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Klimaklage am OLG HammMuss RWE zahlen, weil ein See in Peru womöglich überläuft?

Lesezeit 5 Minuten
Der peruanische Bergbauer und Bergführer Saul Luciano Lliuya steht vor einem Berg-Bild.

Der peruanische Bergbauer Saul Luciano Lliuya wirft RWE vor, durch die produzierten CO2-Emissionen zum Teil mitverantwortlich für den Klimawandel zu sein.

Ein peruanischer Bergbauer wirft dem Kohlekonzern RWE vor, seine Existenz zu bedrohen. Wieso genau RWE? Eine Spurensuche.

Am Oberlandesgericht Hamm wird gerade Geschichte geschrieben. Und diese Geschichte ist eine wie David gegen Goliath: Ein Bauer aus Peru hat den Kohlekonzern RWE verklagt. Er fordert, dass sich die Essener am Bau eines neuen Staudamms beteiligen. Es geht um 20.000 Euro – rund 0,5 Prozent der Summe, die das Bauprojekt kosten würde und anteilig genau so viel, wie RWE zu den weltweiten CO₂-Emissionen beiträgt.  Doch bei dem Prozess geht es nicht ums Geld, es geht um den Symbolcharakter.

Peru: Lliuya fürchtet, dass sein Haus überschwemmt werden könnte

Saúl Luciano Lliuya lebt in den Hochanden, und oberhalb seiner Stadt Huaraz liegt der Gletschersee Palcacocha. In den vergangenen Jahrzehnten ist der Gletscher aufgrund der Erderwärmung immer weiter geschmolzen, der Wasserstand im See steigt. Durch den Klimawandel nimmt auch das Risiko zu, dass sich große Eisblöcke von den Gletschern lösen und in den See stürzen. In Nachbargemeinden sei es bereits zu Lawinen und Überschwemmungen gekommen, berichten Klimaschutzorganisationen. Und auch Lliuya fürchtet, dass sein Haus bedroht sein könnte.

Wir in Peru haben kaum etwas zum Klimawandel beigetragen, leben aber mit den schlimmsten Konsequenzen
Saúl Luciano Lliuyat

Der Damm, der die 55.000 Einwohner von Huaraz schützen soll, droht zu brechen und die Stadt zu überfluten. In den vergangenen Jahren haben sie deshalb provisorische Schläuche in den See gelegt, um überschüssiges Wasser abzupumpen und den Wasserpegel zu senken. Bauer Lliuya fand es nicht richtig, dass er und seine Nachbarn die Folgen der Klimakrise alleine ausbaden sollten, für die sie wenig bis nichts können.

Er tat sich mit einer Nichtregierungsorganisation zusammen und machte einen Schuldigen aus: den Essener Kohlekonzern RWE. „Der Gletschersee oberhalb meiner Heimatstadt wächst unaufhaltsam, und diejenigen, die das Schmelzen der Gletscher mit ihren Emissionen beschleunigen, tun so als hätten sie mit unserer Notlage nichts zu tun. Man muss kein Rechtsgelehrter sein, um zu erkennen, dass das Unrecht ist“, sagt Lliuya. „RWE muss Verantwortung für seine Emissionen übernehmen. Wir in Peru haben kaum etwas zum Klimawandel beigetragen, leben aber mit den schlimmsten Konsequenzen.“

Zwei Verhandlungstage vor dem OLG Hamm

Lliuya stand in dieser Woche gleich zweimal vor dem Oberlandesgericht in Hamm. Das mediale Interesse war enorm, die Hälfte der 80 Zuschauerplätze war für die Presse reserviert. Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich Klimaaktivisten, auch Luisa Neubauer war vor Ort und berichtete in den sozialen Medien über den Fall. Lliuya stand mit seiner Anwältin Roda Verheyen den Pressevertretern bereits vor der Verhandlung Rede und Antwort. Bekommt der peruanische Bauer Recht, könnte jeder Anspruch darauf haben, dass ein Konzern die Schäden ersetzt, die er verursacht – auch, wenn die Folgen am anderen Ende der Welt auftreten.

