürgerliche Wohnräume aus.“ Beispiele für solche Brennpunkte seien das „Maghreb-Viertel“ in Düsseldorf oder der Ebertplatz in Köln, der in den vergangenen Jahren mit Drogenkriminalität und Gewaltdelikten in den Schlagzeilen gerückt war, so Clemens, der unweit vom Ebertplatz wohnt und auch vor Ort aktiv ist: „Reine Repression reicht da nicht, denn die Hotspots sind flexibel. Wenn ich nur mit Repression vorgehe, arbeite ich nicht am Milieu und den multiplen Problemlagen, sondern mache im Prinzip nur eine Vertreibungspolitik.“

Streetworking als Feuerwehr – heute hier, morgen da – funktioniere sowieso nicht. Nur auf der Basis von Vertrauen und Kontinuität könne er sich langsam zu den Menschen vorarbeiten.

Dabei sei es nicht allein damit getan, die Jugendlichen „abzuholen und sie dorthin zu entführen, wo es Zukunftsperspektiven für sie gibt“, so der Sozialarbeiter weiter: „Man muss das gesamte soziale Umfeld mitnehmen.“

Neben regelmäßigen Kontakten, etwa zu Familie und Schule, gehöre genauso dazu wie eine funktionierende Ordnungspartnerschaft von Polizeibehörde, Ordnungsamt und Sozialarbeitern als gesamtgesellschaftlicher Ansatz bei der Lösung kommunaler Kriminalitätserscheinungen.

Michael Stabel, SPD-Ratsmitglied und Vorsitzender des Ausschusses für Generationen und Soziales, wusste zu berichten, dass man ein solches Projekt der kriminalpräventiven Zusammenarbeit in der Kreisstadt bereits seit zehn Jahren praktiziere. Mitarbeiter des Streetworking-Programms „Moses“ (Mobile Sozialarbeit Euskirchen Stadt) gehen hier beispielsweise an den einschlägigen Treffpunkten, wie etwa im „Viehplätzchenviertel“, gezielt auf Personen zu und bieten Hilfestellungen an. Im Zuge der Haushaltsdebatte sei die geplante Erweiterung des Projekts jedoch leider aufgrund einer Finanzierungslücke von 25 000 Euro gescheitert, so Stabel.

„Wir betreiben insgesamt seit Jahren eigentlich nur noch Schadensbegrenzung. Wir haben Probleme in der Gesetzgebung bei Hartz IV und den Einwanderungsgesetzen. Dazu haben wir eine immer größere Armut und damit einhergehend eine immer größere Armutskriminalität“, ergänzte Franco Clemens und fügte hinzu: „Die gesamten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssen sich ändern – das geht nicht ohne ein Nachsteuern auf Bundes- und Landesebene.“