Leverkusen – Unbestraft sollte der 71-Jährige das Gericht nicht verlassen. Gut 8000 Euro muss er bezahlen, weil er sich vor knapp zwei Jahren in Opladen auf der Augustastraße entblößt, auf die damit konfrontierte Frau auch noch eingeprügelt und den Polizisten Widerstand geleistet hatte.
An einem anderen Abend ein halbes Jahr zuvor hatte sich der Mann auf der Kölner Straße so sehr mit seinen Rettern angelegt, dass ebenfalls die Polizei kommen musste. Auch die hatte große Mühe, den zunächst von Passanten als „hilflose Person“ Gemeldeten zu bändigen: Der Mann habe nicht nur um sich geschlagen, sondern auch Flüche und schlimme Beleidigungen ausgestoßen. Daran konnten sich die Beamten vor Gericht noch ganz gut erinnern. Aber weniger, weil das so selten vorkommt, sondern weil der Mann ansonsten harmlos wirkte.
Tatsächlich konnte Erwin H. (Name geändert) im Prozess glaubhaft darlegen, dass er sich in zwei Ausnahmesituationen befand und sonst ganz anders ist. Der Mann leidet – dies wurde von einer Gutachterin bestätigt – unter einer bipolaren Störung. Einer psychischen Krankheit also, die extreme Stimmungsschwankungen hervor ruft. Das Problem des Familienvaters und dreifachen Opas: Die Diagnose wurde erst gestellt, nachdem er diese beiden Male ausgerastet war. Zuvor seien die Ärzte von einer Depression ausgegangen und hätten ihn mit den dazu passenden Medikamenten versorgt.
Weil er in seinen schlechteren Phasen trotzdem gerne ein paar Bier trank, kam es zu den Aussetzern: An beide Begebenheiten habe er keine detaillierte Erinnerung, versicherte der Angeklagte; die psychiatrische Gutachterin Elena Erwin erklärte dem Gericht, dass das durchaus sein könne und keineswegs eine Schutzbehauptung sei. Jedem Zeugen sagte Erwin H., dass es ihm leid tue und dass er sich in einem unerklärlichen Zustand befunden habe. Bei der 20 Jahre jüngeren Frau, vor der sich entblößt und die er danach noch tätlich angegriffen und beleidigt hatte, stieß die Entschuldigung auf Skepsis – dazu war die Attacke doch zu hart gewesen. Dass es sehr zur Sache gegangen war, bestätigte am Freitag eine weitere Zeugin.
Auch dem Gericht war die Ansage wichtig, dass H. die falsche ärztliche Diagnose und die ungeeigneten Medikamente nicht als General-Entschuldigung geltend macht. Auch wenn er sich im Zustand verminderter Schuldfähigkeit befunden habe, seien die Taten doch geschehen. Der Opladener zeigte sich nach dem Urteil, mit dem das Gericht spürbar unter dem Antrag der Staatsanwältin geblieben war, auch durchaus reuig: „Das war wahrscheinlich der dunkelste Punkt in meinem Leben.“
Weil er neben den gut 8000 Euro Geldstrafe auch die Kosten der zweitägigen, aufwendig geführten Verhandlung tragen muss, kommen auf den Rentner hohe Belastungen zu. Außerdem ist seine Krankheit zwar korrekt erkannt und wird fortlaufend behandelt. Gesund ist der Mann deshalb aber nicht.