Leichlingen – Als um 1.37 Uhr in der Nacht zu Sonntag in Leichlingen die Sirenen heulten und Stadtalarm auslösten, war nicht nur für die Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr die Nacht zu Ende. Ein heftiger Gewitterregen hatte sich über der Stadt entladen, Fluten von schlammig trübem Wasser durch die Straßen rauschen und binnen einer Stunde rund 300 Keller volllaufen lassen.
Besonders traf es dieses Mal den alten Stadtkern und die beiden Altenheime im Weltersbachtal. Der Sachschaden im Stadtgebiet – Menschen wurden soweit bekannt nicht verletzt – dürfte insgesamt einen hohen Millionenbetrag erreichen.
Sigmund Pelz hat schon viel erlebt und einiges an Unwetterschäden mitbekommen. Aber so etwas hat der Technische Leiter des Pilgerheim Weltersbach in 43 Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr noch nicht gesehen. „Diese Wassermassen, die von den Hängen zusammenströmten, in Sekundenschnelle anstiegen und im nächsten Moment einen Meter hoch durch das Dorf schossen – das hatte eine beängstigende Gewalt.“ Pilz wurde Augenzeuge wie der fünfte Starkregen innerhalb von zwei Wochen eine Schneise der Verwüstung in die Senioreneinrichtung schlug.
Autos wurde weggespült wie Spielzeuge, eine Zufahrtsstraße unterspült und weggerissen. In einem Wohnhaus konnten die unten wohnenden Senioren so gerade noch in Sicherheit gebracht werden. Die Wassermassen haben Fensterscheiben gesprengt und Trennwände weggerissen.
Am Sonntagmorgen liegt in der Gemeinschaftshalle eine dicke Schicht von klebrigem Schlamm. Rund zwei Meter hoch, die Spuren an den Wänden zeigen es, hat hierin das Wasser gestanden. Nebenan im Kirchenraum stehen der Steinway-Flügel und eine Orgel im Schlamm. Viele Helfer haben mit den Aufräumarbeiten begonnen.
Teil der Straße weggerissen
Ein paar Meter weiter ist die Feuerwehr noch dabei, Sandsäcke zu stapeln. Hier ist von einem Hang, der oben an Maisfelder grenzt, eine Flut zu Tal gestürzt, hat einen Teil der Straße weggerissen und sich den Weg quer durch ein Haus gebahnt. Eine Grube, die jetzt mit schwerem Gerät eilig ausgehoben wird, soll vorerst als provisorisches Regenrückhaltebecken dienen und eine Wiederholung zu verhindern helfen.
Das Haus Emmaus wurde an einer Ecke unterspült. Da der Statiker letzte Zweifel nicht ausräumen kann, lässt der Leiter des Pilgerheims, Joachim Noss, das Haus räumen und die dort einquartierten Flüchtlinge nach Absprache mit dem Sozialamt in eine andere Unterkunft verlegen.
Noss muss den Notstand organisieren. Rotes Kreuz und Technisches Hilfswerk helfen, die 286 Bewohner des Pilgerheims zu versorgen, zumal die Küche erst einmal ausgefallen ist. Sanitärmeister Wolfgang Gräf ist mit acht Leuten seines Handwerksbetriebes angerückt, um die ausgefallenen Anlagen wieder in Gang zu setzen.
Dabei steht bei ihm Zuhause selbst der Keller unter Wasser. Im ganzen Dorf wuseln Helfer, um den Schlamm fortzuschaffen.
Stadtzentrum unter Wasser
So geht es derweil auch im Stadtzentrum zu. Kirchstraße, Garten-, Brunnen-, Brücken- und Marktstraße sowie Nebenstraßen haben die Schlammfluten abbekommen, die die Hänge herunter und aus den Kanälen hochkamen. Binnen einer halben Stunde stand ein Teil des Stadtzentrums hüfthoch im Wasser, Keller und Tiefgaragen liefen voll, Wohnungen und Geschäfte wurden geflutet.
