NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist eine zentrale Figur bei der Aufarbeitung der Flutkatastrophe.
Der Politiker will bei der Schuldfrage abwarten, welche Schlüsse der Untersuchungsausschuss aus seinen Ermittlungen zieht.
Im Interview spricht er über Konsequenzen aus der Flutkatastrophen und wie er sich künftig besser darauf vorbereiten will.
Köln/Düsseldorf – Herr Reul, in den Flutgebieten sind viele Schäden noch nicht behoben. Welche Weihnachtsbotschaft haben Sie an die Betroffenen?
Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass sie trotz der Umstände ein besinnliches Weihnachtsfest feiern können. Als Landesregierung tun wir alles, damit der Wiederaufbau so schnell wie möglich vorangeht. Und wir arbeiten mit Hochdruck daran, die richtigen Lehren aus den Ereignissen zu ziehen. Behalten Sie Ihren Mut und seien Sie stolz auf das, was Sie nach dieser größten Naturkatastrophe in der Geschichte unseres Landes schon geschafft haben.
Nach der Katastrophe werden die Fehler jetzt durch einen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet. Gibt es Fehler, die Sie sich persönlich ankreiden?
Wenn man sich die Zahl der Opfer und die Schäden anschaut, kann nicht alles richtig gelaufen sein. Welche Fehler gemacht wurden und ob sie persönliche oder strukturelle Ursachen hatten, lässt sich aber erst nach gründlicher Prüfung sagen. Diese Aufarbeitung passiert gerade. Auch wenn jetzt mancher im Nachhinein meint, schon genau zu wissen, wer schuld war und wie alles hätte optimal laufen können.
Sie waren im Urlaub, als die Katastrophe losbrach. Ist es deswegen zu Verzögerungen bei der Einrichtung des Krisenstabs gekommen?
Nein, denn erstens treffe ich diese Entscheidung nicht. Und zweitens habe ich meinen Urlaub nach drei Tagen sofort abgebrochen, als das Ausmaß der Katastrophe deutlich wurde. Ich habe mich ans Steuer meines Autos gesetzt und war noch während der Rückfahrt telefonisch in die Sitzungen des kleinen Krisenstabes zugeschaltet. Der arbeitete da bereits auf Hochtouren.
Warum haben Sie nicht den „Großen Krisenstab“ mit allen Ministern einberufen?
Den Krisenstab der Landesregierung kann nur der Ministerpräsident einberufen. Und dort sitzen auch nicht die Minister zusammen, sondern die Staatssekretäre. In der Regel werden sie vertreten von Abteilungsleitern aus ihren Häusern. Dies war auch in dem kleinen Krisenstab der Fall. Neben diesen Fachleuten waren weitere Experten etwa der Bundeswehr, der Bundespolizei, der Telekom, oder der Deutschen Bahn einbezogen. Als die Dimension der Katastrophe klar wurde, waren wir bereits in diesem Stadium. Abteilungsleiter und weitere Spezialisten aus verschiedenen Ministerien waren schon mitten in der Krisenbewältigung. Im Nachhinein betrachtet, hätte die Einberufung des Krisenstabs zwar in der Sache nichts geändert, wäre aber ein deutliches Signal an die Bevölkerung gewesen.
Haben Sie die Entscheidung alleine getroffen?
Als ich entschied, meinen Urlaub abzubrechen, habe ich auch darüber nachgedacht: Wie sinnvoll ist es jetzt, die Aktivierung des großen Krisenstabs zu empfehlen? Natürlich wurde diese Frage auch in meinem Haus diskutiert. Der Ministerpräsident und ich standen dazu in Kontakt und wir kamen überein, dass wir es nicht machen. Denn der kleine Krisenstab arbeitete da bereits und er funktionierte. In diese Strukturen einzugreifen und sozusagen wieder auf Null zu schalten, hielt ich für keine kluge Idee.
Hätte der „Große Krisenstab“ nicht zum Beispiel Evakuierungen anordnen können, um Menschenleben zu retten?
Der Krisenstab der Landesregierung ist kein Einsatzstab, der etwa Evakuierungen leitet. Wer evakuiert, muss wissen, in welchem Gebiet genau das passieren soll und wo die Menschen untergebracht werden. Es muss dann auch jemand die erfolgte Evakuierung kontrollieren. Das geschieht vor Ort, auf Ebene der Kreise und Kommunen. Übrigens: Dass dort die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz liegt, hat Anfang 2016 eine rot-grüne Landesregierung per Gesetzes-Novellierung beschlossen. Diejenigen, die das damals auch gegen Widerstände durchgesetzt haben, beklagen jetzt mangelnde zentrale Zuständigkeiten. Das verstehe ich nicht ganz.
