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Kiffen erlaubtLeverkusener Lungenarzt kritisiert Cannabis-Legalisierung als „absurd“

Lesezeit 6 Minuten
Cannabis dpa

Häufig wird Cannabis zusammen mit Tabak geraucht. Die neue Koalition plant die Legalisierung, Erwachsene sollen es zu „Genusszwecken“ kaufen dürfen, heißt es im Koalitionsvertrag.

Leverkusen – Cannabis soll legalisiert werden, Ziel soll die „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken“ sein, wie es im Koalitionsvertrag der Ampel steht. Das wäre für Deutschland ein großer Schritt. Doch in welche Richtung? Wir haben uns mit dem Team der Suchthilfe in Leverkusen und mit einem Lungenfacharzt unterhalten und auch die Direktorin des Amtsgerichts in Opladen um eine Einschätzung gebeten.

Das sagt der Lungenfacharzt

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Norbert Mülleisen, langjährig praktizierender Lungenfacharzt aus Rheindorf, hält die geplante Legalisierung für „Unsinn“.

Norbert Mülleneisen hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg: „Absurd“ sei die Vereinbarung der neuen Ampelkoalition, Cannabis zu legalisieren. Der Lungenfacharzt praktiziert seit 25 Jahren in seiner Praxis in Rheindorf, mittlerweile unter dem Namen „Asthma- und Allergiezentrum“. Seine große Sorge: Durch die Legalisierung und die damit einhergehende gesellschaftliche Akzeptanz werde es für Jugendliche attraktiver, das auszuprobieren, Jugendliche würden an den Konsum herangeführt oder dazu „verführt“. Und da Cannabis meist zusammen mit Tabak geraucht werde, würde das gesundheitliche Risiko der Folgeschäden wieder steigen.

„Ich rede mir den Mund fusselig, um die Leute vom Rauchen abzuhalten, und dann wird Cannabis legalisiert“, sagt Mülleneisen frustriert. Das, was man in der Vergangenheit geschafft habe, dass Jugendliche weniger rauchen, dass Rauchen als uncool gilt, werde jetzt durch die gesellschaftliche Akzeptanz von Cannabis zunichte gemacht. „Das konterkariert alle Bemühungen vieler Jahrzehnte. Das ist Unsinn.“ In der Tat schreibt die Deutsche Krebsgesellschaft, dass heute nur noch zehn Prozent der 12- bis 17-Jährigen rauchen würden – Ende der 1990er Jahre waren es knapp 30 Prozent.

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Er habe nichts gegen den Genuss von Cannabis, betont der Mediziner. Schließlich kann man Cannabis auch als Tee oder beispielsweise als Cookie konsumieren, doch zum Großteil werde Cannabis eben mit Tabak aufgenommen. Die Wirkung sei hier unmittelbarer, das „rasche Anfluten ist das, was die Leute haben wollen“, was ihnen den Kick gebe. Das sei das, was die Sucht erzeuge und verstärke. Werde mehr Cannabis konsumiert, „wird es wieder mehr Raucher geben, vor allem Jugendliche“, befürchtet der 66-Jährige. „Die Tabakindustrie reibt sich die Hände.“

Was passiert, wenn Menschen zu viel Tabak rauchen, sieht der Lungenfacharzt tagtäglich in seiner Praxis. Bronchialkarzinom, also Lungenkrebs, ist nur eine mögliche Folge. Es gibt zig andere: Von Blasenkrebs, über Osteoporose, Zahnausfall, Schlaganfall, Herzinfarkt, Arterienverkalkung, Katarakten und Grauem Star ist die Liste der möglichen Schäden lang. Knapp 127.000 Menschen sterben laut Bundesgesundheitsministerium an den Folgen des Rauchens. „Die Lunge ist ein vornehmes Organ“, beschreibt Norbert Mülleneisen. „Sie vergisst nicht eine einzige Zigarette.“ Und dann kann es nach Jahren passieren, dass sie sich nicht regenerieren kann. Das würden viele Menschen unterschätzen. Sein Fazit zur politischen Entscheidung: „Die gesundheitlichen Folgen scheinen nicht bedacht.“

Das sagt die Direktorin des Amtsgerichts Opladen

Die Befürworter der Legalisierung führen unter anderem als Argument an, dass Gerichte mehr Kapazitäten für andere Fälle hätten, sollten die ganzen Prozesse um Cannabis wegfallen. Ruth Reimann, Direktorin am Amtsgericht in Opladen, schätzt die Lage allerdings anders ein: In Leverkusen gebe es nur wenige Fälle mit Kleinstmengen, die selber konsumiert würden. Also das, was möglicherweise legalisiert werden würde – noch ist das Gesetz nicht ausgearbeitet. „Diese Fälle spielen hier in der Praxis eine untergeordnete Rolle“, erklärt Reimann, hinzu komme, dass sie meist „unkompliziert in der Abwicklung“ seien.