Am Morgen dann ist die halbe Stadt auf den Beinen, den Schlamm und Geröll zu beseitigen. „Fleißig wie die Ameisen“, lobt Tiefbauamtsleiter Jürgen Scholze und bittet zugleich: „Jetzt nur nicht den Dreck vom eigenen Grundstück auf Wege und Straßen schieben.“ Er weiß, dass es Tage, womöglich Wochen dauern wird, bis der zähe Morast beseitigt sein wird. „Wenn das alles beim nächsten Regen in die Kanäle geschwemmt wird, haben wir gleich wieder Land unter.“
Alle Menschen und Maschinen des Bauhofes sind an diesem Sonntag im Einsatz, um wenigstens die Durchgangsstraßen schnell freizulegen. Ein Radlager schiebt in der Marktstraße den Morast zur Seite. Am Stadtausgang ist die Kreisstraße 1 in Richtung Solingen vor Unterberg erneut gesperrt. Der Regen hat einen Hangrutsch ausgelöst.
Supermarkt und Schule geflutet
An der Kreuzung Germaniabad ist die Neukirchener Straße gesperrt. Der Lidl-Markt ist ebenso überschwemmt worden wie auf der anderen Seite der Straße die komplette Ortschaft Büscherhöfen. Der Wersbach ist kurz vor der Mündung in die Wupper über die Ufer getreten in die Keller eingedrungen.
Am Hasensprung musste der Neubau für das betreute Wohnen im Seniorenzentrum geräumt werden, weil der benachbarte Teich überfloss: 13 Wohnungen wurden evakuiert. Die Durchfahrt zur Klinik Roderbirken war vorübergehend nicht möglich.
Schlimm hat es auch die Paul-Klee-Förderschule getroffen. Am Sonntag stehen die Räume des aufwendig ausgestatteten barrierefreien Baus einen Meter hoch unter Wasser. Das Ausmaß des Schadens wird erst am Montag zu erfassen sein.
Und immer weiter gehen den Sonntag über die Meldungen über Wasserschäden bei der Feuerwehr ein. Den Leichlingern sind Feuerwehrkollegen aus dem gesamten Kreisgebiet, aus Köln und Leverkusen-Lützenkirchen zur Hilfe geeilt, zusammen 160 Leute. Überall in der Stadt Martinshörner und Blaulichter. Dazu das Technische Hilfswerk mit schweren Fahrzeugen, der Bauhof und das Rote Kreuz.
Unser Keller steht mindestens einmal im Jahr unter Wasser“
Reichlich genervt sind derweil die Anwohner und Geschäftsleute. Ina Vogel ist seit dem frühen Morgen dabei, den Dreck in und vor ihrem Geschäft Shoe & Art in der Marktstraße zu beseitigen. Laden und Keller samt Lager und Büro sind vollgelaufen.
Im trüben Wasser schwimmen Schuhe und Handtaschen. Sie schätzt ihren Schaden auf 100 000 Euro und schimpft im Internet auf die Stadt, die die Kanalschächte nicht ordentlich gereinigt habe.
So könne das Wasser nicht abfließen. Ähnlich erging es der Inhaberin des Blumenpavillons am Stadtpark, Maggy Richter-Frost. Ihr gesamter Keller ist mit Wasser vollgelaufen. Damit gerechnet habe sie nicht, denn das sei das letzte Mal vor etwa 20 Jahren geschehen und die Kanäle seien erst neu gemacht worden.
Florian Appenrodt war dagegen schon auf Wasser im Keller des Geschäfts im Brückerfeld vorbereitet. Er und einige Helfer fuhren erst gegen 10 Uhr hin. „Unser Keller steht mindestens einmal im Jahr unter Wasser. Deshalb lagern wir alles im Geschäftsraum oder hoch“, erzählt er. Die Feuerwehr hat er nicht gerufen. „Die hatten sicher genug anderes zu tun“, meinte er. Hatten sie tatsächlich.