Düsseldorf – Fünf Tage Berliner Republik – mit Gesprächen im Reichstag, im Bundesfinanzministerium und in der Vertretung der Europäischen Kommission. Fünf Tage Praxis statt Trockenübung im Hörsaal. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen hatte keine Probleme, genug Anmeldungen für den Kurs „Die Europapolitik der Berliner Republik“ zu bekommen. Gut 40 Studenten, eingeschrieben im Masterstudiengang Europastudien, reisten im Juli 2014 in die Hauptstadt – um ausreichend interessante Gesprächspartner hatte sich der Seminarleiter gekümmert: Armin Laschet, im wissenschaftlichen Ehrenamt Lehrbeauftragter der Uni. Als Parteivize von CDU-Chefin Angela Merkel und Oppositionsführer in NRW verfügt der Aachener über eine lange Kontaktliste, mit der sich Berliner Blockseminare schnell füllen lassen.
Dass sie der beliebte Berlinkurs noch ein knappes Jahr später beschäftigen würde, ahnte da noch keiner der Studenten: Auch die Klausur, die am Dienstag nach der Rückkehr geschrieben wurde, enthielt nichts Ungewöhnliches. Es ging um eine „wissenschaftlichen Einordnung der Erkenntnisse aus den Gesprächen“, so formuliert es Armin Laschet. Eine studentische Hilfskraft sammelte die Antworten der Kommilitonen ein – die Klausur haben seitdem weder ein Mitarbeiter der Uni noch die Studenten je wieder zu Gesicht bekommen. Sie ist verschollen – auf dem Postweg zurück an die Hochschule seien die korrigierten Arbeiten verloren gegangen, so schreibt es Laschet Monate später den Studenten.
Laschet soll Noten „gewürfelt“ haben
Am 22. Juli 2014 aber, dem Tag der Klausurabgabe, beginnt eine Hängepartie, die nicht nur die Masterstudenten, sondern auch die Geschäftsführerin des Studiengangs verärgert hat. Es geht darum, wie sorgfältig Armin Laschet sein Uni-Amt ausführt und ob er versucht hat, die Hochschule bei der Vergabe von Klausurnoten hinters Licht zu führen. Auch der Vorwurf, Laschet habe Noten „gewürfelt“ steht im Raum. Der Vorgang ist zudem eine Peinlichkeit für die Aachener Hochschule selbst, die seit 2007 das Prädikat Exzellenz-Universität tragen darf.
Was in den vergangenen Monaten geschah, lässt sich aus internen E-Mails der Uni und einem Brief von Laschet an die Studenten relativ präzise rekonstruieren. Die Schreiben liegen dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor.
Zurück in den Herbst 2014: Laschet, der selbst kein Politikwissenschaftler, sondern Jurist mit erstem Staatsexamen ist, lässt mit den Klausurnoten auf sich warten. Zwei Monate, drei Monate – manche Studenten hätten sich schlicht gewundert, heißt es, bei anderen drängte die Zeit: Die Berlinfahrt war ja keine Vergnügungsexkursion – der Kurs zählt wie jedes andere Seminar, die Noten, die der Politiker verteilt, fließen in den Masterabschluss ein. Ohne die Ergebnisse des Laschet-Seminars erhält man kein Abschlusszeugnis. Umso größer ist die Erleichterung unter den Studenten, als es Ende Januar 2015 endlich Neuigkeiten gibt.
Da liegt der Kurs schon ein halbes Jahr zurück. Sie habe eine gute und eine schlechte Nachricht, schreibt die inzwischen abgelöste Geschäftsführern des Studiengangs, Johanna Holst, in einer E-Mail an die Teilnehmer. Laschets Klausurnoten seien endlich da. Allerdings: „Die korrigierten Klausuren sind zurück auf dem Postweg an die RWTH verloren gegangen“. Deshalb könne man keine Einsicht mehr nehmen. Die Klausur war sehr gut ausgefallen – durchweg im Einser- und Zweier-Bereich. Holst geht offenbar davon aus, die Original-Ergebnisse der schriftlichen Arbeit vor sich liegen zu haben, die Laschet wohl gesichert haben musste, bevor die Klausuren abhanden kamen. Was sie da noch nicht weiß, der Lehrbeauftragte Armin Laschet war bei der Notengebung eher unorthodox verfahren.
Klausur nie mitgeschrieben
Am 31. März, neun Monate nach der Klausurabgabe, ist Holst offenbar schlauer. Die Studienkoordinatorin schreibt eine weitere E-Mail an die Studenten: „Das Szenario habe sich nochmals sehr verändert“. Hintergrund: Als die Uni die längst erwarteten Klausurnoten an ihre Studenten verschickt hatte, erhielt sie einige verwunderte Rückmeldungen. Der Lehrbeauftragte Laschet hatte offenbar auch Kursteilnehmern eine Klausurnote gegeben, die die Arbeit nie mitgeschrieben hatten. Hat Laschet also versucht, die Probleme mit der Klausur zu vertuschen, indem er zwar einräumte, die Arbeiten seien in der Post verloren gegangen, aber dennoch eine angeblich fehlerfreie Notenliste vorlegte, die er nicht hatte? Diesen Eindruck kann man gewinnen.
Holst hängt ihrer E-Mail an den Kurs einen Brief von Laschet an, den er Tage zuvor, am 27. März, als die Notendifferenzen an der Philosophischen Fakultät schon aufgefallen waren, verfasst hat: Er habe aus seinen Notizen, die er sich während des Seminars und der Klausurkorrektur gemacht habe, und aus Mitschriften seiner Co-Korrektorin „eine Rekonstruktion versucht“. Das sei zwar kein optimales Verfahren, er habe den Studenten aber eine erneute Klausur ersparen wollen. Die Noten beruhten also nicht auf den Original-Bewertungen, Laschet hatte die Studenten anhand von nicht weiter definierten „Notizen“ bewertet.
