Leverkusen – Die Polizei ermittelt gegen aktuell bis zu 3000 Patientinnen und Patienten, die sich in einer Praxis in Leverkusen-Opladen gefälschte Impfatteste hatten ausstellen lassen. Zwischendurch war der Arzt sogar in Untersuchungshaft. Aber auch die Personen, die sich an den Opladener Arzt gewandt hatten, dessen Praxis am 3. Februar von der Polizei gestürmt und geschlossen worden war, stellen sich nun viele Fragen, was auf sie zukommt und wie sie sich verhalten sollten. Sie gelten nun selbst als Beschuldigte.
„Ich wollte mich nicht zwangsweise impfen lassen. Ich habe Hilfe gesucht und sie bei einem Arzt in Opladen gefunden. Der hat mir attestiert, dass ich mich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen kann. Muss ich dafür ins Gefängnis?" Vor solchen und ähnlichen Fragen stehen die Patienten der Opladener Praxis.
Grund für die Befürchtung sind Briefe der Polizei. In denen werden die Patienten auf die Wache in der Heymannstraße bestellt, um sich zur Sache zu äußern. Aber eben nicht als Zeugen, sondern als Beschuldigte. Sechs von ihnen haben sich in der Kanzlei von Guido Lenné und Kollegen gemeldet. „Und das binnen zwei Tagen“, sagte der Anwalt Mitte August auf Anfrage.
Es wird eine Welle geben
Er kann sich sicher sein, dass es nicht bei sechs Hilferufen bleiben wird: Wie der „Leverkusener Anzeiger“ bereits Ende Juli berichtete, ermittelt die Polizei gegen weit mehr als 1000 Patienten. Nach Auswertung der Computer in der Praxis sind sogar um die 3000 Personen in den Fokus geraten. Gegen viele von ihnen bestehe jedenfalls „ein Anfangsverdacht“ auf eine strafbare Handlung, so benennt es der Kölner Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer. Denn wer sich ein – so sehen es die Ermittler – falsches Attest beschafft, macht sich genauso strafbar wie der, der es ausstellt. Bis zu zwei Jahre Gefängnis könnte das im schlimmsten Fall bedeuten. Zur Anwendung käme Paragraf 278 des Strafgesetzbuches, „ein Nischen-Paragraf“, sagt Anwalt Lenné.
Nach Durchsicht der Briefe von der Polizei sieht Lenné, dass die Patienten von den Ermittlern „als Anstifter“ betrachtet werden, gemäß Paragraf 26 des Strafgesetzbuches: Denn sie hätten ja den Arzt von sich aus aufgesucht und um einen Schrieb gebeten, dass sie aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können. Der Patient als Anstifter, der Arzt nur als Erfüllungsgehilfe? So sieht das die Staatsanwaltschaft, sagte Ulrich Bremer auf Anfrage.
Das alles in einer extrem angespannten Situation: Es war Ende Januar, die Zeit also, in der eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus in aller Munde war und ihre Einführung nur noch eine Frage von Tagen oder Wochen zu sein schien.
Es war kein Attest, sondern ein gefälschter Impfausweis: Monatelang benutzte Markus Anfang ein solches Dokument, um seinen Job als Trainer von Werder Bremen ausüben zu können. Mitte November vorigen Jahres nahm die Staatsanwaltschaft Bremen Ermittlungen auf, am 20. November trat Anfang zurück. Am 24. Februar wurde bekannt, dass Anfang vom Amtsgericht Bremen wegen der Benutzung eines gefälschten Impfdokuments zu einer Geldstrafe von 36.000 Euro verurteilt wurde: 90 Tagessätze zu je 400 Euro.
Auch Anfangs damaliger Co-Trainer Florian Junge musste eine Strafe bezahlen, wegen desselben Vergehens. Im Januar verhängte der DFB gegen Anfang rückwirkend eine Sperre ab dem 20. November, die ab dem 10. Juni dieses Jahres zur Bewährung ausgesetzt ist. Unmittelbar danach unterschrieb der Kölner einen Vertrag bei Dynamo Dresden. (tk)
Es ist dann ganz anders gekommen, aber das ändert nichts an den Ermittlungen gegen den Arzt und seine vielen Patienten, von denen manche durch halb Deutschland nach Opladen gereist waren, um gegen Zahlung von 20 Euro von der Impfung befreit zu werden.
Nutzlose „Schwurbel-Atteste“
Dass die Opladener Arztbescheinigungen wertlos sind, davon ist Leverkusens Amtsarzt seit langem überzeugt: „Schwurbel-Atteste“ nennt Dr. Martin Oehler sie. Auch das ändert nichts an der strafrechtlichen Relevanz. Nicht nur für den Arzt, sondern auch für seine Patienten. Deshalb rät Anwalt Lenné den von der Polizei Vorgeladenen zur Vorsicht: „Entweder nicht hingehen. Oder wenn, nur die Personalien angeben und sich nicht zur Sache äußern.“ Das Recht also wahrnehmen, das jeder hat, dem eine Straftat vorgeworfen wird. Danach kann der Anwalt die Akten der Staatsanwaltschaft einsehen, um zu ermessen, welche Pfeile die Gegenseite im Köcher hat.
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Diesen „kleinen taktischen Vorteil“ solle man sich auf jeden Fall verschaffen, so Lenné. Dass tatsächlich einer der Patienten für zwei Jahre ins Gefängnis muss – das wäre die Höchststrafe –, kann sich Lenné nicht vorstellen. Aber: „So einen Fall, den hatten wir noch nicht.“