Das Rheinische Revier rückt zusammen. Gearbeitet wird an nicht weniger als an der vielleicht ersten klimaneutralen Industrieregion Europas.
Kommentar zum Rheinischen RevierEin zartes Pflänzchen, das sich Aufbruchstimmung nennt
Von Euphorie wollen wir nicht reden, aber im Rheinischen Revier keimt ein zartes Pflänzchen, das sich Aufbruchstimmung nennt. Das ist 16 Monate nach der Vereinbarung von Land, Bund und RWE, den Braunkohleausstieg um acht Jahre auf 2030 vorzuziehen und mindestens 280 Millionen Tonnen Kohle im Boden zu lassen, eine bemerkenswerte Entwicklung. Auch angesichts der durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelösten Krise bei der Energieversorgung.
Die Region rückt zusammen, der Einfluss und die Bereitschaft der vom Strukturwandel betroffenen Kommunen wächst, gemeinsam an der Entwicklung des Reviers zu einer, wenn nicht gar der ersten, klimaneutralen Industrieregion in Europa zu arbeiten.
Zukunftsagentur hat nun das wichtigste im Blick: Die Arbeitsplätze
Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass überforderte Bürgermeister und Landräte voller Argwohn und Unverständnis auf die Zukunftsagentur Rheinisches Revier blickten, die als Verwalter von 14,8 Milliarden Euro an Strukturhilfen nach einem undurchschaubaren Sternesystem aus Sicht der Gemeindevertreter bevorzugt Hochschulen und Forschungseinrichtungen bedienten, weil die seit jeher gewohnt sind, sich durchs Förderdickicht zu kämpfen.
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Das hat sich geändert. Die Zukunftsagentur hat Fehler eingeräumt, einen Kurswechsel vollzogen und nimmt endlich in den Blick, was bis 2030 das Wichtigste ist: Unternehmen bei der Transformation unter die Arme zu greifen, damit möglichst wenig Arbeitsplätze verlorengehen – und neue zu schaffen.
Da darf die Ansiedlung von Microsoft mit der geplanten Investition von 3,2 Milliarden Euro in drei große Rechenzentren in Bergheim, Bedburg und im Rhein-Kreis Neuss durchaus als Meilenstein auf dem Weg aus der Abhängigkeit von Kohleindustrie bezeichnet werden. Ein Meilenstein auch deshalb, weil die Kommunen, der Rhein-Erft-Kreis und das Land wochenlang gemeinsam daran gearbeitet haben, diesen Fisch an Land zu ziehen.
2030 soll in Dormagen der Hahn aufgedreht werden
In dieses neue Wir-Gefühl passt auch der Rahmenplan für die sechs Anrainer-Gemeinden des Tagebau Hambach, dessen Zukunft nun ein konkretes Datum hat. 2030 - wenn in Dormagen am Rhein der Hahn aufgedreht wird und 45 Kilometer weiter die ersten Kubikmeter Rheinwasser in die Grube stürzen sollen.
Dieser Rahmenplan ist aus zwei Gründen außergewöhnlich. Weil er in nur zwei Jahren unter Beteiligung aller Anrainer entstanden ist, es so gut wie keine Konflikte zwischen den bergbaulichen Interessen des Energiekonzerns RWE und den raumstrategischen Belangen der Gemeinden gab. Man traf sich auf Augenhöhe. Das ist bemerkenswert, weil der Rahmenplan nur empfehlenden Charakter hat und deshalb auch als Wünsch-dir-das-Papier hätte enden können.
Das Ziel ist klar: Beide Seiten wollen den Kohleausstieg 2030 nicht gefährden
Die Gefahr besteht noch immer – aber endlose Streitigkeiten mit dem Energiekonzern über die Frage, an welchem Punkt seine bergrechtlichen Verpflichtungen zur Wiedernutzbarmachung und Rekultivierung eines Tagebaus von der Größe der Stadt Düren enden, sind eher unwahrscheinlich. Weil beide Seiten das gleiche Interesse haben: den vorgezogenen Kohleausstieg 2030 nicht zu gefährden.
Der Einzige, der das Ziel jetzt noch gefährden könnte, ist Wirtschaftsminister Robert Habeck. Ausgerechnet Habeck, der im Mai vergangenen Jahres davor warnte, dass die Energieversorgungssicherheit über allem stehen und das Sicherheitsnetz wasserstofffähiger Gaskraftwerke bis 2030 geknüpft sein müsse. Diese Botschaft hat er vermittelt, als es auf dem Flughafengelände in Mönchengladbach bei der Unterzeichnung des Reviervertrags 2.0 zwischen den Bergbau-Kommunen, RWE, den Landkreisen und der Landregierung zum Schwur kam, ab sofort werde man mit einer Stimme für den Strukturwandel streiten.
Dieses Ziel, das kann man jetzt schon sicher sagen, wird die Ampelkoalition verfehlen. Weil das Sicherheitsnetz von der Bundesregierung viel zu spät und mit viel zu großen Löchern geknüpft wurde. Und so könnte es am Ende sein, dass der Tagebau Hambach sich erst ab 2033 mit Rheinwasser volllaufen lassen kann. Weil weder Habeck noch Deutschland im Dunkeln sitzen wollen.