Für die zuständige Geschäftsführerin ist das eine Neuigkeit: Dass der CDU-Mann sehr freihändig benotete, hat Holst, so stellt sie es dar, nicht gewusst: Sie mailt entsetzt an das Semester: „Wenn von Anfang an klar gewesen wäre, dass die Notenliste, die ich zugeschickt bekommen habe, eine Rekonstruktion ist, wäre alles auf eine sofortige Annullierung der Prüfung hinausgelaufen.“
Probleme bei Koordination des Studienganges
Laschet spricht heute davon, dieses Vorgehen mit der Uni abgestimmt zu haben – warum aber klingt dann die Hochschul-Mitarbeiterin so überrascht? Auch die Dekanin der Philosophischen Fakultät, Christine Roll, bestätigt am Montag in einer Stellungnahme: Laschet habe „noch vor der Rücksprache mit dem Prüfungsausschuss aufgrund seiner Notizen eine nachträgliche Bewertung“ vorgenommen. Roll räumt zugleich Fehler auf Seiten der Uni ein, es habe Probleme bei der Koordination des Studiengangs gegeben, etwa fehlende Teilnehmerlisten, für die ein Lehrbeauftragter wie Laschet nicht verantwortlich sei. Man habe „eine neue Geschäftsführung aufgebaut“, so die Professorin. Unter den Aachener Studenten kursieren da schon ganz andere Interpretationen: Nicht die Post habe die korrigierten Klausuren verloren, wie vom CDU-Mann behauptet, sondern Laschet selbst, heißt es, womöglich schon vor der Korrektur. Die Noten seien „wahrscheinlich gewürfelt“. Man fühle sich hintergangen, sagt jemand, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Belegen lassen sich diese Vorwürfe nicht.
Armin Laschet, der bei der Landtagswahl 2017 als Gegenkandidat von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) antreten dürfte, ist auch als Düsseldorfer Partei- und Fraktionschef viel unterwegs, allein in den vergangenen vier Wochen war er in den USA und in Israel. Er sitzt im Aachener Karlspreis-Direktorium genauso wie im CDU-Bundespräsidium und der Zukunftskommission der Partei. Es stellt sich die Frage, ob der Landespolitiker bei seinen vielen Aufgaben das wissenschaftliche Ehrenamt zu leicht genommen hat.
Auf eine Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ antwortet er Ende vergangener Woche schriftlich während der Israelreise und räumt Fehler ein: Obwohl der Postversand üblichen Gepflogenheiten entsprochen habe, „wäre bei der Dokumentation und Überstellung der Studienleistungen an die Universität eine größere Sorgfalt möglich und angemessen gewesen“. Er verstehe die Verärgerung einzelner Studenten.
Einblicke in die Politiker-Lebenswelt
Laschet war seit 1999 Lehrbeauftragter für den Europastudiengang, damals war der heutige Multifunktionär der Union gerade Europaabgeordneter für den Aachener Wahlkreis geworden, seitdem organisierte er vor allem Blockseminaren in Brüssel, Düsseldorf oder eben Berlin. Seine Kurse sind nicht der Raum für politische Großtheorien – es geht um Einblicke in die Politiker-Lebenswelt. Für Laschet dürfte bei seinem Engagement auch die Anerkennung in seiner Heimatstadt eine Rolle spielen. Noch mehr als in Millionenstädten wie Köln ist die RWTH im kleineren Aachen eine wichtige gesellschaftliche Größe.
Der Uni geht es im Frühjahr 2015 vor allem um Schadensbegrenzung: Es kommt zu einem Gespräch zwischen Laschet, dem Vorsitzendenden des Prüfungsausschusses der Philosophischen Fakultät und Verantwortlichen des Studiengangs: Nachdem nun auch die Koordinatorin von den rekonstruierten Noten weiß, dürfen sich die Studenten nochmals entscheiden, ob sie die Ergebnisse anerkennen oder annullieren lassen und eine neue Klausur schreiben. Nachschreibe-Termin ist der heutige Dienstag. Fast elf Monate nach dem Berlinbesuch.
Geschäftsführerin Johanna Holst ist Ende März offenbar noch immer nachhaltig verärgert: „Sie können sich vorstellen, dass mir der ganze Vorgang genauso wenig Freude bereitet wie Ihnen“, schreibt sie den Studenten. Man ziehe nun aber Lehren aus dem „Schlamassel“: Laschet soll nur noch Klausur-Kopien erhalten oder aber im Unibüro korrigieren. „Bis auf Weiteres“, heißt es in der E-Mail vom 31. März, würden Laschet-Seminare „nur noch als Zusatzkurse ohne Prüfungsleistung angeboten“.
Dazu wird es nun nicht mehr kommen: Vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ Ende vergangener Woche auf den Fall angesprochen, erklärte Laschet das Ende seines Engagements als Lehrbeauftragter: „Diesen Schritt halte ich angesichts dieses misslichen Vorgangs mit Blick auf die berechtigte Sensibilität der Öffentlichkeit am Schnittpunkt zwischen Wissenschaft und Politik für erforderlich, bedaure ihn persönlich jedoch sehr.“
Er wolle damit „die Gefahr einer parteipolitischen Auseinandersetzung“ abwenden, die dem Studiengang „Schaden zufügen würde“, schreibt Laschet.