Insgesamt neun Mal im Dezember musste sich das Amtsgericht in Opladen wahlweise mit dem Besitz von Betäubungsmitteln, dem Handel oder Schmuggel oder einem sonstigen Verstoß gegen den Paragraphen 29 des Betäubungsmittelgesetzes, das auch den Anbau regelt, beschäftigen. Beim Großteil der Fälle spiele Cannabis zwar eine Rolle, „aber meistens nicht allein“, sagt Reimann. Weiterhin führt sie an, dass ja auch andere Straftaten häufig eine Rolle spielen, diese Straftatbestände blieben ja bestehen, auch wenn das mit Cannabis wegfallen sollte.

Das sagt das Team der Suchthilfe

Suchthilfe LEV

Das Team der Suchthilfe Leverkusen (v.l.): Jennifer Schmitz, Peter Helgers und Michael Schätzle. Die Suchthilfe sieht die geplante „Entkriminalisierung“ durchaus positiv. „Bei einer Neufassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen ist aber besonders die Einhaltung des Jugendschutzes zu gewährleisten.“

Knapp 20 Personen kümmern sich regelmäßig um Cannabiskonsumenten, viele Gespräche, die sie führen, werden als Auflage vom Gericht angeordnet, wenn die Personen von der Polizei erwischt werden. Wer sind diese Leute? „Ein Großteil der Konsumenten ist bis Mitte 30 und recht gut integriert, sozial wie beruflich“, berichtet Jennifer Schmitz. Die aktuellen Folgen? „Da Cannabiskonsum eine Straftat ist, zieht das fatale Folgen nach sich. Personen werden möglicherweise inhaftiert und es entwickelt sich eine Abwärtsspirale.“

Dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei, sei sowieso nur ein Mythos, erklärt Leiter Peter Helgers: Wer Cannabis konsumiert, nehme nicht automatisch Heroin. Man komme allerdings durch illegale Beschaffung mit der Szene in Berührung, denn der Dealer dealt vielleicht auch mit anderen Drogen. Wenn durch die Legalisierung der Schwarzmarkt getrennt werden soll, sieht Helgers das als positiv für die Konsumenten. Er sieht in der Ankündigung der Legalisierung auch die Chance auf „mehr Verbraucherschutz“. Sollte das Rauschmittel in offiziellen Geschäften abgegeben werden, hat man andere Möglichkeiten der Qualitätskontrolle und auch der Transparenz, Stichwort: Wie viele Wirkstoff THC ist überhaupt drin, ist die Hoffnung des Teams. Sie kennen zum Beispiel einen Fall, wo Cannabis mit Opiaten gestreckt wurde.

Sozialarbeiter Michael Schätzle bringt noch einen ganz anderen Aspekt mit rein: Nämlich die Prävention. Er redet viel mit Jugendlichen und den Eltern. Sollte Cannabis legalisiert werden, sei es viel einfacher eine „offene Debatte“ zu führen. Und die Auseinandersetzung mit dem Thema und die Positionierung zu Cannabis finde nun mal im Jugendlichenalter statt, egal ob es legal oder illegal ist. Die Risiken sind allerdings auch klar. „Jeder Konsum bringt Gefahren mit sich. Es geht nicht darum, die Botschaft zu senden: Kiffen ist nicht schlimm“, betont Schätzle. Daher sind sie bei der Suchthilfe auch ganz klar der Meinung, dass „Werbeverbote und eine wirksame Sanktionierung bei der Abgabe an Minderjährige unerlässlich“ seien, wie es in dem bereits 2016 entwickelten Positionspapier der Einrichtung heißt.

Im Großen und Ganzen sieht die Suchtberatung aber die Vorteile der Legalisierung: Unter anderem auch, da der Status Quo die Gefahr berge, „dass Risiken des Konsums legaler Suchtstoffe wie Tabak oder Alkohol als weniger relevant wahrgenommen werden“. Sie hätten sich eine Sensibilisierung wie es sie bei Cannabis gibt, auch bei Alkohol gewünscht.

Ideen für die Zukunft hat das Team schon: Neue Angebote, vielleicht auch in den lizensierten Geschäften präsent sein und auf die Beratungsangebote „niedrigschwellig“ aufmerksam machen, um diejenigen, die nicht mit dem Konsum klarkommen, früher zu erreichen – nicht erst, wenn das Gericht sie schickt.

Koalitionsvertrag im Detail

Das ist die Passage im Wortlaut: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen. Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der Schadensminderung ermöglichen und bauen wir aus. Bei der Alkohol- und Nikotinprävention setzen wir auf verstärkte Aufklärung mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen. Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis. Wir messen Regelungen immer wieder an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und richten daran Maßnahmen zum Gesundheitsschutz aus.“