RWE weist die Vorwürfe zurück und teilt mit: „Mithilfe dieses Verfahrens versucht der Kläger mit Unterstützung der NGO Germanwatch einen Präzedenzfall zu schaffen, wonach jeder einzelne Emittent von Treibhausgasen in Deutschland für Auswirkungen des Klimawandels weltweit rechtlich verantwortlich gemacht werden könnte, selbst wenn er sich immer an die geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften gehalten hat.“ Wenn es einen solchen Anspruch nach deutschem Recht geben solle, könne man auch jeden Autofahrer in Haftung nehmen. „Wir halten das für rechtlich unzulässig und auch gesellschaftspolitisch für den falschen Weg.“

Der peruanische Bergbauer und Bergführer Saul Luciano Lliuya (2.v.r.) und seine Anwältin Roda Verheyen (r) kommen zur mündlichen Verhandlung seiner Klimaklage gegen das Energieunternehmen RWE in das Oberlandesgericht und sprechen zu Journalisten

Der Medienandrang war riesig: Der peruanische Bergbauer Saul Luciano Lliuya und seine Anwältin Roda Verheyen standen der Presse vor der Verhandlung in Hamm Rede und Antwort.

Lliuya wird von der Organisation Germanwatch unterstützt, vor allem mit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. „Germanwatch ist nicht Beteiligter des Verfahrens und finanziert abgesehen von der Erstattung von Reisekosten des Klägers nach Deutschland auch keine Gerichts- oder Anwaltskosten“, schreibt die Organisation auf ihrer Website. „Die Entscheidung für den mühevollen Weg einer Musterklage hat allein Saúl Luciano Lliuya mit der Anwältin getroffen. Und auch alle weiteren Entscheidungen im Verfahren liegen allein bei ihm und seiner Anwältin.“

Die Anwalts- und Gerichtskosten trägt die Stiftung Zukunftsfähigkeit. In ihrem Transparenzbericht gibt die Organisation an, allein im Jahr 2023 rund 223.000 Euro an Spenden für den Klagefall Huaraz eingesammelt hat.

RWE ist größter CO₂-Emittent in Europa

Warum hat es genau RWE getroffen? Germanwatch erzählt die Geschichte so: 2014 sprachen Saúl Luciano Lliuya und sein Vater mit einem örtlichen landwirtschaftlichen Berater über die Auswirkungen des Klimawandels in ihrer Region. Sie fragten ihn, warum nicht die Hauptverursacher des Klimawandels für dessen Folgen zur Verantwortung gezogen werden. Es sei ungerecht, dass die dort lebenden Menschen die Risiken alleine tragen müssen, obwohl sie kaum oder gar nicht zum Klimawandel beitragen. Den Schutz müssten eigentlich die Verursacher – wo auch immer sie seien – gewährleisten.

Der Landwirtschaftsberater stellte daraufhin den Kontakt zu Germanwatch her. Er kannte die Organisation und wusste, dass sie bei der UN-Klimakonferenz in Lima sein würden. Es wurde ein Treffen organisiert und die Möglichkeit einer Muster-Klage gegen große Mitverursacher des Klimawandels diskutiert. Germanwatch stellte den Kontakt zu der deutschen Rechtsanwältin Roda Verheyen her. Nach ihrer anwaltlichen Beratung entschied sich Saúl im Jahr 2015 für eine Klage gegen den größten Emittenten Europas, RWE.

Geowissenschaftler und Statiker stellen ihre Gutachten vor

Das Oberlandesgericht in Hamm hat in dieser Woche Beweise gesichtet. Dabei ging es um die Frage, welche Gefahren für das Haus des Klägers in Südamerika durch eine Flutwelle oder Schlammlawine ausgehen. Und: Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass diese Ereignisse eintreten. Das ist deshalb so wichtig, weil Lliuya seine Klage auf einen Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch stützt, der normalerweise bei Nachbarschaftsstreitigkeiten angewendet wird – nämlich wenn der eine dem Eigentum des anderen Schaden zufügt. Deshalb ist es nun Aufgabe des Gerichts zu beurteilen, ob das Haus des Peruaners in den kommenden 30 Jahren zu Schaden kommen könnte.

Der Aufwand, den das OLG Hamm für die Klärung betreibt, ist groß: 2022 reiste eine Delegation nach Peru, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Die Beteiligten hätten sich dabei „Grenzwertiges“ zugemutet, sagte Richter Meyer. Der Palcacocha-See liegt auf 4560 Metern Höhe, allein dies sei „körperlich sehr belastend“. Doch nur mit einem Gutachten könne das Gericht die Gefahren einer möglichen Flutwelle einschätzen. Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass eine von dem Gletschersee ausgehende Flutwelle unwahrscheinlich sei – die Wahrscheinlichkeit liege bei einem Prozent. Das Gericht hat noch keine Entscheidung getroffen.