Was muss denn bei der nächsten Flut schneller gehen?
Warnungen müssen schneller überall ankommen, aber auch verstanden werden. Deshalb bin ich froh, dass der Gesetzgeber vor wenigen Wochen grünes Licht für das sogenannte Cell-Broadcasting gegeben hat. Damit bekommt künftig jeder zu seinem Standort eine passende konkrete Warn-SMS – zusätzlich zu anderen Warnungen. Noch wichtiger ist, dass die Menschen verstehen: Katastrophen können nicht nur irgendwo in der Welt stattfinden, sondern auch jeden Tag hier bei uns. Deshalb muss man vorbereitet sein.
Ist der Katastrophenschutz zeitgemäß aufgestellt?
Der Katastrophenschutz ist früher stiefmütterlich behandelt worden. Ich werde sowohl die Struktur als auch die personelle Ausstattung der zuständigen Abteilung im Innenministerium verändern. Zusätzlich erarbeitet ein Kompetenzteam aktuell Verbesserungsvorschläge. In jedem Fall wird der Katastrophenschutz eine größere Bedeutung erfahren.
Im Landesetat wird der Katastrophenschutz als Teil der Feuerwehr behandelt…
So war das bisher, unter früheren Landesregierungen. Ich habe jetzt zusätzlich einen eigenen Haushaltstitel dafür eingerichtet. Damit sollen die Bedeutung und die Eigenständigkeit der Arbeit im Katastrophenschutz noch deutlicher werden.
Wie können die Feuerwehren besser vernetzt werden?
Wir müssen die Informationen aus den Leitstellen der Kreise, der kreisfreien Städte und aus den Krisenstäben der Bezirksregierungen für die landesweite Lagedarstellung besser verknüpfen können. Ähnliches gilt für die Leitstellen der Feuerwehr, des Rettungsdienstes und des Katastrophenschutzes vor Ort. Wir arbeiten schon lange daran, die unterschiedlichen lokalen Systeme mit einer einheitlichen landesweiten Lösung zu verbinden. Das sind vor allem technische Fragen. Operativ hat Nordrhein-Westfalen bereits ein reaktionsschnelles Hilfesystem für alle Schadensfälle. Wir sind hier bundesweit Vorreiter, dieses System hat sich in vielen Fällen immer wieder bewährt. Grundlage hierfür sind leistungsfähige Feuerwehren in jeder Gemeinde. Durch überörtliche Hilfe unterstützen sich die Kommunen gegenseitig, wenn sie selbst vor Ort an ihre Grenzen stoßen. Reichen die Ressourcen immer noch nicht aus, folgt die landesweite Hilfe.
Katastrophenschützer empfehlen den Menschen, immer eine gewisse Notration an Lebensmitteln zu bevorraten, um sich im Notfall ein paar Tage über Wasser halten zu können. Ist das nicht übertrieben?
Als der damalige Bundesinnenminister, Thomas de Maizière, 2016 sein Notfallkonzept vorstellte, hielt eine Mehrheit der Bevölkerung das für Panikmache. Es ging um Vorsorge, das Anlegen von Vorräten für ein Katastrophenszenario. Ich glaube - nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie und der Hochwasserkatastrophe - heute hält das kaum noch jemand für übertrieben. Als Innenminister kann ich jedenfalls nur dazu raten, einen überschaubaren Notvorrat anzulegen.
Was raten Sie: Welche Dinge sollten die Menschen auf jeden Fall im Haus haben?
Wir haben jetzt alle gelernt, dass es ganz gut ist, für gewisse Fälle vorzusorgen - Naturkatastrophen, Stromausfälle oder andere Ereignisse. Eine Hausapotheke, Kerzen, eine Taschenlampe, ein batteriebetriebenes Radio, eine geladene Powerbank für das Handy, Mineralwasser und natürlich ein Lebensmittelvorrat für mehrere Tage sind sicher nicht verkehrt.
Wie verbringen Sie die Feiertage?
Im Kreise der Familie und hoffentlich ohne unvorhergesehene Vorfälle und Unterbrechungen.